Fähre VII. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467350
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Mutter, da sie nun allein waren, lehnte ihre behäbige Fülle über die Tischkante, strich mit den gemüsegrünen Fingern über das helle Haar der Tochter, das ein Erbteil des ihren, nur um weniges nachgedunkelten war, und sagte fast weinerlich vor mütterlicher Liebe: »Du darfst ja alles, mein Döchting, mein Süßling, aber deshalb braucht Papa ja nicht immer gleich zu denken, daß hier im Hause keine gute Erziehung herrscht. Er hat ja ein Herz, mit dem man umspringen kann, wie mit sonst was; den reinen Waschlappen hat er als Herz, wenn man es so nennen will, aber nur, wenn es sich um dich handelt, das braucht man nicht noch zu bestärken! Geh du nur mit Jonny heut abend hin, wo es dir vergnüglich ist, fünf Mark darfst du dir aus der kleinen Kasse nehmen, nicht mehr, und wenn das nicht reichen sollte, etwas wird er ja auch selber haben!«

      »Nu halt aber auf!« Mine drehte den Kopf wieder zur Suppe. Sie lächelte nicht mehr: »Erstens wollte ich eigentlich heute abend lieber früh zu Bett oder in den Turnverein und zweitens, wohin soll das führen, wenn du mir so einfach sagst, ich darf alles?«

      Die mütterliche Nachgiebigkeit und Liebe bekam einen kleinen Schreck: »Turnverein! Das ist doch nichts mehr für eine Braut! Da hast du Jonny kennen gelernt und damit doch gut. Und wenn ich dir sage: Tu was Du willst, so weiß ich doch genau, daß meine Mine genau weiß, wie weit ein anständiges Mädchen gehn kann. Geht denn Jonny noch immer hin!«

      »Ach wo, der spart doch jetzt, wo er kann. Wir wollen Stahlmöbel haben.«

      »Stahlmöbel? Wie modern! Aber glaub mir, das Moderne ist nicht immer das Genehme. Die sind doch so kalt allerwegens. Bei Großvaters Grab hatten wir welche aus Gußeisen. Ich empfehle sie nicht.«

      »Dann wirst du eben auf der Kautsch sitzen, wenn du uns besuchst, Mutter!«

      Frau Thormann spürte, daß die Zeit weitergegangen war, ohne ihren Geschmack mitzunehmen.

      »Tut, was ihr mögt!« seufzte sie: »Aber sagt es Papa nicht nach. Er meckert ja zwar leider nicht, aber nachts grämt er sich doch. Nur eins, Kind, mit dem Rumknutschen, da würde ich geizig sein, was man da vorweg nimmt, hat man späterhin Mangel. So, nu iß und nimm dir tüchtig. Brautstand zehrt. Und nachher kannst du ja die Monogramme in deine Geschirrtücher weitersticken!«

      Mine lächelte wieder: »Die Manhattan ist doch gekommen«, sagte sie.

      »Schön, dann kannst du dich ja damit in den Laden setzen, das macht einen so häuslichen Eindruck, und die Ausländer, die sagen dann: In Deutschland, da gibt es noch weibliche Tugenden, da ist man fleißig. Denn die ihre Damen malen sich ja meistenteils bloß’n büschen an, und das nennen sie dann weibliche Handarbeit!«

      In diesem Augenblick fiel ihr ein, daß sie auch noch einen Sohn habe.

      »Otto!« rief sie streng und kurz.

      Ottel schlich aus dem Laden hervor. Er sah rötlichblond und ungegoren aus, ein wenig zu klein für sein Alter, mit einer Regennase und großen Ohren, sommersprossig, und immer ein wenig schnaufend in Erwartung großer Abenteuer.

      »Nanu, Ottel, die Suppe ist schon eiskalt! Was hast du ausgefressen?«

      Die Mutter kannte ihren Sohn. Selten kam er nach Hause ohne böses Gewissen.

      Ottel schluckte ein paar Mal, dann legte er los wie ein Motor. Nach einigen Fehlzündungen pflegten seine Sätze eilends mit ihm davonzurattern, um plötzlich stehen zu bleiben.

      »Onkel — Onkel Jonny — der — der kann — mit dem Fußball kann er glatt übers Dach weg, hat er gesagt, hat er mir gesagt, von der Turnhalle und —«

      »Warum sagst du denn das so traurig?« lachte die große Schwester.

      »Und ich — das hab’ ich — ich hab’ das auch versucht, und —«

      »Na, na«, sagte Mutter Thormann ahnungsbang: »Wohin?«

      »Ich konnte — er ging nicht — er ist nicht ganz so hoch gekommen...«

      »Ach, mein Gott, da hast du wohl ein Fenster eingeworfen«, schnob die Mama, und ehe Ottel zu Ende genickt hatte, hatte er seinen Flicken weg.

