Auf der Liege, die hereingefahren wurde, lag eine junge Frau mit langen roten Haaren. Die Haut war blauweiß marmoriert. Einer der Sanitäter ging neben der Liege her und presste immer und immer wieder mit ganzer Kraft auf den Brustkorb der Patientin. Eine aufgeregte Frau, von der Jensen annahm, dass sie die Angehörige war, trug ein Infusionsgestell. Ein Notfallteam versammelte sich um die Liege.
»Sofort in den Notfallraum«, ordnete Jensen an. »Was ist passiert?«
Der andere der beiden Sanitäter gab ihm den Berichtsbogen. »Die Schwester der Patientin war gerade auf der Toilette. Als sie zurückkam, bemerkte sie, dass die Patientin nicht atmete. Sie hatte auch keinen Puls. Sie begann sofort mit der Wiederbelebung. Der Notruf kam vor ungefähr zehn Minuten. Im Wagen gab es keine Herzaktivität.«
Als sie den Wiederbelebungsraum betraten, öffnete sich die Tür auf der anderen Seite und der Dienst habende Anästhesist kam wie üblich ganz ruhig hinein. Jensen fasste die Situation für ihn zusammen, gleichzeitig nahm er die Paddles des Defibrillators und legte sie auf den Brustkorb der Patientin. Sie arbeiteten schnell und reibungslos. Eine Hilfsschwester führte die Schwester der Patientin in einen nahen Angehörigenraum.
»Kammerflimmern. Ich schocke. Weg von der Liege!«
Jensen presste die Paddles auf den Brustkorb und vergewisserte sich, dass sie gut auflagen, bevor er abdrückte. Der Oberkörper der Frau hob sich einige Zentimeter von der Liege. Es folgten ein paar Sekunden gespannten Wartens, als die EKG-Kurve verschwand. Dann kam der grüne Lichtstrahl wieder, zackiger und bösartiger als vorher.
»Okay. Fünf Einheiten«, sagte Jensen.
Eine Schwester folgte seiner Anweisung und zählte laut bis fünf. Der Anästhesist schob geübt einen Schlauch in den Hals der Patientin und begann, sie mit einem Beutel zu beatmen. Jensen stellte den Schalter auf 360 Joule und schickte noch einen Stoß durch die Brust der Frau. Nichts passierte.
»Wir probieren es noch einmal, bevor wir wieder reanimieren. Ziehen Sie ein Milligramm Adrenalin auf.«
Eine Schwester nickte, hielt eine Spritze vor die Lampe und drückte ein paar überflüssige Tropfen aus der Kanüle. Jensen legte die Paddles auf den Brustkorb und korrigierte deren Lage, damit die maximale Stromstärke direkt ins Herz ging.
»Weg!«
Er drückte ab. Alle Blicke waren auf die EKG-Anzeige gerichtet. Die Pulskurve kam zurück und die EKG-Kurve normalisierte sich. Jensen fühlte mit dem Zeigefinger am Handgelenk der Frau. Der Puls war kräftig und regelmäßig.
»Aller guten Dinge sind drei«, sagte der Anästhesist vom Kopfende der Patientin her.
Jensen musste unwillkürlich lächeln über den seltsamen Witz. Als die Patientin stabil genug war, zog der Anästhesist den Tubus, und Maria Backlund erwachte mit ein paar tiefen Atemzügen zum Leben. Sie schlug die Augen auf und sah sich erschrocken um. Die ruhigste Schwester der Notaufnahme sah sie an und sprach besänftigend auf sie ein. Dann wurde Maria Backlund auf die Herzintensivstation gebracht. Nachdem Jensen die Patientin und einen Bericht übergeben hatte, ging er zurück in die Notaufnahme. Er machte sofort mit der Warteliste weiter, die zum Glück noch nicht weiter angewachsen war. Die Frau mit dem Asthmaanfall war beschwerdefrei und wurde zur Beobachtung in die Lungenklinik überwiesen.
Jensen erledigte seine Aufgaben routiniert, jedoch ohne mit den Gedanken voll dabei zu sein. Er musste immer noch an den Fall Maria Backlund denken. Wieso hörte das Herz bei einem so jungen und gesunden Menschen plötzlich auf zu schlagen? Vor allem mitten im Schlaf?
Es gab keinen Zweifel daran, was passiert wäre, wäre die Schwester nicht so geistesgegenwärtig gewesen. Maria Backlund hatte unglaubliches Glück gehabt. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, arbeitete er sich durch die restlichen Patienten. Als er fertig war, sah er auf die Uhr. Viertel nach fünf. Dennoch fühlte sich Jensen kein bisschen müde. Auf die paar Stunden Schlaf, die bis zur Morgenvisite noch blieben, konnte er auch verzichten.
