„Warte mal.“
Er hebt die Hand und umfasst sachte mein Kinn. Dann streicht er mit dem Daumen über meinen Mundwinkel, was mir einen Schauer über den Rücken jagt. Ich starre in seine wunderschönen braunen Augen und merke, wie mein Herz flattert. Sein Blick ist weich, und ich bilde mir tatsächlich ein, Zuneigung darin zu sehen.
„Krümel“, sagt er lächelnd und zieht seine Hand zurück. Auf seinem Daumen klebt ein Weißbrotkrümel und ich sehe ihn verlegen an. Er lacht leise, doch es klingt nicht spöttisch oder herablassend.
Wir unterhalten uns noch eine Weile, dann müssen wir zusammenpacken, da meine nächste Vorlesung anfängt. Ich muss zugeben, es war schön, mit ihm hier zu sitzen. Vor allem hat es mich positiv überrascht, dass er nicht versucht hat, mir auf die Pelle zu rücken.
Wir laufen langsam zurück, und ich bin erstaunt, wie schnell die Zeit vergangen ist.
„Tja, dann. Danke für das Essen. Deine Sandwiches waren echt lecker.“
Ich bin plötzlich unsicher, weiß nicht, wo ich hinsehen soll.
„Nichts zu danken. Danke, dass du deine Zeit mit mir verbracht hast.“
Es klingt ehrlich. Der Kerl verwirrt mich alle drei Minuten aufs Neue. Warum ist er so anders als gestern? Was davon ist echt, und was ist seine Masche, um mich rumzukriegen?
„Bekomme ich deine Handynummer, wenn ich ganz lieb danach frage?“
Er fummelt eine Zigarettenpackung aus seiner Jeans und sieht mich mit seinen dunklen Schokoaugen forschend an.
„Ähm. Warum? Also, du weißt, dass das hier nur ein einmaliges Treffen war, oder?“
Ich weiche seinem Blick aus.
„Weiß ich das? Hm, keine Ahnung. Also keine Nummer?“
Er klingt enttäuscht. Was zur Hölle tut er da? Macht er das mit Absicht, um mein schlechtes Gewissen anzuregen? Ich sehe ihn mit schief gelegtem Kopf an. Er hat sich eine Kippe angesteckt, zieht lässig daran. Sein Blick ist herausfordernd, leicht spöttisch. Als ob er sagen wollte: Okay, Kleine, ich wusste es, dass du mir nicht gewachsen bist und Schiss vor mir hast.
„Doch, warum nicht, kein Problem. Speicher sie dir ab“, höre ich mich sagen und knirsche dabei leise mit den Zähnen. Oh, Erde, tu dich auf und verschlinge mich dummes Huhn. Ein leicht triumphierendes Lächeln umspielt seine schönen Lippen, als er meine Nummer in sein Handy tippt.
„Ich ruf dich an. Ciao, Summer.“
Ehe ich mich versehe, beugt er sich zu mir herunter und küsst mich auf die Wange. Ganz zart, seine Lippen berühren meine Haut nur wie ein Hauch. Dennoch habe ich das Gefühl, meine Wange fängt an zu glühen. Mein Herz stolpert, während sein einmalig guter Duft in meine Nase steigt. Doch schnell ist dieser Moment vorbei, Danny lächelt mir noch einmal zu, dann dreht er sich um und geht davon. Ich starre ihm mit klopfendem Herzen und ziemlich ratlos hinterher. Soll ich mich darauf freuen, dass er mich anrufen will, oder es als Drohung ansehen? Ich seufze und laufe ebenfalls los.
Der Nachmittag zieht sich wie Kaugummi. Ich bin unkonzentriert und froh, als die letzte Vorlesung vorbei ist. Draußen wartet Jake auf mich, und ich freue mich, ihn zu sehen.
„Hi. Na, wie war dein Tag?“
Er küsst mich auf die Wange und legt mir den Arm um die Schultern. Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, wie anders sich sein Kuss anfühlt im Vergleich zu Dannys.
Wir schlendern langsam den Weg entlang und ich erzähle ihm von den Vorlesungen.
„Klingt öde. Was hast du in der Pause gemacht?“
Mist.
„Ich war ein Sandwich essen“, murmele ich zögernd.
Immerhin ist das die halbe Wahrheit.
