Axberg ging an seinen Platz zurück.
»Im Übrigen haben wir nur indirekte Beweise dafür, dass das Zeug tatsächlich in den Schulen selbst verkauft wird«, fasste er zusammen.
»Abgesehen von dem Hasch, das in der Granbergsschule beschlagnahmt wurde«, berichtigte Pablo ihn.
Hamrin ließ sich mit einem dumpfen Knall zurück gegen die Wand fallen.
»Das war doch vor über drei Monaten«, stöhnte er.
»Jedenfalls besser als nichts«, sagte Pablo.
»Ach, lass gut sein«, unterbrach Axberg. »Es ist wichtig, dass wir einen Weg in die Organisation finden, die dahintersteckt. Denn bei den Mengen, die im Umlauf sind, muss es sich um eine Organisation handeln. Und das Ganze geschieht offensichtlich sehr diskret.«
»Ich gehe von einem gut entwickelten Kuriersystem aus, das wir knacken müssen«, sagte Sankari und leckte sich die Reste der Apfeltasche von den Fingern.
»Und das schnell«, sagte Axberg. »Beunruhigte Eltern fragen sich, warum die Polizei nichts unternimmt. Ståhl stellt mir auch jeden Tag diese Frage. Er will Resultate sehen.«
Hamrin verschränkte seine Hände, drehte sie um und ließ sie knacken.
»Er darf gerne seine Papierberge verlassen, herkommen und selbst mit anpacken.«
Niemand am Tisch kommentierte das. Die ständigen Belehrungen des Polizeichefs der Region waren allen nur zu bekannt. Die Sonne fiel durch die schmutzigen Fenster, die zur Storgata hinausgingen. Axberg spürte, wie sein Nacken angenehm warm wurde.
»Ich muss jetzt jedenfalls los«, sagte Sofia und stand auf.
»Du hast Recht«, sagte Axberg, »es ist schon zwanzig nach.«
Genau in dem Moment klingelte das interne Telefon. Sofia beeilte sich hinauszukommen, während Axberg den Hörer abhob und antwortete. Das Gespräch war kurz. Axberg übernahm wieder mal die Rolle des Verteidigers der Polizeiarbeit. Die Kollegen hörten interessiert zu. Es war ungewöhnlich, dass das Telefonat durchgestellt worden war, obwohl sie sich in einer Besprechung befanden.
»Leider«, sagte Axberg. »Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich nicht um ein Verbrechen handelt. Falls neue Fakten vorliegen, können Sie die ordnungsgemäß melden. Das müssen Sie akzeptieren.«
Axberg seufzte und legte auf.
»Das war wieder Pfarrer Ekstedt aus Ljustadalen.«
»Der, dessen Mutter vor zwei Wochen gestorben ist?«, fragte Sankari.
»Genau der. Er hat seit letzter Woche fast jeden Tag angerufen und verlangt, dass wir uns der Sache noch einmal annehmen. Jetzt behauptet er, dass ein alter Wecker, der auf dem Nachttisch der Frau stand, verschwunden ist . . .«
Hamrin löste sich von der Wand und machte einen Schritt nach vorn.
»Er soll verdammt noch mal Ruhe geben. Der Fall ist abgeschlossen. Wir haben nichts gefunden, was auf ein Verbrechen hinweist.«
Hamrin machte eine Pause und atmete tief ein.
»Was ist da draußen eigentlich passiert?«, fragte Sankari.
»Nichts«, donnerte Hamrin. »Wir wurden gerufen, weil der Arzt ein Verbrechen nicht ausschließen konnte. Auf ihrem Nachttisch lagen nämlich mehrere Schachteln Schlaftabletten. Der Arzt glaubte, sie hätte vielleicht eine Überdosis genommen. Und der Pfaffe hat die ganze Zeit was davon gefaselt, dass jemand während der Nacht im Zimmer gewesen sei.«
Sankari zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Warum glaubte er das?«
»Weiß der Teufel. Er konnte auch nichts Genaueres sagen.«
»Und?«
»Wegen der Tabletten ist es zu einer Polizeisache geworden, sogar mit rechtsmedizinischer Untersuchung.«
»Was kam dabei heraus?«, fragte Pablo.
Hamrin verjagte eine Fliege, die sich ins Zimmer geschmuggelt hatte.
