Das Schicksal der Lilian H.. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718513
Скачать книгу
um den weißen Leinenrock zu glätten.

      Fräulein Föllner, ihre Kollegin, beobachtete sie dabei über ihre Brille weg mit einem Ausdruck zornigen Neides, die schmalen Lippen zusammengepreßt, die Nasenflügel bebend.

      Lilian Horn lächelte auf sie herab. »Machen Sie sich nichts draus, Süße … bald fahr’ ich in Urlaub, und dann haben Sie wieder mal Gelegenheit, sich vom Alten unter den Rock fassen zu lassen!«

      Fräulein Föllners graues Gesicht verzog sich, als wenn sie in eine Zitrone gebissen hätte. »Wie können Sie es wagen?« fauchte sie.

      Lilian Horn lachte nur, nahm die beiden Unterschriftsmappen, klappte sie zu und tänzelte durchs Zimmer. Sie öffnete die Doppeltür und schloß sie sorgfältig hinter sich. Direktor Kurt Kayser blickte hoch, als sie eintrat, und in seinen hellblauen, leicht quellenden Augen leuchtete bewundernde Lüsternheit auf. »Wie machen Sie das nur, Lilian? Nach acht Stunden Büro sehen Sie immer noch wie aus dem Ei gepellt aus!«

      »Eine Sache des Trainings, Herr Direktor.« Lilian Horn legte die beiden Mappen auf den Schreibtisch, schlug die oberste auf und schob sie vor ihn hin; als er an der Schleife ihrer maisgelben Chiffonbluse zupfen wollte, gab sie ihm einen leichten Klaps auf die Hand.

      Er unterschrieb, und sie blätterte um. Dabei sah sie auf seine glatte, sonnengebräunte Glatze, die von einem gepflegten eisgrauen Haarkranz umgeben war. Als er sich einem längeren Brief widmete, glitt ihr Blick sehnsüchtig zur Fensterwand, hinter der sich das Panorama der Industriestadt am Rhein mit ihren Schloten und Fördertürmen unter einem dunstig blauen Himmel ausbreitete.

      »Ich fliege übers Wochenende nach Sylt«, sagte Direktor Kayser, während die Spitze seines Kugelschreibers ein vergessenes Komma einsetzte. Seine Unterschrift war zügig und kurz, man erkannte eigentlich nur das K.

      »Na, dann viel Spaß!« Lilian Horn blätterte um.

      »Du brauchst nur ein Wort zu sagen, und ich nehme dich mit!«

      Er wechselte, scheinbar unwillkürlich, vom förmlichen Sie zum vertraulichen Du über.

      Sie merkte es sofort. »Bin zu Tränen gerührt.«

      »Aber …?«

      »Kein Interesse.«

      Jetzt legte er den Kopf zurück. »Du weißt, daß ich es ganz ernst meine, Lilian! Du bist für mich die berückendste, entzückendste …«

      Ihre bernsteingelben Augen funkelten. »Wie originell! Übernimm dich nur nicht!«

      Er legte den Arm um ihre Hüften und zog sie an sich. »Ich hätte mich schon längst scheiden lassen …«

      Sie befreite sich geschickt von seinem Griff. »Das hat niemand von dir verlangt!«

      »Ich hätte es getan«, beharrte er, »wenn meine Frau nicht so krank wäre. Aber kann man einen Krüppel im Stich lassen? Sie hat niemanden und nichts außer mir.«

      »Wie geht es ihr?« fragte Lilian, und der Klang ihrer Stimme hatte sich verändert.

      »Ihre Krankheit ist unheilbar, und sie weiß es.« Seine vollen Lippen zuckten. »Es ist ein Elend, sie so dahinsiechen zu sehen.«

      »Aha, jetzt verstehe ich«, sagte Lilian Horn, und ihr Spott hatte etwas Gewaltsames, »darum läßt du sie auch jedes Wochenende allein? Damit du es nicht …«

      In diesem Augenblick entdeckte sie, daß die Sprechanlage eingeschaltet war. Sie drückte auf die Taste, und das grüne Licht erlosch.

      »Verdammt«, sagte er, »das hatte ich übersehen. Sehr schlimm?« Seine Hand glitt ihre perlonbestrumpften glatten Oberschenkel hinauf. »Jetzt habe ich dich kompromittiert.«

      Sie trat einen Schritt zurück. »Mich doch nicht.« Sie verzog ihre schönen, sorgfältig angemalten Lippen zu einem Lächeln. »Du kennst meine Devise: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt man gänzlich ungeniert!«

      »Du kommst also mit?«

      »Aber nicht doch, Chef! Nicht wieder dieselbe Leier von vorne!« Sie nahm die beiden Unterschriftsmappen an sich, berührte flüchtig mit den Lippen seine Glatze und tänzelte zur Tür. »Ich hab’ was Besseres vor!«

      Er drückte auf die Sprechtaste. »Fräulein Föllner, bitte …«

      »Herr Direktor?« Die Stimme des ältlichen Fräuleins kam atemlos, fast keuchend vor Erregung.