„Ah, die sind lecker, stimmt´s? Ich kann auch nicht genug davon bekommen.“
Mit schlechtem Gewissen nicke ich. Ich weiß, ich sollte es ihm erzählen, es ist ja auch nichts dabei. Ich weiß selbst nicht, warum ich es nicht tue. Es gibt keinen logischen Grund, es zu verschweigen.
Es ist noch ziemlich mild und wir setzen uns unter einem Baum ins Gras. Die Sonne scheint warm und ich könnte glücklich sein. Meine Gedanken schweifen zu Danny. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum er mich so dermaßen verwirrt. Aber ich muss zugeben, vielleicht war mein erster Eindruck von ihm falsch, und ich habe mich getäuscht, was ihn betrifft. Er war heute wirklich nett. Amüsant. Es war schön mit ihm. Und irgendwie freue ich mich darauf, wenn er sich bei mir melden wird.
Jake und ich sitzen noch eine Weile im Gras, dann brechen wir auf. Wir nähern uns meinem Wohnblock, als mir ein Pärchen auffällt. Sie lehnt mit dem Rücken an einer Mauer und der Junge steht vor ihr. Sie küssen sich leidenschaftlich, seine Hände scheinen überall auf ihrem Körper zu sein. Ich kneife die Augen zusammen und habe gleich darauf das Gefühl, jemand verpasst mir eine schallende Ohrfeige. Der Typ, der das Mädchen da fast öffentlich flachlegt, ist Danny.
4
SUMMER
Ich starre ungläubig auf die Szene, die sich mir da bietet. Okay, so viel dazu, ich habe mich in Moreno getäuscht. Gar nichts habe ich, er ist genau so, wie ich es vermutet hatte. Und ich dumme Kuh dachte, dieser Tag wäre schön gewesen. Unser Essen hätte ihm vielleicht auch gefallen. Er hätte diese Sandwiches gemacht, weil er mir eine Freude machen wollte. Scheiß drauf, das war alles nur Masche. Und vermutlich, weil ich nicht direkt mit ihm auf sein Zimmer gegangen bin, braucht er jetzt diese Tussi, um sich abzureagieren. Ich merke gar nicht, wie meine Hände sich zu Fäusten ballen.
Ich sehe zu Jake, der ebenfalls auf die beiden starrt. Er schüttelt abfällig den Kopf, brummt etwas, was sich nach „Können die sich kein Zimmer nehmen?“ anhört und zieht mich weiter. Ich stolpere neben ihm her und bin wütend. Auf mich selbst. Gar nicht mal so sehr auf Moreno, denn der ist eben, wie er ist. Aber ich, ich hätte es besser wissen müssen. Hätte auf Jake hören sollen. Aber gut, aus Fehlern lernt man, und ich habe gerade definitiv gelernt, dass ich mich von Moreno fernhalten muss. Und verdammt noch mal, das werde ich. Zum Glück hat er uns nicht gesehen, wir erreichen den Hauseingang und betreten das Wohnheim. Na ja, wie hätte er uns auch sehen sollen, ist ja viel zu beschäftigt.
„Ist was?“
Jake sieht mich fragend an.
„Was soll sein?“
Ich höre selbst, wie schroff ich klinge, und es tut mir sofort leid. Er kann ja nichts dafür, dass ich so blöd bin und dachte, der College-Casanova hätte ausgerechnet an mir ein ernsteres Interesse. Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel.
Am liebsten würde ich mit dem Kopf an die Wand schlagen. Dabei weiß ich nicht mal, warum ich so wütend bin. Moreno kann machen, was er will. Wir hatten ein nettes Mittagessen zusammen und das war´s. Er ist mir zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet, und er kann küssen und vögeln, wen immer er will. Mir ist das klar. Aber dieser Anblick eben hat mich dennoch getroffen, und das ärgert mich wahnsinnig.
„Du hattest recht, was Moreno betrifft. Er ist ein Idiot.“
Ich starre grimmig aus dem Fenster meines Zimmers, das wir inzwischen erreicht haben. Jake mustert mich forschend.
„Warum bist du so sauer auf ihn?“
Ich drehe mich zu ihm um.
„Auf wen? Auf Moreno? Warum sollte ich auf den sauer sein?“
Jake schmeißt sich auf mein Bett.
„Keine Ahnung, sag es mir. Seit wir ihn da unten beim Knutschen gesehen haben, siehst du aus, als ob du am liebsten jemanden killen würdest.“
Er zuckt mit den Schultern.
„Ich meine, klar ist er ein Idiot, aber du kennst ihn ja gar nicht. Warum also