Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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anzustacheln, seine Zähne mit Kochsalz, daß der ganze Mund blutete. Dann holte er Asche aus dem Ofen, füllte sich damit die Mundhöhle und spülte sie danach mit Wasser aus. Es bot einen barbarischen Anblick, wie er so einen Strahl Schmutz und Blut in den Eimer spie und hatte wohl den Zweck, mich furchtsam zu machen. Kaliske ergriff jetzt seine Geige, neigte das erblaßte Gesicht tief darauf und schloß die Augen. Der Bogen fuhr ein paarmal wie taumelnd durch die Luft, dann spielte er sich sacht auf die Saiten. Ein Geflecht schneidend feiner Singtöne, wie es Mückenschwärme im Sommerlicht uns um den Kopf weben und dadurch das Kochen der stehenden Glut vermehren, zitterte er aus dem Holz heraus und erfüllte damit die Stube. Ich ward von dem summenden Singen wie benebelt, unerträgliches Unbehagen erfüllte mich, und ich hätte mich schreiend auf Brandt stürzen müssen, wenn er nicht schon mit einer Grimasse des Lächelns, die Zähne breit und weiß, auf mich zugetreten wäre. Ich entblößte schnell auch den linken Arm bis hinauf zur Achsel und verschränkte ihn mit dem linken Arm meines Gegners so, daß die Muskeln des Oberarmes sich bequem den Schlägen darboten. Nun ich das warme, zuckende Fleisch Brandts an dem meinen spürte, flog einen Moment ein Rausch durch mein Hirn. Aber ich biß die Zähne zusammen und packte, um mich zu halten, mit finsterem Auge in das Gesicht Brandts, das noch immer automatenhaft lächelte. Plötzlich tauchte ich ganz ins Klare, Kalte. Der kleine Mach lag mit dem Gesicht auf der Tischplatte, Kristen und Schick starrten offenen Mundes auf uns. Auch Kaliske mußte aufgeblickt haben, denn seine Geige stieß einen langen, schrillen Schrei aus und stürzte sich nach einem Stakkatolauf in den Taumel eines rasenden Tanzes. Da gab's kein Halten mehr! Noch ehe Rieder das Zeichen zum Anfang geben konnte, hieb ich meine scharfen Knöchel in die Muskeln meines Gegners und erhielt darauf einen Schlag, der wie ein schwaches Klirren mir den Rücken hinunterlief. Bald waren wir im Takt. Eins, zwei! Eins, zwei! Unsere Arme röteten sich immer tiefer. Die Schläge lagen eine Weile wie weiße Flecken in der Haut. Nun schoß mir von jedem Hieb ein Reißen und Bersten durch die Muskeln. Aber: Eins, zwei! Eins, zwei! Die Geige jauchzte wie toll. Meine Faust war nur noch ein Stein am Arm, der immer größer, schwerer und wuchtiger wurde. Ich hatte jedes Gefühl verloren. Die Schläge Brandts wirkten nur als dumpfe Erschütterungen. Bis auf eine Empfindung, als umspanne ein Griff schmerzend meinen Hinterkopf, war ich ruhig. Aber da erhielt ich einen Hieb zwischen den Oberarmmuskel und den Beuger, wie einen Messerschnitt in den Knochen und warf meinen Fauststein mit Wut auf dieselbe Stelle Brandts. Davon zitterte Blässe über sein Gesicht. Noch einen Schlag! Seine Augäpfel wankten, noch einen! Der Griff umklammerte meinen Hinterkopf schmerzender. Aber: Eins, zwei! Eins – zwei! Ich sah, wie Rieder auf- und abschwankte. Die Nase Brandts wurde lang wie ein Schnabel, als laufe sie aus dem Gesicht. Da riß man uns auseinander. Mach lag mit vergrabenem Gesicht weinend auf dem Tisch. Schick und Kristen standen am Fenster und wagten nicht, sich umzudrehen. Kaliske hielt die Geige immer noch krampfhaft unter das Kinn gestoßen; aber der Arm mit dem Bogen hing schlaff herunter, und die weiten Augen standen wie abwesend im blassen Gesicht. Brandt ging ruhig, als sei nichts geschehen, zu seinem Bett und streifte sich den Hemdärmel herab. Ich goß mir Wasser ins Becken und kühlte meinen Arm, der zu schmerzen anfing. Schon sah er blau aus, und das Blut war aus den geborstenen Gefäßen unter der Haut bis in die Hand gespritzt. Niemand wagte zu sprechen. In der Luft lag der Atem einer denkwürdigen Tat. Rieder bemühte sich um mich, und ich wehrte, nur zum Scheine, diese Ehre ab. Bald aber ward meinem Stolze hart zugesetzt, und weil ich bemerkte, daß auch Brandt großer Erschöpfung nicht mehr recht Herr werden konnte, ließ ich einem ziemlich kläglichen Gefühl immer größeren Spielraum in mir. Aber, den Arm hochgelagert, hielten wir tapfer bis nach dem Abendbrot aus. Wir genossen es mit einer Hand und krochen dann beide ins Bett.

