Darüber lachten wir nun wieder. Wir ersannen geheime Ausdrücke für dies und jenes, und wir dressierten das Baby Hänsi, erst »Ä bebeh« zu sagen, ehe wir ihm eine Erdbeere in den Mund steckten. Timmi erzählte von ihrem Bruder und von ihrer rührend guten Mutter, die als Vortragskünstlerin im Lande umherreiste und selber vielen Annehmlichkeiten entsagte, um ihre Kinder versorgt und froh zu wissen. Mutter und Tochter liebten sich innig; wie mir manchmal schien, fast zu übertrieben.
Wieder wurde Theater gespielt. Bei den Proben redeten alle Gräfinnen und die anderen aristokratischen Damen drein. – Rommel und ich unternahmen mit den schwedischen Zofen A. und N. einen Waldausflug. – Rommel und ich stießen auf dem Grünen Korridor zusammen, als jeder von uns heimlich eine bestimmte Tür ölen wollte.
Die Erzieherin Dürchen Moll kam an, von den Kindern stürmisch begrüßt, von Rommel, Timmi und mir skeptisch angesehen, weil ihre Beliebtheit uns stutzig machte. Sie war schon früher im Hause gewesen und hatte auch an dem Bücherkatalog mitgearbeitet. Ihre Intelligenz wurde vom Grafen sehr geschätzt.
Abends wartete ich am Feldmarschallteich mit einer Blendlaterne, um Eichhörnchen zu überraschen. Im Wasser plätscherten kleine Tierdramen. Rote Fische furchten die Wasserlinsen und umkreisten Seerosen.
Ein großes Fest. Rosengeschmückte Tafel, schöne Damen in großer Toilette. Eichhörnchen in Rot mit ihren runden Schultern. Nachts lag eine schwüle Sinnlichkeit in der Luft im Park. Schatten huschten, und ein verabredetes Krähenzeichen ertönte. Dieser Park war zauberhaft schön. Um die Dämmerstunde schwebten Hunderte von Glühwürmchen umeinander wie Sterne im System auf verwundenen Bahnen. In dieser romantischen Natur führten die Kinder einmal Shakespeares Sommernachtstraum auf. Sonntags stelzte ein grün uniformierter Wächter dort herum.
Ich las so viel, daß meine Augen manchmal versagten.
Ich radelte spazieren, pflückte mir Kirschen von den Bäumen, holte Eichhörnchen ab, und wir wanderten durch den Wald. Die wilden Tauben gurrten, es klang, wie wenn ein Stock gegen Gitter oder über Speichen streift. Alles blühte. Mademoiselle begegnete uns und beklagte sich über die Kinder. Der Postbote brachte mir einen Brief aus China vom Onkel Martin. Das Kuvert war über und über mit Revolutionsmarken beklebt.
Eichhörnchen ging in die Ferien, war voller Sehnsucht nach ihrer Mutter. Auch ich nahm zehn Tage Urlaub, war bei meinen Eltern mit meiner Schwester und meiner Schwägerin und mit Nichten zusammen. Darauf fuhr ich nach München zu Seelchen und den Freunden. Hinterher traf ich mich mit Eichhörnchen in Kosen »Zum mutigen Ritter«. Wir gondelten auf der Saale und fochten mit zwei harten Köpfen einen kleinen Streit aus.
Wieder Klein-Oels. Spaziergänge, Visiten, Erlebnisse, Gelage, Diners, Kaffeegesellschaften. Ich verliebte mich in eine schöne Dame X. von X., die zu Gast war, und da ich auf Gegenliebe stieß, ergaben sich galante und riskante Abenteuer. Nun kamen mir Gewissensbisse in der Frage, wie das enden sollte, wenn Timmi zurückkäme.
Die Stockrosen blühten. Wie in Halswigshof. Eine Tanzlehrerin aus der Schule Hellerau war engagiert, um den Komtessen rhythmischen Unterricht zu erteilen.
Eichhörnchen kehrte an meinem Geburtstag zurück. Rommel und ich empfingen sie im Pelz und mit Strohhüten und überreichten ihr Geschenke. Ich hatte ihr das Buch über die Giftmischerin Gesche Gottfried Timm aufs Zimmer gelegt, die Gräfin Yorck hielt das für roh und entfernte das Buch wieder. Eichhörnchen fand aber nachts meine »Schnupftabaksdose« mit einer Widmung unterm Kopfkissen und eine Flasche Sekt unterm Waschtisch, die ich mir von Tietzefreund erbeten hatte.
