Mit dem Hund blieb es die alte Geschichte. Wie er bald meine Wut, bald mein Mitleid erregte, verdrosch oder liebkoste ich ihn. Für Futter sorgte ich, so gut ich konnte, mußte aber selbst gründlich kennenlernen, was es heißt, Hunger leiden.
Kapitän Pommer gab mir ein Scheibchen Schinken, das ich mit Koch und Steuermann teilte, und das war ein so wundervolles Ereignis, daß ich ihm mehrere Zeilen in meinem Tagebuch widmete.
Der 28. April war ein prächtiger Sonntag. Die Sonne schien warm auf das ausgetrocknete Deck. Eine frische Brise wehte, und wir waren alle fideler Stimmung. Ich aß zum erstenmal, seit ich an Bord war, Salzfleisch, und zwar in ungeheurer Quantität, als wollte ich mich mit einem Male für die vorangegangenen vegetarischen Tage entschädigen. Dann kletterte ich in die Takelage, setzte mich auf die oberste Rahe und blickte über die weite, weite Wasserwüste.
Eigentümliche, große Empfindung, im Sturm in luftiger Höhe zu sitzen, mitten im Ozean, mit dem Gedanken, soundso viele Meilen vom Lande, von den Menschen und von der Heimat entfernt zu sein! Unter mir erschien das Schiff wie ein Plättbrett und die Menschen darauf wie große Käfer.
Einmal hörte ich Kapitän Pommer nach mir rufen: »Seppl, wo bist du?« Und als ich von meiner Höhe zurückgab: »Hier, auf dem Royl«, hörte ich ihn etwas wie »Verfluchter Bengel« wettern, aber es klang lachend und halb freundlich. Auch er war an diesem Tage gut aufgelegt. Nach dem Mittagessen sagte er, auf das Geschirr deutend: »So, nun schmeiß alles über Bord, und morgen deck's wieder auf.«
Es war wirklich ein strahlender Sonntag. Nicht einmal eine Hundezigarre fand ich auf meinem gewohnten Gang übers Achterdeck.
Nachmittags fand zum allgemeinen Gaudium ein Ringkampf zwischen mir und dem Franzosen statt.
Nur ein Übel machte sich an diesem Feiertag unangenehm bemerkbar: Wir litten Wassernot. Die Tanks waren bis auf einen kleinen Rest Wasser erschöpft. Dieser durfte als Notbestand nicht angerührt werden. Da kam uns das Regenwasser zustatten, das sich in einer leeren, an Deck befindlichen Salzfleischtonne angesammelt hatte. Gierig sogen wir alle an dem Schlauch, der in die nicht ganz klare Flüssigkeit getaucht wurde.
Je näher wir der Neuen Welt kamen, desto früher dunkelte es abends. Natürlich wurde auch die Uhr täglich entsprechend zurückgestellt. Der Montag verlief nicht so ruhig wie der vorangegangene Sonntag. Ich hatte mich auf die Lauer gelegt, um den Hund einmal beim Naschen zu erwischen, und faßte ihn auch richtig ab, als er im Begriff war, ein Stück Büchsenfleisch aus dem Spind zu holen. Ich erhielt für meine Denunziation vom Kapitän ein Stück Schinken als Geschenk.
Wir sichteten wieder Rudel von Schweinsfischen.
Eine regelmäßige Essenszeit hatte ich nicht, sondern aß während des Servierens oder in freien Augenblicken zu irgendeiner Stunde.
Bootsmann schlug mich mit der Faust und dann mit einem Tau auf den Kopf, weil ich den Tisch mit Werg anstatt mit einem sauberen Tuch abgewischt hatte. Ich verbiß den Schmerz, aber als ich allein war, hatte ich Mühe, Tränen zu unterdrücken.
Abends lag ich gewöhnlich noch lange in meiner Koje wach. Mit dem Mondschein, der durch die offene Tür in die Kammer drang, kamen oft sehnsüchtige Gedanken, die von meinen Idealen, von Freiheit und Abenteuern erzählten.
Nie hätte ich geglaubt, wie unendlich viele Farben und Eindrücke die beiden Elemente Meer und Himmel bieten können, bis ich es nun selbst sah.
Wir änderten jetzt unseren Kurs, doch war ich noch nicht Seemann genug, um dieses Manöver selbst wahrnehmen zu können. Ich wurde mit der fachmännischen Arbeit betraut, die Gottings auf der Großrahe zu überholen.
Den Hund mußte ich dreschen, weil er sich wieder in dem Lorbeerkranz verewigt hatte.
Ein großer Moment: Es gab zum erstenmal mittags Reis. Er war ohne jede Zutat nur in Wasser gekocht. Mit stiefelwichsähnlichem Sirup vermischt, schmeckte er mir aber ebenso gut wie einst Mutters Milchreis. Sirup war das Element, in dem ich nun schwamm.
