»Rose, laß den Dämon, er gibt mir jedesmal einen Herzstoß. Ich kann ihn auch in keinem meiner Weltsysteme, die ich mir gebaut und wieder verworfen habe, unterbringen. Ich will morgen mit dir zu Mama hinaufgehen. Wohl verstanden, du gehst nicht allein. Rose, nun sage, was du dir davon versprichst. Irgend welche Besserung für sie? oder es ist dir nur um eine Befriedigung deiner selbst zu tun!«
»Harro, ich sage dir aus allertiefstem Herzen, es ist mir nicht um mich, es ist mir um sie zu tun. Harro, nur zehn Minuten jeden Tag. Ich muß mich mißhandeln lassen, Harro, und ich möchte nicht, daß du dabei wärest. Du wirst ungeduldig werden und alles verderben. Nur zehn Minuten, Harro.«
»Und da verlangst du, daß ich dich selbst hinauftragen soll, wenn du weißt, daß du mißhandelt wirst!«
»Nur zuerst, Harro, und dann wird es vielleicht besser. Wenn Mama alles gesagt hat, was sie mir sagen möchte. Das erleichtert doch, das tun wir alle. So sagt sie es mir in Gedanken, und das muß sie wohl jeden Tag von neuem beginnen. Denk Harro, die zehn Minuten oder die Viertelstunde, wo mir einmal gesagt wird, wie ich eigentlich bin, und den übrigen langen Tag immer eure Liebe und eure... ich kann's nicht sagen, es erdrückt mich oft. Als ob ich so gar besonders wäre, während ich doch nur tue, was mir Freude macht.«
»Rose, wenn ich dir den Willen tue, so wirst du mit großer Wonne in dein Martyrium hineingehen! Ihr Frauen seid nun einmal so, aber ich ergebe mich noch nicht. Ich gehe zu diesem Herrn Stiftsprediger und sehe, ob der Mann ein menschliches Herz im Busen trägt. Ich verspreche dir durchaus nicht, daß ich ihn dir mitbringe, auch gewiß nicht, ob ich mich seiner Weisheit unterwerfe. Und ich werde dich hinaufbringen und zusehen, wie du geplagt wirst. Ich kann ja immer Schluß machen, wenn es genug ist. Auch habe ich immer einen bändigenden Einfluß auf sie gehabt. Ja sieh, nun machst du wieder deine süßesten Augen. Als ob ich dir wunder was versprochen. Aber was bekomme ich zum Lohn, wenn ich dabeistehe!«
Die Rose lächelt geheimnisvoll... dann sagte sie: »Nachher gehen wir in den Saal. Ich habe alles vorbereitet. Wir reden noch nicht von der Gisela... du malst mich zuerst, und wir streiten jetzt nicht darüber. Ich verlange gar nichts, als daß du das einsehen sollst, was ich dir zeigen werde.«
Er ging zur Türe. »Ich werde mir jetzt den geistlichen Herrn besehen. Aber genau. Eine Skizze von ihm bekommst du nachher.«
Harro stieg die ausgetretenen, knarrenden Stufen in das Studierzimmer des Herrn Stiftspredigers hinauf. Dunkle Eichenstiegen, die schon manches erlebt hatten, alles von einer häßlichen Einfachheit, die ihn bedrückte. An der Schwelle des Studierzimmers mußte er sich beinahe bücken, das Haus war nicht für Männer seines Schlages gebaut. Er klopfte. »Herein.«
Der Herr Stiftsprediger saß an seinem Schreibtisch, der unter Lasten von Papieren begraben lag. Er erhob sich und man sah ihm ein leichtes Erkennen an. Überall Bücher, Bücher, die Wände zeigten sich nicht, kein Bild, nur der schöne Blick ins Tal aus drei winzigen Fenstern. Welch ein Apparat, staunte Harro. Ist das wohl nötig, um die etwa tausend Schäflein zu weiden?
Nun saß er neben dem Schreibtisch in einem Rohrstuhl, und der Herr Stiftsprediger, dessen schwarze Haarsträhne ein leichtes Grau zeigten, wartete. Seine Augen waren in den letzten Jahren noch stiller geworden und seine lange dürre Gestalt hing nach vorne über. Sehr gut machte sich sein Kopf gegen den Hintergrund von dunklen Bänden mit dem bißchen Golddruck darauf.
»Sie haben meine Frau unterrichtet,« begann Harro plötzlich, »und werden jedenfalls beobachtet haben, daß sie, sagen wir, ein ausgesprochenes religiöses Interesse hat.«
Der Herr Stiftsprediger nickte. »Ich höre auch, daß die Frau Gräfin ihr Leiden mit großer Ergebung trägt.«
»Viel zu viel Ergebung,« grollte Harro, »überall Ergebung.«
»Wenn es Sie vielleicht interessiert, Herr Graf. Ich habe ein kostbares Dokument aus jener Zeit.«
Er begann in seinem Schreibtisch zu kramen, und Harro dachte, er glaubt wohl, daß ich hier Wurzel schlagen will, denn bis er etwas findet aus diesem Papierwust! Aber er irrte sich, entweder lag es zur Hand, oder es war nur eine scheinbare Unordnung.
