»Hallo«, sagte Axberg. »Wie geht’s?«
Sankari setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. Er kratzte sich am Bart und blinzelte mit den Augen. Axberg wusste schon lange, dass Sankari gute Nachrichten brachte, wenn er so zufrieden aussah.
»Möglicherweise haben wir was in dem Drogenfall entdeckt . . .«
Sankari sprach langsam, als wollte er es noch eine Weile auskosten.
»Wir haben am Hedengrenska Gymnasium eine Lehrerin gefunden, die glaubt, etwas gesehen zu haben.«
Axberg nickte.
»Ein Auto«, fuhr Sankari fort. »Genauer gesagt, einen schwarzen BMW, der an zwei aufeinanderfolgenden Freitagen um die Schule herumfuhr. Beide Male am Nachmittag, als die Schule zu Ende war und die Schüler nach Hause gingen.«
Sankari lehnte sich zurück und machte eine Pause.
»Sprich weiter«, sagte Axberg.
»Da sie wusste, dass die Schüler in letzter Zeit mehr Drogen nehmen, schrieb sie sich die Autonummer auf.«
»Hat sie den Fahrer gesehen?«
»Nein, die Scheiben waren dunkel. Außerdem war sie sich auch nicht sicher, ob der Wagen überhaupt angehalten hat. Sie war nämlich in ihrem Klassenzimmer und hatte keine komplette Übersicht.«
Axberg verzog müde das Gesicht.
»Wem gehört das Auto?«
»Warte, dazu komme ich noch . . .«
Sankari rieb sich ein paar lose Hautschuppen vom Nasenrücken.
»In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der Wagen auch bei dieser großen Raveparty in der aufgegebenen Reifenfabrik am Hafen diesen Winter gesehen wurde. Damals gehörte der BMW zu den Autos, die uns verdächtig vorkamen. Es wurde zwar nichts beschlagnahmt, aber wir haben ein paar Jugendliche erwischt, die was anderes im Blut hatten als nur Sachen aus Papas Bar.«
»Ich erinnere mich daran«, sagte Axberg. »Alle haben sich geweigert zu erzählen, was sie genommen haben und woher sie es hatten.«
»Genau«, sagte Sankari und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. »Verdammt warm. Kannst du noch ein paar Fenster aufmachen?«
Axberg öffnete alle Fenster und ließ Luft hinein, die fast noch stickiger war als die drinnen.
»Der Wagen gehört einem gewissen Ralf Sedin«, fuhr Sankari fort.
»Klingt bekannt. Was haben wir über ihn?«
»Ein Kleinkrimineller mit dem üblichen Kram. Misshandlungen, Hehlerei, Autodiebstahl. Für Geld macht er fast alles. Aber keine schweren Verbrechen.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
»Hier in der Stadt und fährt in ebendem Auto durch die Gegend. Wenn wir Glück haben, taucht er heute vielleicht noch einmal auf. Aber bei diesem Durcheinander müssen wir ganz vorsichtig an den Fäden ziehen. Sonst wird das ganze Knäuel zu einem Knoten, der sich nicht mehr entwirren lässt.«
Axberg stand auf.
»Klingt, als bekämen wir vielleicht trotzdem den Weg hinein, den wir brauchen. Sag mir Bescheid, sobald etwas passiert.«
»Aber sicher«, sagte Sankari und trottete davon.
In der Tür drehte er sich mühsam um.
»Kommst du mit zum Kiosk, um ein Eis zu kaufen?«
Sie verließen gemeinsam das Zimmer, ohne die Tür hinter sich zuzumachen.
Kapitel sieben
Die Mittsommerzeit bedeutet Chaos.
Diese Tatsache wurde in der Notaufnahme des Krankenhauses in Sundsvall jedes Jahr aufs Neue bestätigt. Dass diese unglaubliche Hitzewelle die Stadt diesen Sommer ans Mittelmeer verlegt hatte, machte die Sache nicht gerade besser. Die Leute waren durch die Hitze wie verrückt.