»Dass die Gute gestorben ist, weil ihr altes Herz nicht mehr schlagen wollte. Der Todesfall war vollkommen natürlich. In ihrem Blut gab es keine Spuren von Medikamenten. Ich habe den Obduktionsbericht selbst gelesen. Außerdem deutete nichts auf einen Einbruch oder auf Diebstahl hin.«
Axberg trank den Espresso aus und dachte nach.
»Der Fall wurde korrekt bearbeitet. Aber der Pfarrer gibt offensichtlich keine Ruhe. Er war schon die ganze Zeit davon überzeugt, dass jemand in dieser Nacht im Haus gewesen ist. Und die verschwundene Uhr bestätigt ihn jetzt natürlich noch einmal in diesem Glauben.«
»Er sollte sich vielleicht lieber an den Glauben an Gott halten«, sagte Sankari lächelnd, offensichtlich zufrieden über sein Wortspiel.
»Ein schwieriger Typ«, sagte Axberg. »Wir können jedenfalls nicht mehr tun. Ich muss mit der Zentrale sprechen, damit sie nicht alles Mögliche durchstellen.«
Axberg stand auf und schob seinen Stuhl unter den Schreibtisch.
»Zurück zum Tagesgeschäft. Wir sehen uns wie üblich am Nachmittag.«
Alle verließen das Zimmer und machten sich an ihre Arbeit.
Kapitel fünf
Am Freitag, dem 2. Juni, wachte Birgit Öberg auf, weil die Sonne durch das Schlafzimmerfenster schien.
Das Licht wanderte sanft von ihrer Kinnspitze über ihr Gesicht und tauchte ihre Wimpern in ein warmes Orange. Trotz des angenehmen Aufwachens spürte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie fühlte sich innerlich unruhig, und der nächtliche Schlaf hatte ein ungewisses Gefühl des Unbehagens in ihr zurückgelassen. Ein Unbehagen, das schwer zu definieren war. Es war außergewöhnlich, dass sie so empfand, normalerweise war sie ein in sich ruhender, ausgeglichener Mensch, der nur selten unnötige Angst empfand.
Jetzt fühlte sich etwas in ihr kalt und leer an. Kurze, flüchtige Erinnerungsbilder vermischten sich mit den Träumen der Nacht zu einem nicht deutbaren Nebel. Sie versuchte, dieses unangenehme Gefühl zu vertreiben, indem sie an praktische Sachen dachte. Heute würde sie die Betten frisch beziehen und die Daunendecken für den Sommer wegräumen. Ihr Mann hatte sich schon mehrere Nächte hintereinander beschwert, dass er schwitze. Außerdem weigerte er sich, ohne Schlafanzug zu schlafen. Also würde sie dem Bett nun ein Sommerkleid anziehen. Weiter kam sie in ihren Gedanken nicht, weil die Unruhe sie wieder überfiel, und zwar stärker und intensiver als vorher. Ihr Herz pochte laut in ihrer Brust. Irgendetwas an der Stille des Zimmers beanspruchte ihre Aufmerksamkeit. Etwas fehlte.
Sie schlug die Augen auf. Alles sah so aus wie immer.
Kent lag wie üblich da und schlief, mit dem Rücken zu ihr gewandt. Die Zudecke hatte er zu einem Hügel an seinen Füßen zusammengeschoben. Sie starrte ein paar Sekunden lang auf seinen Rücken. Und da wurde ihr klar, was nicht in Ordnung war. Der Brustkorb bewegte sich nicht. Kents normalerweise seufzende Atemzüge waren verstummt. Das Einzige, was man im Zimmer hörte, waren ihr eigenes Atmen und ihr pochendes Herz. Sie legte ihre Hand auf Kents Schulter und rüttelte. Keine Reaktion. Die Schulter fühlte sich kalt an, und als sie stärker schüttelte, kippte der Kopf steif vor und zurück. Sie rief seinen Namen. Er antwortete nicht. Ihr wurde schwindelig, eine leichte Übelkeit setzte sich im Magen fest. Mit einem Mal war sie hellwach. Mit einer ziemlichen Kraftanstrengung drehte sie ihn auf den Rücken. Das Gesicht war bleich und leblos. Die Augen offen, große Pupillen starrten mit leerem Blick an ihr vorbei. Da begriff sie für einen Augenblick das Unfassbare. Kent war tot.
An das, was dann passierte, erinnerte sich Birgit Öberg nur verschwommen. Sie hatte den Notruf angerufen. Fragmentarische Bilder von zwei Männern in roter Kleidung, die einen erfolglosen Wiederbelebungsversuch durchführten. Nach einer Weile, als sie