Spurgeon neu entdeckt. Arndt Schnepper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arndt Schnepper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783417269994
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are more powerful than precepts; hence I quote them. | Third Series, 17

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      13

      Kommentare sind gut, aber der Autor ist besser.

      Es gibt heute noch schöne, alte Fotografien in gelblich-bräunlicher Sepiafarbe, auf denen Charles in seinem Studierzimmer zu sehen ist. Um ihn herum türmen sich dort in meterhohen Regalen rund zwölftausend Bücher, die er für seine Predigtvorbereitung nutzte. Einige Jahre nach seinem Tod wurden 1906 viele von ihnen in die USA verkauft, wo sie mittlerweile im Midwestern Baptist Theological Seminary in Kansas City (Missouri) zu bestaunen sind. Keine Frage: Charles liebte Bücher und darunter vor allem Kommentare. Und er las sie eifrig. Gleichzeitig war er aber überzeugt, dass es keinesfalls ausreiche, Bücher zur Bibel zu lesen. Er wollte ebenso den Autor der Schriften konsultieren, nämlich Gott. Beide Wege gehörten für ihn zusammen. Wenn heute in der Predigtlehre der meditative Umgang mit der Heiligen Schrift wieder neu betont wird, dann entspricht das ganz seinem Ansatz. Betend versuchte er die Texte zu verstehen und betend entwickelte er seine Gedanken für die Predigt.

      The commentators are good instructors, but the Author himself is far better […]. | Lectures to my Students, 42

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      Jesus sagte nicht: »Weidet meine Giraffen«, sondern: »Weidet meine Schafe.«

      Nicht hoch sollen die Predigten hängen, sondern niedrig. Der Fokus liegt nicht bei den wenigen Giraffen, die oben in den Baumgipfeln äsen, sondern bei den vielen Schafen, die sich unten am Boden bewegen. Mit diesem und vielen ähnlich klingenden Ratschlägen orientierte sich Charles ganz am Ideal der einfachen Predigt, wie es schon Augustinus (354-430) gefordert hatte. Der sermo humilis (niedrige Predigt) ist eine Forderung im frühen Christentum. Hinter dieser Vorstellung steht einerseits die Beobachtung, dass sowohl Jesus als auch seine Apostel den einfachen Stil pflegten. Im Vergleich mit Sokrates und Platon sprachen sie sehr viel schlichter und eingängiger. Im Hintergrund steht aber auch die Erfahrung, dass einfache Predigten meistens alle Zuhörenden ansprechen, wohingegen anspruchsvolle Reden nur wenige erreichen. Und das ist die Krux der Theologen: Jahrelang lernen sie im Studium hohe Gedanken kennen und müssen dann wieder in die Niederungen des Gemeindealltags hinabsteigen. Nicht allen gelingt das. Die Predigten von Charles sind hier ein guter Kompass.

      The Lord Jesus did not say ›Feed my giraffes,‹ but ›Feed my sheep.‹ | The Salt-Cellars I, 56

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      Über den Wolken ist der Himmel blau.

      Charles war ein Optimist. Nicht dass er die Augen vor den Schrecken des Lebens verschlossen hätte. Er selbst neigte auch, wie wir heute wissen, zu depressiven Verstimmungen. Graue Wolken schoben sich oft genug vor sein Gemüt. Der Optimismus, den er besaß, war hart erstritten. Er gründete sich auf die Zusagen, die er in der Heiligen Schrift fand und so sein Eigen nannte. Die Verheißungen bildeten die Basis für seine positive Sicht der Dinge. Und diese Sicht versuchte er immer und immer wieder in seinen Predigten zu vermitteln. Mit seiner ganzen seelischen Kraft hielt er die Zuhörenden an, die dunklen Vorkommnisse nicht als letzte Realitäten zu betrachten, sondern auf den Gott des Himmels zu warten. Das, was man jetzt sehe, sei nur ein Teil der Wirklichkeit. Dahinter, so Charles, verberge sich der liebende Vater, der sich bald seiner Kinder annehme. Diese Haltung verfehlte ihre Wirkung nicht. Und genau genommen war es ja eine sachgemäße Verlebendigung der vielen Trostworte von Jesus selbst.