      Den ganzen anderen Tag brachte ich unter der Decke zu. Die linke Körperseite war angeschwollen, und der Arm schwarz wie ein Ast der Erle. Unsere Wirtin witterte wohl etwas von einem unbotmäßigen Ereignis; aber sie mußte sich damit beruhigen, daß ich an Magenkrampf und Brandt an Kopfweh leide. Mit heiterer Würde trank ich mehrere Tassen eines abscheulichen Tees, während sich Brandt trotz grämlichen Protestes ein dickes Tuch um den Kopf winden lassen mußte, überhaupt lag er blaß, stumm, zerrieben auf seiner rechten Seite und fuhr fast den ganzen Tag mit dem Zeigefinger um einen Ast im Sitzbrett des Stuhles. Er machte den Eindruck eines Menschen, dem seine Weltanschauung zertrümmert worden ist, eines Philosophen ohne System, eines entthronten Fürsten, und wenn er je seine Augen zu mir erhob, so war es, als spucke er vor mir aus. Kaliske würdigte mich keines Blickes, sondern saß den ganzen Tag an Brandts Bett und goß ein dünnes, unruhiges Gelispel in das bleiche Gesicht des Stoikers. Mich erfüllte ein sicheres Behagen, und ich mußte an mir halten, nicht breit und dröhnend herauszulachen. So verging der Sonntag, Zeit genug, daß die ehrgebundenen Lippen unabsichtlich dies und das von dem denkwürdigen Kampfe verlieren konnten.

      Als ich Montags in der Präparandie erschien, wurde ich wie ein Triumphator empfangen, mit Fragen durchlöchert, von allen Fingern betastet, und mein schwarzblauer Arm erregte glückvolles Entsetzen. Die Notabeln der Anstalt erwiesen mir ihre Gunst, und ich sprang aus meiner Schmerzdämmerung in eine blühend überhitzte, phantastisch-heroische, abenteuerliche Welt, in die Welt der deutschen Vorjünglinge. Alles Nützliche heißt ledern, alle Pflicht Sklaverei. Die Rücksichtnahme ist Unmännlichkeit; noch nichts ist entdeckt, noch nichts erfunden, alles muß neu geschaffen werden, von Gott angefangen bis zur Stiefelsohle. Es ist ein Bohren, Fliegen, Überschlagen, Kobolzschießen; alles übertrieben, seltsam, gewalttätig, noch nie dagewesen, und jeder hält den bunten Flicken, den er sich angeheftet, für das Letzte, allein Berechtigte. – Gleich am andern Tage stellte mich auf dem Nachhausewege der Kapitän Gläsner. Er war ein Schüler des Oberkursus, der die Absicht hatte, seinem Vater ein Schnippchen zu schlagen und, anstatt »den Bakel zu retten, über der Midgartschlange mähniges Haupt zu fahren«, das heißt, Seemann zu werden. Er übte sich in der freien Zeit in allen Gewohnheiten der Schiffer, schwamm und tauchte, saß nächtelang am Wasser, um Strandwache zu halten, trieb sich in den Spelunken umher, ging breitbeinig und schwankend wie ein Bär und spuckte fortwährend geräuschvoll aus. Wir alle waren ihm verächtliche Landratten, er trug klotzig und flämisch seinen Kopf über uns erhaben.

      »Du gefällst mir, Junge,« sagte er zu mir und griff meine Arm- und Beinmuskeln durch, »und ich will sehen, ob ich dich heuern kann. Komm um zwei in meine Bude, wir wollen auf den grauen Stein gehen.« Zur richtigen Zeit war ich bei ihm. Auf dem Tisch standen eine große Flasche und eine Blechdose, nicht länger als ein Finger. Er steckte beides zu sich und ging mir voraus, mit Kopfnicken mich nach sich winkend. Durch niedrigen Buchenwald stiegen wir den niedrigen Berg aufwärts und machten auf seiner freien, etwas eingesunkenen Kuppe Halt. Hier spie er aus, produzierte einen gräulichen Fluch, setzte die Flasche an und gab sie nach einigen unmenschlichen Zügen schweigend mir. Es war ein Schnaps darin, vor dem ich die Zunge sofort zurückzog, so brannte er. Aber ich schluckte zum Scheine lange und laut. Der Kapitän sagte schmunzelnd, ich sei ein »richtiger Hund«, riß sie mir vom Munde und stellte sie in den Schatten. Dann suchte er aus dem Versteck eine schwere Spitzhaue und begann wütend in das Steingeröll einzuschlagen. Es sollte eine Mole errichtet werden, und als sein Gesicht in Schweiß gebadet war, setzte er sich in den Schatten und trank Schnaps. Ich war die Matrosenkompagnie und mußte nun die angefangene Arbeit vollenden, vielfältig regiert und unterbrochen von groben Lästerungen. Dazwischen malträtierte er fortwährend die Flasche, erhitzte sich, warf die Arme in die Luft, schrie und tobte wie ein Berserker. Endlich erklärte er, ich sei müde und müsse zur Muskelstärkung einen Priem nehmen. Das verhindere außerdem Skorbut und Seekrankheit. Er kam mit dem geöffneten Blechdöschen auf mich zu, in dem die schwarzen, speckigen Raupen lagen. Weil ich zögerte, schob er lachend ein solch abscheuliches Ding neben die Zähne. Aber mir graute dennoch. Deswegen stieß er mich »jämmerlichen Gossenfahrer« zur Seite und begann an meiner Stelle weiter an der Mole zu schuften. Die Steine flogen nur so, rechts und links ergossen sich braune Strähnen aus seinem Munde. Plötzlich wurde er papierweiß im Gesicht, auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen, die Haue zitterte in seinen Händen. Eine Weile sah er noch mit großen, stieren Augen umher, spie den Priem aus und murmelte dann, er müsse in seine »Koje« gehen. Torkelnd verschwand er im Gebüsch, die Äste krachten, und nicht lange, so hörte ich, wie bei meinem Kapitän die Seekrankheit ausbrach. Ich wartete noch ein wenig, und als er zu schnarchen anfing, lief ich nach Hause. Er nahm mich nicht wieder mit auf die Mole, ließ aber in seinem Seemannsdienst nicht nach und erlebte das Glück, daß seine Nase immer röter wurde.