BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN. Klaus Hübner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Hübner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783957658814
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Jahre alt war er schon, als er den »ganz in meinem Sinn Sprach forschenden Bibliothekar Scherer« kennenlernte10. Vor allem dieser Mann, der als Direktor der königlichen Hofbibliothek wirkte und auch als Buchhändler, Verleger und Schriftsteller tätig war, machte Schmeller immer wieder Mut, sich mit aller Kraft an die gründliche Erforschung der Dialekte Bayerns zu machen. Joseph von Scherer (1776–1829) war auch nicht ganz unschuldig daran, dass der hochbegabte, fleißige und begeisterte junge Philologe 1816 auf Antrag der Akademie der Wissenschaften vom Militärdienst beurlaubt wurde, um »an einem Wörterbuche der baierischen Mundart« arbeiten zu können11. In den folgenden Monaten durchwanderte Schmeller fast das gesamte Königreich, um intensive Sprachstudien zu betreiben. »Ich bin nun förmlich als WortKlauber ausgerufen«, schrieb er am 20. Mai 1816 in sein Tagebuch12.

      Mit diesen Wanderungen begann die immer glänzender werdende Karriere des Dialektologen und Sprachwissenschaftlers Johann Andreas Schmeller. Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt erschien 1821, zwei Jahre danach wurde er außerordentliches Mitglied der Akademie und 1826 Privatdozent an der Münchner Universität, die ihm im Jahr darauf die Ehrendoktorwürde zuerkannte und ihn fast zwei Jahrzehnte später – nach einigem Hin und Her – auf ihren Lehrstuhl für altdeutsche Sprache und Literatur berief. Schmeller wurde berühmt – schon als er im Januar 1824 nach Rinnberg kam, konnte er seinen alten Eltern zu deren goldener Hochzeit die Glückwünsche des Königs überbringen13. Über Universität und Akademie hinaus wirkte der Gelehrte, dem lebenslang wenig privates Glück zuteil wurde14, Jahrzehnte hindurch segensreich in der durch die Säkularisation gewaltig angewachsene Münchner Hofbibliothek, die 1843 ihren Neubau in der Ludwigstraße bezog15. Sein Ansehen beim Münchner Bürgertum wuchs Jahr um Jahr, selbst wenn wohl nicht jeder Schmellers aufgeklärte, liberale und patriotische Gesinnung teilte. Bei den Fachkollegen wuchs es ebenfalls: Sie wählten den »Begründer der wissenschaftlichen Dialektologie«16 beim ersten deutschen Germanistenkongress in Frankfurt 1846 zum Vorsitzenden der Sektion Sprache. Einstimmig – was in der Wissenschaft mehr heißen will als anderswo!

      Am Ende seines Lebens, 1852, umfasste sein Schriftenverzeichnis mehr als hundertfünfzig Werke, keineswegs nur zur Mundartforschung. Ein großer Mann des 19. Jahrhunderts wurde er, der Sohn einfacher Leute aus Rinnberg! Sein Grab liegt unter den Arkaden des Alten Südlichen Friedhofs in München. Und siehe da: An manchen Herbstwochenenden herrscht auch dort »heavy southbound traffic«. Wie immer mal wieder am Holledau Triangle.

      Anmerkungen

      1 • Die Literatur über die Holledau ist reichhaltig. Eine erste, wenngleich nicht sehr profunde Orientierung vermittelt ein Werk von Petra Becker: Das große Hallertau-Buch. Hopfenland im Herzen Bayerns. Clenze 2008.

      2 • Gerhard Matzig: Gebaute Utopie. In: Süddeutsche Zeitung, 19. August 2016, S. 10.

      3 • »Der alte Schmeller war ein Techniker und ein Wiener aus der Vorstadt. Das schließt eigentlich schon alles ein, was über diese nicht sehr interessante Persönlichkeit im Einzelnen noch gesagt werden könnte.« Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre. Roman (1951). München 1995, S. 258. Vgl. dazu auch Klaus Nüchtern: Kontinent Doderer. Eine Durchquerung. München 2016, S. 333.

      4 • Carl Amery: Auf d’Wahrheit muß’ herauslaufen, auf die sind wir vereidigt. In: Margot Lehner / Peter Laemmle (Hrsg.), Bayerisches Selbstverständnis – bayerische Perspektiven. Prominente im Gespräch mit Norbert Göttler. Eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks. München 1999. S. 79–86, hier S. 85.

      5 • Johann Andreas Schmeller: Bayerisches Wörterbuch (1827 / 1837). 4 Bde. München 1985.

      6 • Vgl. den Katalog dazu: Johann Andreas Schmeller 1785–1852. Gedächtnisausstellung zum 200. Geburtsjahr. Bearbeiter: Hermann Hauke, Reinhard Horn, Dieter Kudorfer und Karin Schneider. Redaktion: Dieter Kudorfer. München 1985. Siehe auch Waldemar Fromm / Stephan Kellner (Hrsg.) unter Mitarbeit von Laura Mokrohs: »Darf ich Ihnen meinen Wunschzettel mitteilen?«. Die Bayerische Staatsbibliothek in der Literatur. München 2014, bes. S. 34–37.

