Spurgeon neu entdeckt. Arndt Schnepper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arndt Schnepper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783417269994
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Inhaltsverzeichnis ]

      7

      Es gibt in der Bibel kein Gebot, das lautet: Du sollst nicht lachen.

      Ähnlich wie im wilhelminischen Deutschland herrschte im viktorianischen England ein konservatives Klima vor. Schaut man sich heute Porträts von Queen Victoria und anderen Repräsentanten des Staates an, so sehen sie in aller Regel ziemlich steif und nüchtern aus. Diese Stimmung prägte wiederum auch die kirchliche Kultur. Wo man auch Gottesdienste besuchte, erblickte man ernste und feierliche Prediger. Das bedeutet natürlich nicht, dass damals alle Menschen ständig so dreinschauten. Es war vielmehr der als ideal empfundene Gesichtsausdruck für kirchliche Veranstaltungen. Mit diesem Ideal brach Charles sehr wirksam. Er schmunzelte, er lächelte, er lachte und er erzählte viele Witze. Er wusste, dass die Menschen Heiterkeit unendlich mehr schätzten als trockene Sachlichkeit. Aber Heiterkeit war bei Charles mehr als eine persönliche Gabe, sie war ein Ausdruck seines Glaubens. Für Prediger und Predigerinnen ist Heiterkeit darum eine ernste Angelegenheit.

      There is no commandment in the Bible, which says ›Thou shalt not laugh.‹ | Magoon, The modern Whitfield, XXVI

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      8

      Sei häufig an Sterbebetten.

      Es ist ein Ratschlag, der erst mal nicht besonders aufmunternd klingt. Wenn Charles ihn hier im Zusammenhang mit der Predigtkunst dennoch formuliert, dann geht es ihm nicht um die christliche Pflicht, Kranken und Sterbenden beizustehen. Das war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Für ihn war die Begegnung mit Menschen, die vor den Toren der Ewigkeit stehen, darüber hinaus ein Lernfeld. Wie alle Philosophie und Theologie wusste er um das Geheimnis des Memento mori (Gedenke des Todes). Es ist die Überzeugung, dass in der Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit ein Mensch eine Ahnung davon erhält, worauf es im Leben ankommt. Mit anderen Worten: Das Erleben des Todes verdichtet unser Wissen über uns und die Welt. Und das kann für eine Predigt von unschätzbarem Wert sein. Charles geriet ins Schwärmen, wenn er von dieser Erfahrung berichtete. Solche Momente seien »leuchtende Bücher«.

      Once more, be much at death-beds; they are illuminated books. | Lectures to my Students, 200

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      9

      Habe etwas zu sagen.

      So simpel dieser Hinweis auch klingt, so sehr hat er es in sich. Prediger und Predigerinnen müssen etwas zu sagen haben. Etwas, wofür es sich lohnt, sonntags zeitig aufzustehen und rechtzeitig im Gottesdienst zu sein. Aber was könnte das sein? Hinter vieles, was heute von Kanzeln und Pulten gesagt wird, lässt sich getrost ein Haken machen. Es ist alles richtig, aber Vibrationen entstehen dadurch nicht. Wenn man sich in die Predigten von Charles vertieft, stellt man überraschend fest, dass moralische Anweisungen wohl vorkommen, aber in der Summe eher eine Nebenrolle spielen. Charles ging es weniger um das, was wir für Christus tun können, als vielmehr um das, was er für uns tat. Das ist ein wichtiger Schlüssel, um seine Ausstrahlung zu verstehen. Wie viele Predigten reden davon, was wir tun sollten? In den einen geht es meist um die individuelle Moral, in anderen dagegen eher um soziale Dimensionen. Beides hat seinen Raum und Platz – doch nur für sich genommen kann es schnell langweilig werden.

      Have something to say, and say it earnestly, and the congregation will be at your feet. | Lectures to my Students, 146

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      10

      Ich warne euch sehr davor, Predigten abzulesen.

