Gegen neun Uhr abends legte sich der Sturm, und der Forward blieb als guter Segler in nordwestlicher Richtung; er war nach dem Urteil der Kenner zu Liverpool vorzugsweise Segelschiff.
Während der folgenden Tage kam der Forward rasch nordwärts voran; der Wind schlug um in Süd, und das Meer ging gewaltig hohl; die Brigg fuhr damals mit vollen Segeln. Einige Sturmvögel flatterten über dem Hinterverdeck; der Doktor war so glücklich, einen der letzteren zu schießen, und derselbe fiel an Bord. Er verstand es auch denselben schmackhaft zuzubereiten, indem er zuerst alles unter der Haut liegende Fett ablöste, sodass der ranzige Geschmack, welcher den Seevögeln mitunter eigen ist, völlig beseitigt wurde.
Während des letzten Sturmes hatte Richard Shandon Gelegenheit, sich von den Vorzügen seiner Leute besonders zu überzeugen.
James Wall, der Richard höchst ergeben war, fasste gut auf, verstand gut auszuführen, aber es mochte ihm am selbstständigen Auftreten fehlen; in einer Stellung dritten Ranges war sein Platz.
Johnson, ein erfahrener Seemann, ergraut in Fahrten nach dem Eismeer, war an Kaltblütigkeit und Kühnheit unübertrefflich.
Der Harpunier Simpson und der Zimmermann Bell waren zuverlässige Leute, an strenge Disziplin und Pflichterfüllung gewöhnt. Der Eismeister Foker, im Seedienst erfahren, in Johnsons Schule gebildet, versprach die trefflichsten Dienste zu leisten.
Von den übrigen Matrosen schienen Garry und Bolton die besten zu sein: Bolton, ein lustiger Geselle, munter und redselig; Garry, ein Junggeselle von fünfunddreißig Jahren, energischen Gesichtszügen, doch etwas blass und traurig.
Die drei Matrosen Clifton, Gripper und Pen schienen weniger eifrig und weniger entschlossen; sie murrten gern. Gripper wäre bei der Abfahrt selbst den Dienst wieder aufzugeben geneigt gewesen, hätte ihn nicht einiges Schamgefühl gehalten. Ging es gut, waren nicht allzu viel Gefahren zu bestehen oder Manöver auszuführen, so konnte man auf diese drei Männer bauen; aber man musste sie tüchtig nähren. Trotz der Vorschrift fiel ihnen die Enthaltsamkeit schwer, und bei der Mahlzeit vermissten sie den Branntwein oder Gin; sie entschädigten sich jedoch an Kaffee oder Tee, welche reichlich an Bord gespendet wurden.
Die beiden Maschinisten, Brunton und Plover, und der Heizer Waren waren zufrieden, dass sie bis jetzt die Arme kreuzten. Shandon wusste also, wie er mit jedem dran war.
Am 14. April durchschnitt der Forward den großen Golfstrom, welcher, nachdem er entlang der Ostküste Amerikas bis zur Bank New-Foundlands nordwärts geflossen, sich nordöstlich dem Gestade Norwegens zuwendet. Man befand sich damals unter 51° 37' Breite und 22° 58' Länge, zweihundert Meilen von der Spitze Grönlands ab. Das Wetter wurde kälter; das Thermometer fiel auf 0° des hundertteiligen, d. h. den Gefrierpunkt.
Der Doktor hatte noch nicht seine Polarwinterkleidung angezogen, sondern sein Seemannskostüm, gleich den Matrosen und Offizieren. Es war eine Lust, ihn zu sehen, wie er ganz in den hohen Stiefeln steckte, mit seinem großen Hut von Wachsleinwand, Hosen und Jacke von gleichem Stoff; durch die starken Regen und großen Wellen, welche die Brigg überschütteten, bekam der Doktor das Aussehen eines Seetieres, worauf er sich etwas einbildete.
Zwei Tage lang war das Meer äußerst unruhig; der Wind schlug um nordwestlich und hemmte die Fahrt des Forward. Vom 14. bis 16. April ging die See sehr hohl; aber am Montag erfolgte ein heftiger Platzregen, der das Meer fast augenblicklich beruhigte. Shandon machte den Doktor auf diese eigentümliche Erscheinung aufmerksam.
»Ei«, erwiderte letzterer, »dies bestätigt die merkwürdigen Beobachtungen des Walfischfahrers Scoresby, welcher Mitglied der königlichen Gesellschaft zu Edinburgh ist. Sie sehen, dass während des Regens die Wellen wenig merkbar sind, selbst bei heftigem Wind; dagegen bei trockenem Wetter würde die See auch bei minder starkem Wind mehr aufgeregt sein.«
»Aber, wie erklärt man diese Erscheinung, Doktor?«
»Sehr einfach, man erklärt sie nicht.«
In diesem Augenblicke machte der Eismeister auf eine rechts vom Bord, etwa fünfzehn Meilen unterm Wind, schwimmende Masse aufmerksam.
»Ein Eisberg in diesen Strichen!« sagte der Doktor.
Shandon richtete sein Fernrohr nach der bezeichneten Stelle und bestätigte die Angabe des Piloten.
»Das ist merkwürdig!« sagte der Doktor.
»Darüber staunen Sie?« sagte der Kommandant lachend. »Sollten wir so glücklich sein, auf etwas zu stoßen, das Sie in Erstaunen versetzt?«
»Es ist mir auffallend, ohne dass es mich in Staunen versetzte«, erwiderte lächelnd der Doktor, »denn die Brigg Ann de Poole aus Greenspond blieb im Jahre 1813 unterm vierundvierzigsten Grade nördlicher Breite in wahren Eisfeldern stecken, und ihr Kapitän Dayement zählte die Blöcke nach Hunderten!«
»Gut!« sagte Shandon. »Sie können uns noch dazu belehren!«
»Oh! Das will noch wenig heißen«, erwiderte bescheiden der liebenswürdige Clawbonny, »ist man ja unter noch weit niederen Breitengraden auf Eisberge gestoßen.«
»Damit sagen Sie mir nichts Neues, lieber Doktor. Als ich Schiffsjunge an Bord der Kriegskorvette Fly war …«
»Im Jahre 1818«, fuhr der Doktor fort, »zu Ende März, oder auch April sind Sie unterm zweiundvierzigsten Breitengrad zwischen zwei große schwimmende Eisinseln geraten.«
»Ah! Das ist zu arg!« rief Shandon aus.
»Aber ’s ist wahr; ich brauche also nicht in Staunen zu geraten, wenn uns zwei Grad weiter nördlich ein schwimmender Eisberg aufstößt.«
»Sie sind wie ein Brunnen, Doktor«, erwiderte der Kommandant, »aus dem man nur zu schöpfen braucht.«
»Gut! Ich werde rascher seicht