      7 • Johann Andreas Schmeller: Tagebücher 1801–1852. Hrsg. von Paul Ruf. 2 Bände und Registerband (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 47, 48, 48a). München 1954/1957. Eine kommentierte, auch für Reisen oder Biergartenbesuche geeignete Taschenbuch-Auswahl aus den Tagebüchern haben Reinhard Bauer und Ursula Münchhoff zusammengestellt: »Lauter gemähte Wiesen für die Reaktion«. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Tagebüchern Johann Andreas Schmellers. München / Zürich 1990. Hier S. 30.

      8 • Ebd., S. 60.

      9 • Ebd., S. 76–82.

      10 • Johann Andreas Schmeller: Tagebücher 1801–1852 (s. Anm. 5). Band 1, S. 365.

      11 • Katalog (s. Anm. 4), S. 20.

      12 • »Lauter gemähte Wiesen für die Reaktion« (s. Anm. 7), S. 99.

      13 • Ebd., S. 123.

      14 • Katalog (s. Anm. 4), bes. S. 24 f.

      15 • Näheres zu Schmellers Bibliotheksarbeit ebd., S. 155–204.

      16 • Ebd., S. 43. Näheres über Schmellers Sprach- und Mundartforschung sowie über seine Beiträge zur Sprach- und Literaturgeschichte des Mittelalters ebd., S. 39–152. Vgl. auch Ingo Reiffenstein: Johann Andreas Schmeller und die heutige Dialektforschung. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 48, 1981, S. 289–298.

      Wer liest Steub? Eine Ausstellung in Aichach

      »Das Almenleben hat so viel eingeborne Poesie, dass selbst die Tausende von Schnaderhüpfeln und die schönsten Lieder vom Berge, sowie die süßinnigsten Zithermelodien diesen tiefen und wahren Zauberbrunnen nicht ganz ausschöpfen. Wenn einer einmal einen dreibändigen Walter Scottschen Roman darüber schreiben wollte, der würde sehen was ihm da alles entgegenkömmt – die Almerin selbst mit ihren achtzehn Jahren und ihrem unbewachten Almenherzen, die Jägersburschen mit ihrem Stolz, die Wildschützen mit ihrem Hass …«.

      Halt! Um Gottes willen! Geht’s noch? Wer liest denn so was? Ja, es stimmt schon – so was liest praktisch niemand mehr, und wer nicht im Aichacher Stadtmuseum war, der traut sich vielleicht gar nicht, zu solcher Lektüre zu ermuntern. Geschrieben hat diesen Text, in Erinnerung an seine Wanderung auf die Audorfer Almen, der am 20. Februar 1812 in Aichach geborene und am 16. März 1888 in München gestorbene Ludwig Steub, und zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlicht hat er ihn in seiner 1860 erschienenen Prosasammlung Das bayerische Hochland. Ein nach wie vor anregendes Werk, trotz düsterem Hochwald und seelentröstendem Mondenschein auf einsamen Triften, und ein ebenbürtiges Gegenstück zu dem 1846 erschienenen und bis zur Jahrhundertwende immer wieder neu aufgelegten Sammelwerk, das Steub bekannt gemacht hat: Drei Sommer in Tirol. Aber dieser »Entdecker Tirols« und Schilderer der bayerischen Alpenregion war nicht nur Reiseschriftsteller – auch Komödien, Novellen, einen Roman und sogar sprachwissenschaftliche Abhandlungen hat er verfasst. Die Rose der Sewi (1879) zählt gewiss zu den gelungensten Dorfnovellen des 19. Jahrhunderts. Doch wer um alles in der Welt kennt heute noch diese schalkhafte Geschichte vom Gasthaus Sebi bei Niederndorf in Tirol? Einer, der zu Steubs Zeiten mit seinen Schwarzwälder Dorfgeschichten weltberühmt wurde, der heute trotz mancher Bemühungen ebenfalls kaum gelesene Berthold Auerbach, hat einmal bedauernd gefragt: »Ist es nicht ein wunderliches oder geradezu gesagt trauriges Geschick, dass man vielen gebildeten Deutschen erst sagen muss, wer Ludwig Steub ist?« Trauriges Geschick? Allerdings!

      Gerade noch im Jahr seines zweihundertsten Geburtstags wurde im Aichacher Stadtmuseum die Ausstellung »Ludwig Steub – Sohn der Stadt. Eine Spurensuche« eröffnet, und ein Besuch des selbst dem Münchner wenig bekannten Wittelsbacher Landes lohnt nicht nur zur Spargelzeit. Einen Ausstellungskatalog oder ein Begleitheft gibt es nicht, wohl aber kann und sollte man die Broschüre erwerben, die die Stadt Aichach vor fünfundzwanzig Jahren zum hundertsten Todestag des Dichters herausgegeben hat.