Professor Lindenbaum betritt den Saal, stellt sich kurz vor und fängt ohne Umschweife mit dem Unterricht an. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf ihn und blende die Umgebung aus. Ich bin gut darin, Dinge einfach auszublenden. Ebenso wie Gefühle, darin bin ich noch besser.
In der Pause schreibe ich Jake an, und er verspricht, mich abzuholen und mit mir ins Café „Fantastico“ zu gehen, wo es seiner Aussage nach die besten Sandwiches auf dem ganzen Campus gibt. Natürlich verspätet er sich und ich stehe herum wie bestellt und nicht abgeholt. Endlich taucht er auf und kommt mir mit einem Strahlen im Gesicht entgegen. Ich muss lächeln, ob ich will oder nicht. Ich kenne Jake schon seit meiner Grundschulzeit und er gehört einfach zu meinem Leben dazu. Er ist wie mein Bruder, wie ein altes, geliebtes Kuscheltier. Mein bester Kumpel eben.
„Summer, Summer, Summer, du bist noch hübscher geworden, seitdem wir uns zuletzt gesehen haben.“
Jake drückt mich an sich. Er sieht gut aus, erholt, sonnengebräunt. Seine blonden Haare sind etwas länger geworden, es steht ihm.
„Schleim nicht rum. Du hast mich ganz schön hängenlassen“, motze ich, drücke ihn aber genauso fest zurück. Ich freue mich wahnsinnig, ihn zu sehen.
„Ah, jetzt weiß ich, was mir im letzten Jahr ohne dich hier gefehlt hat. Deine unnachahmlich charmante Art.“
„Ja, du mich auch.“
Wir grinsen uns an, Jake legt einen Arm um meine Schultern und zieht mich mit sich.
„Wie findest du es hier? Nicht übel, oder?“
„Nein, nicht übel.“
Ich erzähle ihm von meiner ersten Vorlesung bei Professor Lindenbaum.
„Ah, der Lindenbaum ist korrekt. Wirst sehen, bei dem lernst du viel und er ist echt okay.“
Wir unterhalten uns, während Jake mir auf dem Weg in das Café ein paar Dinge erklärt und zeigt. Der Campus ist eigentlich gar nicht so riesig und bestimmt gut überschaubar, bloß für jemanden wie mich, mit dem Orientierungssinn einer Orange … nun ja.
Ich atme tief durch. Es riecht nach Herbst. Der Sommer ist fast vorbei, und ich bin froh darüber, da ich diese Jahreszeit nicht besonders mag. Da ist es wohl eine Ironie, dass ich ausgerechnet Summer heiße.
Auf einer Rasenfläche fläzt sich eine Gruppe Mädchen und Jungen. Ich lasse meinen Blick über sie schweifen. Es ist eine typische Upperclass-Clique. Das sieht man auf den ersten Blick. Gestylte, bildhübsche Mädchen, gekleidet in die trendigsten Klamotten. Gut aussehende Jungs, vermutlich alle megasportlich, mit einem reichen Daddy im Rücken. Sie scheinen wirklich jedes Klischee zu bedienen, und manchmal frage ich mich, ob es diese Cliquen überall gibt, an jeder Schule, jedem College, jeder Uni. Vielleicht sogar später noch, im Berufsleben. Oder ob am Ende gar nicht alles so ist, wie es scheint. Denn manche Dinge, die nach außen hin glänzen, verbergen dahinter eine ziemlich dunkle Seite. Wer wüsste das besser als ich.
Obwohl ich nicht will, hängt mein Blick an ihnen. Sie lachen und albern herum. Ich kann mich nicht erinnern, das letzte Mal so herumgeblödelt zu haben.
„Holla. Aufpassen.“
Ich höre, wie Jake neben mir genervt einatmet.
„Keine Augen im Kopf, Moreno?“
Seine Stimme klingt gereizt und ich wende den Blick von der Clique ab. Ein junger Mann steht vor uns, der mir glatt den Atem verschlägt. Er mustert uns mit einem spöttischen Ausdruck in seinen tiefdunkelbraunen Augen. Sein Gesicht ist perfekt schön. Gleichmäßige Züge, sinnliche Lippen. Dunkle, leicht lockige Haare umspielen dieses hübsche Antlitz, fallen ihm lässig-zerzaust in die Stirn. Er ist groß, mindestens anderthalb Köpfe größer als ich, hat eine Wahnsinnsfigur, wirkt männlich, sexy und … ziemlich arrogant. Klar, solche Typen sind immer arrogant.
