Auch Termiten oder Ameisen wenden Verhaltensweisen an, die aus dem Kollektiv entstehen. Termiten bauen im Verhältnis zu ihrer eigenen Größe die größten Bauwerke der Erde und erschaffen in Gruppen architektonisch hochkomplexe Behausungen. Dabei stehen sie nicht unter der Führung von einzelnen »Architekten« oder »Ingenieuren«. Das Wissen entsteht vielmehr im Kollektiv und beim Tun. Dieses emergente Wissen ist demnach in der Gesamtheit der Population vorhanden, nicht aber bei einzelnen Individuen zu beobachten. (Joyce 2008) Auch Ameisen zeigen emergente Eigenschaften in der Gruppe, ohne die Präsenz von Spezialisten oder Anführern. Komplexe Aufgaben, etwa beim Errichten neuer Kolonien, werden von verschiedenen Individuen übernommen. Sie wechseln die Aufgabe gemäß den gerade anfallenden Erfordernissen.
Erfolg durch Kommunikation
Bereits Bakterien beweisen kollektive Intelligenz, wie Eshel Ben-Jacob und James Shapiro anhand der E.-coli-Bakterien gezeigt haben. Die Bakterien stehen in Kommunikation zueinander; und obwohl sie einzeln äußerst geringe Möglichkeiten haben, können sie im Kollektiv Leistungen vollbringen, die für Menschen nicht möglich wären. So haben sie sich etwa von ihrer Nahrungsquelle Laktose auf Aspirin umgestellt. (Joyce 2008)
Während wir Technologien wie Gentechnik oder Internet für fortschrittliche Leistungen unserer Zivilisation halten, gehen Bakterien in analog kreativer Weise schon seit Milliarden von Jahren vor. Nehmen wir nur die Geschwindigkeit, mit der sich die Widerstandsfähigkeit gegen neue Medikamente unter Bakterien ausbreitet. Sie beweist, dass ihre Kommunikation effizienter ist, als es eine Anpassung durch Mutationen wäre. So sind Bakterien in der Lage, sich an Umweltveränderungen innerhalb weniger Jahre anzupassen. Andere Organismen würden dazu Jahrtausende benötigen. (Capra 1996) Bei den Bakterien gibt es anstelle einer vertikalen genetischen Informationsübertragung horizontale Fluktuationen mit außerordentlich rascher Verbreitungsgeschwindigkeit. (Jantsch 1992)
Was können wir daraus lernen?
Durch diese Beispiele angeregt, können wir uns fragen, welche Fortschritte für uns möglich sind, wenn wir unsere kooperative Intelligenz entdecken und einsetzen. Schließlich scheint die Intelligenz beispielsweise von Ameisen oder Termiten als Individuen betrachtet sehr begrenzt zu sein, durch ihr Gruppenverhalten agieren sie aber sehr klug. Was könnten Menschen, die für sich genommen schon individuell klug sind, erst im Kollektiv erreichen? Stephen Joyce (2008) fragt mit Recht, welchen gewaltigen Evolutionsschritt die Entwicklung der kooperativen Intelligenz für die Menschheit bedeuten könnte. Emergenz bedeutet demnach, ebenso wie der mengentheoretische Grundsatz, wonach das Ganze mehr als die Summe seiner Teile darstellt, dass ein Team als Ganzes es schafft, Probleme zu lösen, die kein einzelnes Mitglied allein lösen könnte.
Selbstorganisation als Ordnungsprinzip in der Natur
Den Begriff »Systemtheorie« benutzte erstmalig der österreichische Biologe Ludwig von Bertalanffy (1969) an der Universität von Chicago im Jahre 1937, indem er von einer »General System Theory« spricht. Er formulierte auch den Gedanken der »Emergenz«, wobei er nicht nur die Vernetztheit, sondern auch die Eigengesetzlichkeit von Systemen annimmt. Für ihn stellt dieses neue Paradigma ein neues Menschenbild dar, das die immanente Aktivität anstelle der Reaktion auf Fremdeinflüsse betont. Bertalanffy ahnt bereits, was dieses neue Paradigma auch für andere Disziplinen als die Biologie bedeutet, etwa für die Erziehungswissenschaften oder die Psychotherapie.
Betonung von Ziel- und Zweckorientierung
Bei seiner Definition der General System Theory hebt Bertalanffy die Ziel- und Zwecksetzung von lebenden Systemen hervor. Ähnlich wie bei der aristotelischen Entelechie (griech. telos = Ziel und echein = haben) tragen Lebewesen das Ziel ihrer Entwicklung immer schon in sich. In den Worten der General System Theory heißt dies nun Zielorientierung, Zweckorientierung und Selbstorganisation.