      »Verbinden Sie mich, bitte, mit meiner Frau!« Er beugte sich weiter vor. »Moment mal, Fräulein Föllner … im übrigen verlasse ich mich ganz auf Ihre Diskretion. Haben Sie mich verstanden?«

      2

      Schwester Elise machte sich in dem weiten, vom Sonnenlicht durchfluteten Zimmer zu schaffen, während Frau Kayser telefonierte. Dabei beobachtete sie die Patientin unauffällig aus den Augenwinkeln, so daß sie gleich zur Stelle war, als der Hörer der kraftlosen Hand entfiel und an der kurzen Schnur hinunterbaumelte. Sie schnappte ihn, hielt ihn ans Ohr, legte ihn dann jedoch, da sie nur das Freizeichen hörte, auf die Gabel zurück. Danach blieb sie beim Bett stehen und blickte mit undeutbarem Ausdruck auf Irene Kayser herab, die mit geschlossenen Augen in ihren Kissen lag. Die bemalten Lippen der Kranken, die getuschten Wimpern und die gezupften Brauen wirkten gespenstisch in dem blassen, schlaffen, aufgedunsenen Gesicht. Frau Kaysers dunkles, mit einer weißen Strähne durchzogenes Haar war sorgfältig frisiert. Sie trug ein langärmeliges, weißes, hochgeschlossenes, mit Spitzen besetztes Nachthemd, und trotz der sommerlichen Wärme hatte sie einen bunten Kaschmirschal um den Hals geschlungen.

      Die junge Schwester sagte nichts und fragte nichts, denn sie war lange genug im Haus, um zu wissen, was ein solcher Anruf Herrn Kaysers am späten Freitagnachmittag zu bedeuten hatte.

      Als die Kranke sich nicht rührte, trat die Pflegerin in die offene Terrassentür hinaus und blickte über den sehr grünen kurz geschnittenen Rasen, auf dem die Wassersprenger sich drehten, zu den Beeten blühender, leuchtender, duftender Rosen hinüber.

      »Schwester …«

      Die Stimme Irene Kaysers war kaum vernehmbar, dennoch genügte sie, um die Pflegerin zusammenzucken zu lassen. Sie drehte sich um und eilte an das Bett.

      Die Patientin sah sie aus glanzlosen Augen an. »Sie können mich abschminken, Schwester.«

      Der Raum, in dem die Kranke lag, war ursprünglich das Eßzimmer der Kayserschen Villa gewesen, davon zeugte noch jetzt die Anrichte aus weißem Ahornholz, die eine ganze Wand einnahm. Auf ihr hatte Schwester Elise die Utensilien aufgebaut, die sie zur Pflege der Patientin brauchte. Jetzt stellte sie verschiedene Flaschen und Dosen auf einen Teewagen, holte aus der Küche eine flache Plastikschale voll lauwarmen Wassers und schob den so beladenen Wagen dicht an das freistehende Bett. Sie setzte sich auf den äußersten Rand, beugte sich hinüber und begann sehr behutsam das Gesicht der gelähmten Frau mit einer dicklichen weißen Flüssigkeit zu massieren.

      »Sie dürfen das meinem Mann nicht übelnehmen«, sagte Irene Kayser, »er ist so vital … so voller Leben … er muß von Zeit zu Zeit hier heraus, verstehen Sie?«

      »Wir beide werden uns ein ganz gemütliches Wochenende machen«, versprach Schwester Elise, »wenn es morgen so schön bleibt, kann ich Sie vielleicht auf die Terrasse schieben.«

      Die Stimmung der Patientin schlug plötzlich um. »Spielen Sie bloß nicht die Aufopferungsvolle! Als wenn ich nicht wüßte, wie sehr Ihnen die Arbeit, die ich Ihnen mache, zum Hals heraushängt.«

      »Sie gehört zu meinem Beruf«, erwiderte Schwester Elise sanft, »für den ich mich freiwillig entschieden habe.« »Tun Sie nur nicht so, als wenn es Ihnen nichts ausmachen würde, einen Krüppel wie mich zu pflegen! Ich weiß genau, wie sehr Sie mich hassen … nein, nein, verteidigen Sie sich nicht, ich nehme es Ihnen ja gar nicht übel, ich hasse mich ja selber. Was für ein Leben. Immer nur allen anderen zur Last fallen … ohne Aussicht auf eine Heilung.«

      »So dürfen Sie nicht reden, gnädige Frau«, erklärte Schwester Elise mit Nachdruck,