Den ganzen anderen Tag brachte ich unter der Decke zu. Die linke Körperseite war angeschwollen, und der Arm schwarz wie ein Ast der Erle. Unsere Wirtin witterte wohl etwas von einem unbotmäßigen Ereignis; aber sie mußte sich damit beruhigen, daß ich an Magenkrampf und Brandt an Kopfweh leide. Mit heiterer Würde trank ich mehrere Tassen eines abscheulichen Tees, während sich Brandt trotz grämlichen Protestes ein dickes Tuch um den Kopf winden lassen mußte, überhaupt lag er blaß, stumm, zerrieben auf seiner rechten Seite und fuhr fast den ganzen Tag mit dem Zeigefinger um einen Ast im Sitzbrett des Stuhles. Er machte den Eindruck eines Menschen, dem seine Weltanschauung zertrümmert worden ist, eines Philosophen ohne System, eines entthronten Fürsten, und wenn er je seine Augen zu mir erhob, so war es, als spucke er vor mir aus. Kaliske würdigte mich keines Blickes, sondern saß den ganzen Tag an Brandts Bett und goß ein dünnes, unruhiges Gelispel in das bleiche Gesicht des Stoikers. Mich erfüllte ein sicheres Behagen, und ich mußte an mir halten, nicht breit und dröhnend herauszulachen. So verging der Sonntag, Zeit genug, daß die ehrgebundenen Lippen unabsichtlich dies und das von dem denkwürdigen Kampfe verlieren konnten.
Als ich Montags in der Präparandie erschien, wurde ich wie ein Triumphator empfangen, mit Fragen durchlöchert, von allen Fingern betastet, und mein schwarzblauer Arm erregte glückvolles Entsetzen. Die Notabeln der Anstalt erwiesen mir ihre Gunst, und ich sprang aus meiner Schmerzdämmerung in eine blühend überhitzte, phantastisch-heroische, abenteuerliche Welt, in die Welt der deutschen Vorjünglinge. Alles Nützliche heißt ledern, alle Pflicht Sklaverei. Die Rücksichtnahme ist Unmännlichkeit; noch nichts ist entdeckt, noch nichts erfunden, alles muß neu geschaffen werden, von Gott angefangen bis zur Stiefelsohle. Es ist ein Bohren, Fliegen, Überschlagen, Kobolzschießen; alles übertrieben, seltsam, gewalttätig, noch nie dagewesen, und jeder hält den bunten Flicken, den er sich angeheftet, für das Letzte, allein Berechtigte. – Gleich am andern Tage stellte mich auf dem Nachhausewege der Kapitän Gläsner. Er war ein Schüler des Oberkursus, der die Absicht hatte, seinem Vater ein Schnippchen zu schlagen und, anstatt »den Bakel zu retten, über der Midgartschlange mähniges Haupt zu fahren«, das heißt, Seemann zu werden. Er übte sich in der freien Zeit in allen Gewohnheiten der Schiffer, schwamm und tauchte, saß nächtelang am Wasser, um Strandwache zu halten, trieb sich in den Spelunken umher, ging breitbeinig und schwankend wie ein Bär und spuckte fortwährend geräuschvoll aus. Wir alle waren ihm verächtliche Landratten, er trug klotzig und flämisch seinen Kopf über uns erhaben.
»Du gefällst mir, Junge,« sagte er zu mir und griff meine Arm- und Beinmuskeln durch, »und ich will sehen, ob ich dich heuern kann. Komm um zwei in meine Bude, wir wollen auf den grauen Stein gehen.« Zur richtigen Zeit war ich bei ihm. Auf dem Tisch standen eine große Flasche und eine Blechdose, nicht länger als ein Finger. Er steckte beides zu sich und ging mir voraus, mit Kopfnicken mich nach sich winkend. Durch niedrigen Buchenwald stiegen wir den niedrigen Berg aufwärts und machten auf seiner freien, etwas eingesunkenen Kuppe Halt. Hier spie er aus, produzierte einen gräulichen Fluch, setzte die Flasche an und gab sie nach einigen unmenschlichen Zügen schweigend mir. Es war ein Schnaps darin, vor dem ich die Zunge sofort zurückzog, so brannte er. Aber ich schluckte zum Scheine lange und laut. Der Kapitän sagte schmunzelnd, ich sei ein »richtiger Hund«, riß sie mir vom Munde und stellte sie in den Schatten. Dann suchte er aus dem Versteck eine schwere Spitzhaue und begann wütend in das Steingeröll einzuschlagen. Es sollte eine Mole errichtet werden, und als sein Gesicht in Schweiß gebadet war, setzte er sich in den Schatten und trank Schnaps. Ich war die Matrosenkompagnie und mußte nun die angefangene Arbeit vollenden, vielfältig regiert und unterbrochen von groben Lästerungen. Dazwischen malträtierte er fortwährend die Flasche, erhitzte sich, warf die Arme in die Luft, schrie und tobte wie ein Berserker. Endlich erklärte er, ich sei müde und müsse zur Muskelstärkung einen Priem nehmen. Das verhindere außerdem Skorbut und Seekrankheit. Er kam mit dem geöffneten Blechdöschen auf mich zu, in dem die schwarzen, speckigen Raupen lagen. Weil ich zögerte, schob er lachend ein solch abscheuliches Ding neben die Zähne. Aber mir graute dennoch. Deswegen stieß er mich »jämmerlichen Gossenfahrer« zur Seite und begann an meiner Stelle weiter an der Mole zu schuften. Die Steine flogen nur so, rechts und links ergossen sich braune Strähnen aus seinem Munde. Plötzlich wurde er papierweiß im Gesicht, auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen, die Haue zitterte in seinen Händen. Eine Weile sah er noch mit großen, stieren Augen umher, spie den Priem aus und murmelte dann, er müsse in seine »Koje« gehen. Torkelnd verschwand er im Gebüsch, die Äste krachten, und nicht lange, so hörte ich, wie bei meinem Kapitän die Seekrankheit ausbrach. Ich wartete noch ein wenig, und als er zu schnarchen anfing, lief ich nach Hause. Er nahm mich nicht wieder mit auf die Mole, ließ aber in seinem Seemannsdienst nicht nach und erlebte das Glück, daß seine Nase immer röter wurde.