Offene Systeme
Zugleich sind alle Lebensformen als »offene Systeme« zu verstehen: Damit wird ihre Abhängigkeit von ständigen Energieflüssen und Ressourcen betont. Bertalanffy prägt hierbei einen zweiten zentralen Begriff der Systemtheorie, den des »Fließgleichgewichts«, um das Miteinander von Struktur und Veränderung in allen Lebensformen zum Ausdruck zu bringen. Auch dies unterscheidet die General System Theory vom klassischen, naturwissenschaftlichen Verständnis ihrer Zeit. Das konventionelle physikalische Verständnis betonte die Geschlossenheit und die Isolation von Systemen. Für die General System Theory dagegen befinden sich lebende Systeme in einem kontinuierlichen Zu- und Abfluss, sie stehen in einem ständigen metabolischen Auf- bzw. Abbau mit ihrer Umwelt. Bertalanffy definiert damit sowohl das Kriterium metabolischer Offenheit lebender Systeme als auch ihre Aktivität gemäß der inneren Organisationsgesetzlichkeit des Nervensystems.
Veränderung wird nicht von einer äußeren Kraft bewirkt, vielmehr differenziert sich etwa ein sich entwickelnder Embryo über die internen Gesetze seiner Selbstorganisation. Bertalanffy hält dieses Prinzip interner Aktivität für wichtiger als externe Stimuli. Indem er diese Annahme auch auf die Funktionsweise niederer Tiere ausdehnt, formuliert er ein evolutionäres Prinzip. Das Prinzip der Selbstorganisation schließt dabei die Funktionsweisen von Mutation und Selektion keineswegs aus, sondern ergänzt sie. Das allerdings wurde lange Zeit nicht verstanden.
Mutation und Selektion
Charles Darwin
Charles Darwin hat das evolutionäre Grundprinzip in seinem Werk Die Entstehung der Arten im Jahre 1850 dargelegt. Über die Evolution spekuliert hatte schon sein Großvater Erasmus Darwin, ebenso wie etwa Jean-Baptiste de Lamarck. Entsprechende Gedanken finden sich sogar noch früher, etwa bei Empedokles, Buffon oder Saint-Hilaire, aber vor Charles Darwin hat niemand eine plausible Theorie eines Evolutionsmechanismus formuliert. Darwins Verdienst besteht also nicht darin, die Artengenese in die Welt gebracht, sondern als Erster die Ursachen der Evolution angegeben zu haben. (Vollmer 2002)
Darwin geht dabei von drei Hauptfaktoren aus: Vererbung, Mutation und Selektion. Durch Mutationen kommt es zu Varianten; die Individuen unterscheiden sich also. Die Selektion erfolgt durch eine Umwelt, die nicht alle Individuen überleben lässt und einigen bessere Chancen einräumt. Evolution entsteht damit dadurch, dass ein Replikator nur unvollkommene Kopien herstellt, was man auch als »Unausweichlichkeit« der Evolution bezeichnet hat (Blackmore 2005, 38), sofern diese Startbedingungen einmal gegeben sind.
Entwicklung und Stabilität
Darwins ursprüngliche Theorie der Selektion basierte auf dem Gedanken der gegenseitigen Konkurrenz und gegebenenfalls der Vernichtung. Diese Theorie ist heute wissenschaftlich nicht mehr zu halten. Im Gegensatz zur zufälligen Mutation geht man heute vielmehr von einer Selbstveränderung der Organismen durch »im biologischen System selbst angelegte Prinzipien« (Bauer 2008, 66) aus. Anstatt ihr genetisches Substrat wahlloser Veränderung im Sinne der darwinschen Mutation auszusetzen, schützen Organismen den für die Stabilität notwendigen Bestand. Der Freiburger Genforscher Joachim Bauer nennt zwei Grundprinzipien biologischer Systeme: zum einen das der »durch externe Stressoren angestoßenen Entwicklung und zum anderen das der aktiven Bewahrung von biologischer Stabilität« (2008, 67), was nicht nur auf den ersten Blick den systemischen Grundsätzen von struktureller Störung und operationaler Geschlossenheit zu entsprechen scheint.
Die Entstehung neuer Arten geht demnach auf Umbauprozesse innerhalb des Genoms selbst zurück, es organisiert die Veränderungen selbst aktiv, indem beispielsweise genetische Elemente neu kombiniert oder erweitert werden. Ein Beispiel hierfür sind etwa Bakterien, die die Architektur ihres Genoms verändern, um der Vernichtung durch Antibiotika zu entkommen: »Wären Bakterien gemäß der darwinistischen Doktrin in ihrer Abwehr gegen Antibiotika auf in ihrem Genom zufällig auftretende Mutationen angewiesen, hätten wir heute in den Krankenhäusern keine Probleme mit sogenannten nosokomialen Keimen, stattdessen wären Bakterien dort schon lange ausgerottet.« (Bauer 2008,