Er ging auf die Herzintensivstation. Maria Backlund und ihre Schwester lagen jede in ihrem Bett in einem Zimmer mit gedämpftem Licht. Jensen fiel auf, dass auch die Schwester rötliche Haare hatte. Er schlich sich in das Zimmer und sah nach, ob alle Elektroden richtig saßen. Danach kehrte er zur Notaufnahme zurück. Alles war noch ruhig. Er ging in den Personalraum, goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich auf die geschwungene Ledercouch. Ein Bezirksarzt, den er flüchtig kannte, lag mit dem Kopf auf der anderen Armlehne und döste. Als er Jensen bemerkte, rieb er sich gründlich die Augen und setzte sich auf.
»Hallo, noch jemand, der wach ist?«, sagte der Mann und gähnte.
»Das ist wohl relativ«, antwortete Jensen und grinste.
»Wie läuft’s bei euch Ärzten?«
»Volles Haus. Das ist das erste Mal, dass ich mich heute Nacht hinsetze.«
»Wir haben auch ziemlich viel zu tun gehabt. Vor allem Kleinkram. Die Leute kommen abends, weil sie tagsüber keine Zeit haben.«
»Viele haben wohl Schwierigkeiten, von der Arbeit wegzukommen«, sagte Jensen und trank zwei Schluck lauwarmen Kaffee.
Sie saßen ein paar Minuten schweigend da und schauten einen Spielfilm in dem Fernseher, der zur Ausstattung des Raums gehörte. Der Ton war ganz leise gedreht, aber keiner von ihnen machte sich die Mühe, nach der Fernbedienung zu suchen. Jensen kehrte in Gedanken immer wieder zu Maria Backlund zurück.
»Ich hatte da eben einen seltsamen Fall«, sagte er. »Ein Herzstillstand bei einer jungen Frau, gerade mal vierunddreißig Jahre alt.«
Er erzählte kurz, was passiert war. Der Kollege auf dem Sofa hörte aufmerksam zu.
»Herzlichen Glückwunsch«, platzte es am Ende aus ihm heraus; er war von der Erzählung sichtlich aufgemuntert. »Man bekommt nicht jeden Tag die Chance, ein Leben zu retten.«
»Nein«, sagte Jensen. »Aber die Voraussetzungen waren gut. Ihre Schwester hat fast sofort mit der Herzmassage begonnen.«
Der Kollege nickte, offensichtlich beeindruckt. Jensen dachte nach.
»Sind Sie nicht auch der Meinung, dass es seltsam ist, wenn ein so junger Mensch im Schlaf einen Herzstillstand hat? Es muss einen tiefer liegenden Grund dafür geben.«
Der Kollege sah ihn nachdenklich an.
»Was Sie da erzählen, erinnert mich an etwas«, sagte er zögernd.
Jensen zog fragend eine Augenbraue hoch. Der Mann machte eine Geste mit den Händen.
»Ich weiß nicht, ob etwas dran ist, aber ich habe das Gerücht gehört, dass es im Zentrum in letzter Zeit sehr viele Todesfälle gegeben hat. Mit ähnlichen Umständen wie in Ihrem Fall, jedoch natürlich mit einem schlechteren Ausgang.«
»Was meinen Sie?«, sagte Jensen.
»Ganz einfach, dass im Augenblick ungewöhnlich viele sterben. Nachts, im eigenen Zuhause. Und da werden wir dann ja gerufen, um den Tod festzustellen.«
Jensen sah ihn forschend an.
»Von wem haben Sie das gehört?«
»Kennen Sie David Nyström?«
»Den Bezirksarzt aus Bergsåker?«
»Genau den, er macht viele Nachtschichten hier oben. Als ich ihn das letzte Mal getroffen habe, hat er von mehreren Todesfällen erzählt, bei denen er gewesen ist. Anscheinend oft völlig unerwartete, ohne einen offensichtlichen Grund. Aber wie gesagt, vielleicht ist das nur ein Gerücht.«
Der Kollege rutschte zurück in seine ursprüngliche Lage, mit dem Kopf auf der Armlehne und fuhr fort:
»Man kann also sagen, dass ich Glück hatte . . .«
»Wie das?«
»Hätte Ihre Patientin nicht eine so aufmerksame Schwester, hätte ich vielleicht noch mal raus gemusst, um einen weiteren Todesfall aufzunehmen.«
»Ach,