      Klein Ottel hatte die gute Eigenschaft, nicht zu plinsen. Er setzte sich hin, die Mutter füllte ihm jammernd auf. Er aß, den Mund fast auf dem Tellerrand, aber mit gesegnetem Appetit.

      »Ein öffentliches Gebäude«, jammerte Mutter Thormann. »Und die Fenster da sind so groß wie Spiegelscheiben!«

      Ottel hob die blassen Augen vorwurfsvoll: »Ist ja — ist ja bloß — ein — ein ganz kleines ist es ja bloß und kostet genau fünf Mark, hat Herr Lohse gesagt, und —«

      »Nu denk mal bloß an, fünf Mark!«

      »Ach was!« lachte Mine. »Die schenk ich ihm. Du kannst sie aus der kleinen Kasse nehmen, Ottel. Denn wenn ich schon ausgeh, kann Jonny selber bezahlen, das wäre ja noch schöner!«

      Ottel strahlte.

      Frau Thormann fühlte sich erschöpft. Sie ordnete an, Otto solle nachher gleich die Pfirsiche zu Klefots bringen. Dann tat sie einige herzhafte Äußerungen über die Anstrengungen des verflossenen Tages, der soviel auf einmal gebracht, gähnte herzhaft und zog sich zurück.

      »Warum heulst du eigentlich nie, Ottel?« fragte Mine und schnitt ihm ein gutes Stück Fleisch in kleine Stücke.

      Ottel atmete tief und schnaufend. Er sah seine Schwester erstaunt an und fragte: »In — Indi —«

      »Vorsicht, Ottel!« unterbrach sie ihn: »Ich glaube, es heißt wieder mal in der.« Denn sie fühlte sich wie alle großen Schwestern zur Miterziehung verpflichtet.

      Ottel schüttelte beleidigt den Struppkopf und vollendete mit Grabesernst seinen Satz: »Indianer kennen keine Schmerzen.«

      7

      Klefots kleines Hotel lag zwischen Hafenstraße und Bernhardstraße. Es hatte zwei Eingänge, was bei nötiger Aufsicht allemal praktisch ist in Flut und Ebbe des internationalen Verkehrs einer Welthafenrampe. Die besten Zimmer gingen nach Süden und hatten eine fabelhafte Aussicht auf den Hafen. Hier wohnten vorübergehend Angehörige von Schiffsoffizieren, auch solche selber, wenn der Wechsel des Dienstes eine kurze Landpause ergab und das Zuhause nicht ohne Umstand erreichbar war. Manchmal, wie jetzt zum Beispiel, auch Auswanderer. Geschäftsreisende, die mit dem Hafenbetrieb zu tun hatten, begnügten sich mit den Nordzimmern, in deren Fenster nichts als die unbesondere Gegenseite der Bernhardstraße blickte.

      Der kleine Artist Paduzek wohnte ganz oben unter einen schrägen Dachfenster. Er sah durch dieses in den dunstigen Hamburger Himmel; doch wenn er mittels Klimmzug oder vom Stuhl oder Tisch aus den Kopf über den geöffneten Simsrand erhob, konnte er die Pontons der Fähre VII, den Strom und das ganze Kuhwärder Werft- und Industriegelände übersehen.

      Die kleine Kammer war von einem eisernen Bett, einem Waschständer, einem Tisch und Stuhl und einem riesigen Artistenkoffer ausgefüllt, so daß man wie auf dem Seil mit den Füßen hintereinander gehen mußte und zudem sich in acht zu nehmen hatte, nicht auf die beiden gelben Schildkröten zu treten, die Paduzek mit Liebe pflegte.

      Eben stand Paduzek vor dem halbblinden Spiegel, den Rasierapparat in der Hand, und betrachtete sein mit Schaumsalbe bestrichenes Gesicht. Die Schwermut der Jahre und das Verächtliche an dem, was sein teilweiser Broterwerb sein mußte, war über ihn gekommen, und seine Neigung richtete sich auf eine angesehenere Lebensstellung.

      Bislang war er den Federungen des Schicksals ohne viel Widerstand ausgeliefert gewesen. Er hatte sich angepaßt. Sein Vater hatte eine Steindruckerei besessen, und auch der Sohn hatte zeichnen und drucken gelernt. Der Vater hatte die Sehnsucht nach dem Künstlerischen in sich mit ehrbarer Handwerksarbeit zur Ruhe gebracht. In dem Sohn glaubte er, sie aufleuchten zu sehen, und hatte die Flamme geschürt, das Erbgut überschätzend, hatte sich für seinen Sohn auf Kunstgewerbeschulen und Akademien es reichlich Geld kosten lassen und hatte das Zeitliche verschuldet gesegnet. In seiner Sterbestunde schon war es klar, daß der Name Paduzek nicht geeignet sei, in der hoffnungsfrohen Zusammenstellung mit dem Vornamen Michel, jener