Bei der Mittagstafel hob der Graf sein Glas auf mein Wohl. Abends feierte ich mit Rommel bei Rotwein im Dorf. Nachts gestand ich Eichhörnchen meinen Flirt mit X. von X., worauf sie sehr verstimmt wurde. Auch die Rentmeisterin war darüber verstimmt. Ich wußte nicht, wie ich mich von X. von X. mit Anstand losmachen könnte. Notlügengespinste. Dann auf einer weiten Wanderung abends eine Aussprache mit Eichhörnchen, die mir weinend schließlich verzieh. Es folgten Klatschgeschichten. Dann reiste X. von X. ab, und die Ruhe war wiederhergestellt.
Ich richtete es so ein, daß mir verschiedene Personen begegneten, als ich noch spät nachts, mit schweren alten Folianten unterm Arm und einem Leuchter in der Hand, nach der Bibliothek ging. Und wer lange aufblieb, konnte noch beobachten, daß die Kerze den Rest der Nacht über in der Remise brannte, und mußte von mir denken: Der fleißige Bibliothekar arbeitet immer noch. In Wirklichkeit las ich in Eichhörnchens Zimmer meine eben vollendete Novelle vor »Der tätowierte Apion«. Die Hauptfigur darin war ein Professor, mit dem eigentlich der Graf geschildert war. Auch hatte ich sonstiges Wahre mit Dichtung verquickt.
Der Graf nahm mich in seinem Auto mit, als er nach dem polnischen Ort Simmelwitz fuhr, wo er an einer Bezirksausschußsitzung teilnahm. Wir überfuhren mehrere Gänse. »Gehören nicht zu mir«, sagte er weiterfahrend. Während er in Simmelwitz seine Geschäfte erledigte, trieb ich mich müßig herum. In einer offenen Gruft fand ich einen weiblichen Totenschädel, den ich mitnahm und der später einmal Liberia Tut getauft wurde. Dann läutete ich die Sterbeglocke und beging überhaupt lauter Unfug.
Eine scheinheilige, stolze Exzellenz von Boguslawosky oder ähnlich. Mein Gott, was für niedrige hohe Menschen lernte ich kennen! Sie leben vielleicht noch. Ich will viele nicht nennen. Sicherlich habe ich oft auch ganz falsch gesehen.
Nach dem Abendessen las der Graf einer größeren Gesellschaft vor. Euripides, Pandora von Goethe und von dem spanischen Dichter Alarcon. Alle Damen waren entsetzt und nervös, niemand durfte unterbrechen, nicht einmal die alte Gräfin-Mutter.
Der Graf sagte gelegentlich: »Mich interessieren nur Autoren, die mindestens fünfzig Jahre tot sind.«
Mittags lag es oft wie eine Schwüle über der Tafel. Außer dem Grafen sprach eigentlich niemand etwas selbständig. Der Graf redete mit Esprit und Kenntnis, lebhaft und ironisch, wiederholte sich allerdings häufig, wie ich das auch von Seebach her kannte und verständlich fand. Wenn wir andern zehnmal gehört hatten, daß Lamettrie an Trüffelpastete gestorben war, dann vergaßen wir es nimmer.
Es wurden große künstliche Fischteiche angelegt. 135000 stecknadelgroße Fischlein wurden hineingesetzt. Alsbald stellten sich Wildenten und Reiher ein. Das war alles sehr interessant. Herr Neugebauer oder der Gärtner hatte mir eine alte ziselierte Flinte verkauft, die von einem Grafen von Schönaich-Carolath stammte und einen leichten Riß im Rohr hatte, weshalb niemand sich getraute, mit ihr zu schießen. Ich pulverte lustig damit los.
Intrigen, Klatsch, Hühnerjagden. Exzellenz der General Wildenbruch, ein Bruder der Gräfin-Mutter, kam zu Besuch. Es kam viel Besuch, einmal auch der Kardinalfürstbischof D. Kopp.
Eins oder das andere von den Kindern war krank. Die Gräfin lag wieder zu Bett, erwartete wieder ein Kind.
Mitte September. Erntefest für Klein-Oels. Die Leute zogen mit Musik vors Schloß, die alte Schmidten im Rollstuhl. Der Inspektor hielt eine Rede. Er bedauerte, daß die Gräfin nicht erscheinen konnte, wünschte sie und die hochgräflichen Kinder bald in Gesundheit zu erblicken und endete mit einem Hoch auf den Grafen. Der Graf antwortete: Ich danke euch, Kinder, für die Mühe im verflossenen Arbeitsjahr. Der Inspektor hat ganz recht, wenn er sagt, es kommt niemals so schlimm, wie wir gefürchtet, und niemals so gut, wie wir gehofft, aber wir müssen eingedenk sein, daß alles zu unserem Besten von Gott gesandt wird ... Weil diesmal die alte Schmidten nicht tanzt, kann ich hier auch nicht tanzen. Wir wollen altem Gebrauch nach nun alle singen »Nun danket alle Gott« und zuvor – auch altem Brauch nach – eurem Inspektor ein Hoch ausbringen. Dann wurde der Graf bekränzt und verteilte Geld. Auch ich erhielt – – einen Kranz