„Entschuldigung“, sagt er mit einem lässigen Grinsen und verbeugt sich leicht. Sein Blick bleibt an mir hängen. Seine Hand mit der Zigarette hebt sich, und er nimmt einen tiefen Zug, bevor er sagt: „Neu hier? Ich bin Danny.“
Er zwinkert mir zu und ich starre ihn an. Warum zur Hölle starre ich ihn an?
„Okay“, sage ich und ziehe Jake an ihm vorbei.
„Oh, du heißt Okay? Das ist ja mal ein hübscher Name für ein Mädchen“, höre ich seine belustigte Stimme hinter mir.
„Pff“, nuschele ich und gehe weiter. Er lacht leise und mir wird kurz heiß. Ich sehe noch, wie er zu der Yuppie-Clique hinüberschlendert und sich lässig niederlässt. War ja klar, dass er zu denen gehört.
„Wer war das?“, kann ich mir die Frage nicht verkneifen.
„Der? Daniele Moreno. Oder Danny, wie er sich dir ja so nett vorgestellt hat.“
Jakes Stimme klingt mürrisch. Er scheint kein großer Fan von Danny-Daniele zu sein.
„Kennst du ihn? Klingst nicht begeistert.“
Ich sehe Jake neugierig an. Keine Ahnung, warum ich das überhaupt wissen will.
„Jeder kennt Moreno. Und wie kommst du drauf, dass ich nicht begeistert sein könnte? Ich kann mich kaum halten vor Begeisterung.“
Er läuft ein bisschen schneller und ich muss ihm regelrecht hinterherrennen.
„Ist ja gut, ich frag ja nur. Sorry.“
Jake sieht mich an, dann grinst er.
„Schon gut. Ist halt weibliche Neugierde. Tut mir leid, du kannst ja nichts dafür, dass Moreno nicht zu meinen Lieblingen gehört.“
„Und warum gehört er nicht zu deinen Lieblingen?“
Ich kann es nicht lassen, dabei weiß ich nicht mal, warum mich das interessiert.
„Warum? Du hast ihn doch gesehen. Er ist einer dieser Typen, die man vergöttert oder hasst. Und ich vergöttere ihn nicht. Reicht echt, wenn die meisten Studenten hier zu hirnlosen Idioten mutieren, sobald Moreno irgendwo aufschlägt.“
Ich mustere Jake erstaunt. So kenne ich ihn gar nicht. Er klingt richtig angepisst und fast ein wenig eifersüchtig. Aber warum sollte er eifersüchtig auf Danny Moreno sein? Es gab auch schon auf der Highschool diese Typen, die alle in ihren Bann gezogen haben, und das hat ihm nie etwas ausgemacht. Es ist ja auch nicht so, dass Jake sich verstecken muss. Er sieht gut aus, ist klug, witzig. An weiblicher Aufmerksamkeit wird es ihm kaum mangeln. Aber da ich ihn nicht noch mehr verärgern will, bin ich still und lasse es auf sich beruhen.
Das Café ist voll besetzt, als wir ankommen. Ziemlich weit hinten ergattern wir noch einen Zweiertisch.
„Willst du warten? Ich hole uns was.“
Jake sieht mich fragend an und ich nicke. Ich sehe ihm nach, wie er sich zwischen den eng gestellten Tischen hindurchschlängelt und zu der Bedienungstheke geht. Es tut gut, ihn wieder in der Nähe zu haben. Wir haben uns im letzten Jahr selten gesehen, doch jetzt in den Ferien waren wir zusammen zelten. Es war fast wie früher, als wir Kinder waren. Und doch war es anders. Ich lasse meinen Blick nachdenklich durch das Café schweifen. Etwas an Jake ist anders, aber ich weiß nicht genau, was es ist. Klar, er ist älter geworden, erwachsener. Das bin ich auch. Aber das ist es nicht. Die Art, wie er mich manchmal ansieht, verunsichert mich. Ich schüttele den Kopf. Blödsinn. Jake kennt mich, seit ich sechs Jahre alt war. Er war immer mein Kumpel. Warum sollte sich das jetzt ändern? Ich sehe mich um. Das Café gefällt mir, es ist in einer gekonnten Mischung aus modern und alt eingerichtet. Wirkt gemütlich. Große Fenster, die einen tollen Ausblick auf den Campus erlauben. Etwas entfernt vom Café wurde ein kleiner, künstlicher See angelegt, der im Sonnenlicht glitzert. Kiesbestreute Wege führen um die Wasserfläche herum und alle paar Meter steht eine Bank. Fast wie im Park. Ich glaube, dieses Café wird mein