      Wir lernen Charles hier als einen Befürworter der freien Predigt kennen. Oft betrat er die Bühne nur mit wenigen Notizen, oft genug verzichtete er ganz auf sie. Damit war er nicht alleine. Schon in der frühen Kirche galt diese Form der Predigt als das Maß aller Dinge. Die Vorteile der freien gegenüber der abgelesenen Predigt liegen auch heute auf der Hand: Sie ist bei Weitem lebendiger und den Menschen zugewandter. Und schließlich ist eine Predigt auch kein Vortrag, sondern die Gute Nachricht. Doch wie gelangt man zu dieser Fertigkeit? Charles ging es nicht um ein stupides Auswendiglernen des vorbereiteten Stoffes. Vielmehr machte er Mut, im Stoff intensiv zu leben. Darum forderte er auch dazu auf, Predigten aufzuschreiben, um sie so zu verinnerlichen. Das Ziel war also, sich mit dem Manuskript vorzubereiten, dann aber ohne Manuskript die Predigt vorzutragen. Wer es heute ausprobiert, wird rasch merken, welche Aufmerksamkeit plötzlich entstehen kann.

      Very strongly do I warn all of you against reading your sermons […]. | Lectures to my Students, 152

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      11

      Ein Fenster sollst du in der Arche machen.

      Diese Anweisung aus der göttlichen Konstruktionsskizze an Noah steht ganz zu Beginn der Dritten Reihe der Vorlesungen von Charles. Es ist ein Buch, das die Kunst der Illustration in den Blick nimmt. Und Charles gelingt mit der Hinzuziehung dieser Aufforderung aus 1. Mose 8,6 eine glänzende Darstellung seines Anliegens. Für ihn sind Bilder und Vergleiche wie Fenster, die Licht auf das Gesagte fallen lassen. So wie ein Raum ohne Öffnung mit Fug und Recht als Gefängnis empfunden wird, so ist auch eine Predigt ohne Veranschaulichung alles andere als hörenswert. Charles wusste: Die Menschen haben Augen – egal, ob diese nun geöffnet oder geschlossen sind. Darum möchten die Menschen auch immer etwas sehen, selbst wenn sie lediglich zuhören. Neben manchen praktischen Hinweisen führt Charles in dem besagten Buch auch eine lange Bibliografie an, mit deren Hilfe nützliche Bilder, Vergleiche und Parabeln gefunden werden können. Das mag als Hinweis dienen, Zeichen und Symbole bewusst zu sammeln – damit sie im entscheidenden Moment zur Hand sind.

      A window shalt you make in the ark. | Third Series, 1

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      12

      Beispiele sind mächtiger als Vorschriften.

      Man sollte, könnte, dürfte und müsste – die Häufigkeit von Modalverben ist in unseren Predigten oft frappierend. Sinnvoll sind sie meistens nicht, denn die Resonanz bleibt zumeist aus. Doch wie lässt sich Veränderung von Lebenspraxis in Gang setzen? Charles sah es sehr pragmatisch: schlicht und ergreifend durch Beispiele. Dabei machte es für ihn wenig Unterschied, ob es sich hierbei um zeitgenössische oder historische, persönliche oder in Erfahrung gebrachte Modelle handelte. Hauptsache, es waren beispielhafte Erzählungen. Diese Einsicht ist natürlich nicht neu. Verba docent, exempla trahunt (Worte belehren, Beispiele ziehen), das wusste schon der Römer Seneca. Der springende Punkt liegt in der Umsetzung. Die gelang Charles meisterlich. Während sich viele seiner Amtskollegen in langwierigen Erklärungen verloren, war er sich keineswegs zu schade, auch Geschichten zu erzählen. Und die Leute dankten es ihm. Denn ein Beispiel ersetzt bekanntlich mehr als tausend Worte.

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