Eines Tages erregte ein Schuß meine Aufmerksamkeit. Steuermann hatte eine Möwe geschossen.
Mit dem Koch war schwer auszukommen. Sein prahlerisches Wesen war mir zuwider. Es gab aber Stunden, wo er ein wenig, ich möchte sagen, wieder thüringisch wurde. Solche Stimmungen benutzte ich dann, um mir von ihm Aufklärung in seemännischen Fragen zu holen oder plattdeutsche Seemannslieder beibringen zu lassen: »Im Schottischen Hering zu Altona« – oder »Wenn hier en Pott mit Bohnen steit« und andere. –
Am ersten Mai sichteten wir Madeira. Der Hund fraß den zweiten Sammetschuh von Kapitän Pommer, was ihm wieder eine Tracht Prügel eintrug.
Abends schlug ich mich mit Paul, weil er in irgendeiner Sache nicht Wort gehalten hatte.
Meine Kammer sah traurig aus. Mit der Zeit traf ich verschiedene Verbesserungen und machte mir den Aufenthalt gemütlicher. Es war ja nur eine ganz winzige Ecke, wo ich meine freien Stunden zubringen konnte und wo ich schlief, aber um so größer war die Freude, wenn ich durch irgendeine simple Einrichtung, sei es durch Anbringung eines Bordes, sei es durch Aufhängung eines Liebig-Bildes, Schmuck oder Bequemlichkeit hineinbrachte.
Unglaublich war aber auch wirklich die Unsauberkeit um mich herum. Es war unmöglich, einen Brief zu schreiben oder sonst eine saubere Arbeit vorzunehmen.
Hinter Madeira wurde ich zum erstenmal ans Ruder geschickt, allerdings vorläufig unter Aufsicht. Ein Ehrenposten! Mit nicht geringem Stolz löste ich den Rudersmann ab und übernahm den Kurs und die Führung des Schiffes.
Das Ruder befand sich achtern auf dem Kajütsdeck. Der Mann, der es bediente, sah durchs Kajütsglasdach auf den Kompaß. Er konnte dabei auch den Mahlzeiten in der Kajüte zusehen. Was natürlich sehr interessant war. Ich stand in der Folgezeit häufig und gern am Ruder. Das war ein seemännischer, nicht anstrengender Posten, bei dem ich meinen persönlichen Gedanken nachhängen konnte.
Ein kleines Erlebnis prägte sich mir ein. Eine Schwalbe, auf der Rückreise aus dem Süden begriffen, hatte sich ermüdet auf dem Schiff niedergelassen und in meine Kammer geflüchtet. Das kleine, stahlblaue Tier gefiel mir. Ich beschloß, es zu fangen und auszustopfen. Verroht, wie ich durch meine Umgebung geworden war, griff ich das Tier und preßte ihm die Kehle zusammen, um es zu ersticken. Als ich aber sah, wie es vor Schmerz und Angst die schönen dunklen Augen verdrehte, dauerte es mich wieder, so daß ich es freiließ und in ein weiches Nest aus Werg bettete. Der kleine Vogel erholte sich und flog eines Tages von dannen.
Auf dem Gebiet der Kochkunst erlitt ich wieder Fiasko. Ein Kuchen, den ich aus getrockneten Kartoffeln und Zwieback herzustellen versuchte, mißriet völlig.
Die schrecklichste Arbeit für Paul und mich war das Heraufholen von Kohlen aus dem Kohlenschacht. Dieser enge Raum lag tief unten und war so schmutzig, daß man ihn stets ganz und gar schwarz verließ. Natürlich war er völlig dunkel. Eine steile, eiserne Leiter führte hinunter, und es war nicht leicht, mit den schwer gefüllten Eimern in der Hand wieder hinaufzuklimmen. Paul warf noch dazu gewöhnlich unten das Licht um, und dann stießen wir uns in der Dunkelheit bald hier bald dort die Köpfe.
Die nächsten Tage verliefen ziemlich unruhig. Es gab so viel zu tun, daß ich manchmal glaubte, nicht mehr mitmachen zu können.
Im Matrosenlogis machte sich die Unzufriedenheit mit der Kost immer lauter bemerkbar. Als der Koch eines Tages den Reis für die Mannschaft wieder besonders schlecht zubereitet hatte, ging Jahn mit der Schüssel zum Kapitän, hielt ihm den Reis vor und sagte in seiner trotzigen Art: »Captain, son Negerfraß kann man doch nicht fretten!« Die Folge war, daß es seitdem vorn kein warmes Frühstück mehr gab. Kapitän Pommer war entschieden kein Gourmet und meinte auch zu mir: Ich müsse recht rohe Kost essen, das sei gesund.
Einmal, als ich in meiner Koje im Begriff war einzuschlafen, sah ich Jahn in meine Kammer schleichen und sich an der