      Above the clouds the sky is blue. | The Salt-Cellars I, 57

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      16

      Wir können die Menschen nicht ins Königreich schnarchen.

      Schnarchen ist ein starkes Wort. Doch Charles liebte es deftig und so wählte er ebendiese Bezeichnung. Vielleicht passt langweilen in unserem oft vorsichtigen Sprachgebrauch besser. Im Kern handelt es sich freilich um dieselbe Sache. Gewarnt wird vor der Predigt, die schläfrig macht. Hier bekommen die Zuhörenden den Eindruck, dass alles schon sattsam bekannt ist. Hier werden keine Erwartungen gehegt, weil sie auch nicht gepflegt werden. Dann hilft es auch nicht, dass alles richtig ist, was man sagt. Es ist dann todrichtig – das lockt keinen Hund hinter dem Ofen hervor und wird auch keinen Menschen für das Himmelreich gewinnen. Interesse erzeugen ist an dieser Stelle ein probates Gegenmittel. Etwas Neues sagen, etwas witzig sagen, etwas spannend machen, etwas Unvorhergesehenes äußern, etwas ergriffen berichten, etwas mit Rührung erzählen, etwas Erstaunliches aussprechen, etwas Heftiges mitteilen, etwas Erschütterndes flüstern, etwas von allen bisher nur Gedachtes zur Sprache bringen – das weckt Interesse.

      We cannot snore men into the kingdom. | The Salt-Cellars II, 183

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      Ein Seelen-Gewinner muss ein Seelen-Liebhaber sein.

      Der Begriff des Soul-Winners (Seelen-Gewinner) galt schon im 19. Jahrhundert als ein wenig ungewöhnlich. Wenn Charles ihn dennoch aufgriff, so tat er es im Wissen um den biblischen Sprachgebrauch. Denn dort ist die Seele häufig ein Synonym für den Menschen an sich. Prediger und Predigerinnen sollten die Seele mögen, schätzen, respektieren – ja, sogar lieben. Hörer und Hörerinnen merken rasch, wie der Predigende ihnen gegenüber auftritt. Wer mit Distanz, Misstrauen, Dünkel oder Arroganz auftritt, wird keinen Blumentopf, geschweige denn einen Menschen für Gottes Reich gewinnen. Die Liebe zu den Menschen aber verändert alles. Wer aus ihr heraus predigt, redet anders. Der Ton wird wärmer, die Inhalte werden plastischer, die Botschaft wird dringlicher. Das ist auch die Erklärung, weshalb oft theologisches Wissen, rhetorische Finesse, ja, sogar das Gebet ihre Grenzen haben. Fehlt die Liebe zu den Zuhörenden, fehlt zu viel.

      A soul-winner must be a soul-lover. | The Salt-Cellars I, 56

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      Prediger sollen helle Sterne, nicht dunkle Wolken sein.

      Vor allzu einfachen Erklärungen wird heutzutage gerne gewarnt. Recht so. Wenn das aber im Umkehrschluss bedeutet, dass man überhaupt keine klaren Aussagen mehr machen darf, dann fällt man von der anderen Seite des Pferdes herunter. Klare, verständliche Aussagen sind in der Predigt nötiger denn je. Unsere deutsche Sprache bietet eine Vielzahl von sogenannten Modalpartikeln, die eine Aussage in einen Schwebezustand versetzen. Hierzu gehören Wörter wie: vielleicht, möglicherweise, wahrscheinlich, eventuell, gegebenenfalls, womöglich, vermutlich, allenfalls, unter Umständen, je nachdem usw. Nun ist offensichtlich, dass auch solche Beschreibungen