Es ging auf vier Uhr zu, und der Dienst habende Arzt Erik Jensen hatte die ganze Nacht über kein Auge zugetan. Er sah auf die Liste der wartenden Patienten. Es war das Übliche: drei Brustschmerzen, zwei mit akutem Schwindel, ein Asthmaanfall und vier betrunkene Jugendliche, die auf ihren Liegen eingeschlafen waren.
»Wen soll ich mir jetzt ansehen?«, fragte Jensen eine Krankenschwester, die mit einer Infusionsflasche in der Hand an der Anmeldung vorbeiging.
»Weiß ich nicht, ich hatte gerade Pause«, antwortete die Krankenschwester und verschwand durch das Gewühl von Patienten und Personal.
Jensen beschloss, sich einen der drei Brustschmerzen vorzunehmen, und hoffte, dass vor dem Zimmer des Patienten ein EKG-Gerät mit dazugehörigem Blutdruckmessgerät stand. Als er gerade um die Anmeldung bog, wurde der Vorhang zu einem der Überwachungsbetten zurückgezogen. Schwester Helen sah ihn an.
»Könntest du mal kommen?«, fragte sie. »Die Patientin hat Atemprobleme, die Sauerstoffsättigung fällt.«
Jensen schaute auf die ältere, abgemagerte Frau, die halb auf dem Bett saß. In ihren Augen stand Panik, ihre Lippen waren bläulich und ihre Atmung angestrengt. Obwohl sie bereits fünf Liter Sauerstoff durch einen Schlauch bekam, blinkten die Zahlen, die die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut registrierten, zwischen 76 und 78 Prozent.
Jensen nahm die Hand der Frau und redete beruhigend mit ihr, während er gleichzeitig ihr Herz und ihre Lunge mit dem Stethoskop abhörte. Der Brustkorb der Frau hob und senkte sich wie bei einem Vogelküken.
»Wie hoch ist der Blutdruck?«, fragte Jensen.
Schwester Helen blätterte in den Papieren.
»150 zu 90. Kein Fieber. Keine früheren Krankheiten abgesehen vom Asthma.«
»Gibt es eine aktuelle Medikamentenliste?«
Helen öffnete den Mund, um zu antworten. Genau in diesem Augenblick schrillte der Notfallalarm. Eine Sekunde lang stand jegliche Aktivität still. Dann begann eine erstaunlich gut organisierte Handlungskette. Das Chaos war wie weggeblasen, und alle schienen sich genau an dem Platz zu befinden, an dem sie am nützlichsten waren. Jensen sah, wie sich mehrere Krankenschwestern um das Telefon versammelten, um den Bericht des Krankenwagens entgegenzunehmen. Einer der wenigen männlichen Krankenpfleger nahm das Gespräch an. Nach ein paar Sekunden drehte er sich um und rief: »Ein Herzstillstand. Sie sind in fünf Minuten hier.«
Das war Erik Jensens dritter Patient mit Herzstillstand, seit er um sechs Uhr mit der Nachtschicht begonnen hatte. Er hoffte, dass der Ausgang dieses Mal glücklicher sein würde als die vorigen Male.
»Ich komme«, antwortete er.
Er schrieb ein Rezept für den Asthmaanfall und gab es Schwester Helen.
»Es wird gut werden«, sagte er zu der Frau auf dem Bett und klopfte ihr auf die Schulter.
Dann ging er zum Alarmtelefon.
»Bereiten Sie den Notfallraum vor, ziehen Sie Adrenalin auf und überprüfen Sie den Defibrillator«, ordnete er an.
Jensen bekam den Bericht und warf einen Blick auf das Papier.
»Maria Backlund. Erst vierunddreißig? Haben wir Krankenunterlagen?«
»Hier! Ich habe sie gefunden«, rief eine Hilfsschwester, die etwas entfernt an einem Schreibtisch vorm Computer saß.
Jensen lief hin und las.
»Bei uns ist sie anscheinend bisher noch nicht gewesen«, stellte er fest. »Vor einigen Jahren war sie mal beim Chirurgen wegen der Galle.«
Er wandte sich noch einmal dem Krankenpfleger zu.
»Hat der Krankenwagen noch was gesagt?«
»Eine Angehörige, die die Patientin leblos im Bett gefunden hat, hat schon zu Hause mit der Herzmassage begonnen . . .«