»Sie haben ein System, Herr Stiftsprediger,« fragte er mit inniger Teilnahme, denn der arme Harro hatte keins und war, wenn er nur eine Skizze finden wollte, auf das Gedächtnis seiner Rose angewiesen. »Gewiß, Herr Graf.« Er lächelte.
»Hier. Dies ist das Bekenntnis des fünfzehnjährigen Kindes. Ganz ohne jede Beihilfe entstanden. Sie sehen es ja sofort an dem Stil.«
Harro las ... sein Haupt beugte sich herab, er beschattete sein Gesicht mit der Hand. Ach, da stand er ... »Liebste Menschen ...« Des Seelchens Augen schauten ihn an ... »und hat ihn kennen lassen die Einsamkeit und die Qual...«
Er legte das Blatt hin. »Es ist sehr schön, daß Sie das aufbewahrt haben ... Herr Stiftsprediger.«
»Aber gewiß. Herr Graf, es gehört zu meinen Schätzen.« Und der Papierwust verschlang wieder das Blatt.
Dann fing Harro an zu erzählen. Ganz kurz nur von dem nervösen Leiden seiner Schwiegermutter und der wenigen Liebe, die sie immer für das Kind gehabt. Er fühlte sehr wohl, daß er dem Manne durchaus nichts Neues sage, und er sprach von Rosmaries Kummer jetzt und ihrem Wunsche, ihre Mutter zu besuchen, und wie schwer sich das mit ihrem Zustand vereinigen lasse.
»Und Ihre Durchlaucht wünscht es wohl dringend, Herr Graf, und Sie sind mit Recht besorgt, daß dies der Frau Gräfin schaden könne.«
»So sicher bin ich, daß der Herr Hofrat es mir niemals erlauben würde, daß ich ihn gar nicht frage, sondern Sie, Herr Stiftsprediger, weil dies mir mehr in die geistliche Kompetenz zu gehören scheint.«
Der Herr Stiftsprediger sah einen Augenblick hinaus in die Landschaft, dann sagte er: »Herr Graf, ich habe zweimal Ihre Durchlaucht, die Frau Fürstin, besucht. Ihr Zustand ist bejammernswert. Ich habe auch von dem Herrn Hofrat gehört, wie es der Frau Gräfin seit ihrem Hiersein geht. Wenn Sie mich fragen, so möchte ich doch dringend raten, daß die Frau Gräfin wie bisher unten bleibt und die Glastüren nach oben geschlossen bleiben. Was soll die Frau Gräfin dabei?«
Harro glänzte auf, besann sich aber und sagte: »Meine Frau wünscht es eben so dringend und hat zu meinem großen Schrecken bereits ein betrübtes Gleichnis, das von den unglücklichen Jungfrauen, auf sich angewendet. Es hat mich ganz mitgenommen, Herr Stiftsprediger, es war ihr so bitterernst dabei... Kommen Sie mit, Herr Stiftsprediger. und helfen Sie es ihr ausreden.«
»Herr Graf, wenn ich nur dazu mitkommen soll ..., ich müßte doch auch die Frau Gräfin hören ...«
Harro errötete, aber er konnte nun nicht mehr wohl zurück. Und er fühlte, daß er ein wenig heuchelte.
»Ich bitte, daß Sie meine Frau besuchen.«
Der Herr Stiftsprediger entgegnete mit ruhiger Würde: »Herr Graf, ich hätte es ohnedies für meine Pflicht gehalten, einen Versuch zu machen, wollte aber noch warten, ob mir der Herr Hofrat nicht bessere Nachrichten bringen könne.«
»Kommen Sie jetzt, Herr Stiftsprediger.«
Harro dachte, je schneller es vorüber ist, desto besser, übrigens er zeigt Menschlichkeitsspuren.
Die Herren stiegen die knarrenden Stufen hinab, aus den Zimmern erscholl ein kräftiges Bubengeschrei und -Gelächter. Ein schönes blauäugiges Mägdlein mit einem dunkeln Lockenschopf sprang heraus und schaute mit großem Interesse an dem langen Herrn hinauf.
Er nickte ihr zu. »Guten Tag, kleines Fräulein, wie heißt du?«
»Erika,« nickte die Kleine, »und ich kenne dich auch.«
Der Herr Stiftsprediger stand lächelnd da und wartete, und seine Augen glänzten, man sah es. daß das Kind sein Liebling