Fähre VII. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467350
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in den wägenden Fäusten je ein Prachtexemplar von elfenbeinfarbenen Blumenkohl, blickte schon wartend zur Tür. Sein gutmütiges glattes Kinn drückte sich vor Freude breit über das saubere blauweiß gestreifte Hemdquäder. Seine Tochter, sein Augapfel, sein bestes Stück, ach, sein kleine Minepussel hüpfte in den Laden!

      »Kannst ruhig noch ein büschen auf Fähre, die Suppenkraut- und Kartoffel- und zu Mittag-Kundschaft aus Straße, die machen Mutter und ich schon allein. Aber wenn die von der Manhattan kommen, das siehst du ja, denn spring man gau wieder her!« sagte er in zärtlichem Ton.

      Und auch Mutter Thormann lächelte hinter den Einholekörben und Umschlagetüchern der nachbarlichen Hausfrauen und zwei roten levantinischen Heizerfezen hervor, nickte und fügte mit so selbstverständlicher Stimme hinzu, daß jeder merken mußte, was da Besonderes im Schwange war: »Grüß auch Jonny schön, und er soll man ruhig wieder zum Essen zu uns kommen!«

      Ja, jedweder mußte darauf merken, daß Jollenführer Jonny Wack, staatlich angestellt bei der Hafendampfschiffahrts-Gesellschaft, nun, seit Mines einundzwanzigstem Geburtstag, sozusagen Schwiegersohn bei Thormanns geworden ist.

      3

      Indessen drüben im Roßhafen schob sich, von vier Schleppern bugsiert, die Manhattan an den Kai. Ihre 25000 Tons wirkten wie ein Gebirge. Über dem schwarzen Rumpf des Kolosses erhob sich die Gletscherweiße der Aufbauten, überragt von den beiden glatten roten Zinnen der Schlote, deren weiß und blauer Rand eine symbolische Andeutung von Wolke und Himmel zu sein schien.

      Die Wurfleinen pfiffen durch die Luft, wurden am Pier aufgefangen und eingezogen. Es war ein flinkes Unterfangen, das leicht begann und rasch schwer wurde, denn an die Leinen waren die Manilatrossen geschoren, die armdicken, gewichtigen Haltetaue des Seeriesen, deren Schlaufen um die mörserdicken Rampenpoller gelegt werden. Langsam holten die Dampfwinden sie steif. Die Bordkapelle spielt »Stars und Stripes«. Es knallte wider von den Schuppenmauern.

      In kleinen bunten Inseln standen Angehörige auf dem halben Kilometer der Laderampe verteilt. Schon lange flatterten hier und auf den Decks die Taschentücher, Rufe schollen hin und her. Die Gangways rollten heran, die Geländer segeltuchverkleidet. Die Verbindung zum Lande war hergestellt, Kontinent legte sich sozusagen an Kontinent, New York und Hamburg waren eins. Die Bordkapelle war jetzt bei »Deutschland, Deutschland —«.

      Die Passagiere begaben sich an den grüßenden Offizieren vorbei von Bord und zu den wartenden Autobussen der Reederei, welche die Verbindung zum Hamburger Hauptbahnhof besorgen. Weißbejackte Stewards brachten das Handgepäck.

      »Stop!« sagte ein langer, elegant gekleideter Gentleman: »Meinen kleinen Koffer bitte zum Fährponton!«

      »All right, Mister Ploß!« antwortete der Steward und folgte dem Fahrgast unter den gewaltigen Toren der elektrischen Kräne, die schon lastgierig zu rumoren begannen, hin zum Kopf der langen Mole.

      »Danke«, sagte da Mister Ploß und gab ein Trinkgeld. »Von hier werde ich abgeholt.«

      4

      Die Balduinstraße scheint glatt in den Himmel zu münden, dessen Pforte ungeheuerlich aus den Werftgerüsten der andern Stromseite gegittert ist. Aber ist man die Straße zu Ende, senkt sich eine steinerne Treppe hinab, dreigängig und breit, da, wo oben Onkel Max das Frühstückslokal hat mit dicken Bogenlampen auf Backbord und wo das große Schild Exchange anzeigt, daß ein Bedürfnis, fremdes Geld umzuwechseln, bei manchen Passanten der Treppe vorauszusetzen sei, und wo auf der andern Seite auf kahler Wand zu lesen steht, daß man geeigneten Orts Butter, Käse und Eier kaufen und Torten bestellen und Wäsche waschen und plätten lassen und sich des Abends zu zeitgemäßen Preisen amüsieren kann, was teils auf Englisch wiederholt ist. Ja, von dort sieht man über die unterwärts liegende Hafenstraße weit und breit auf die ganze verzweigte Steganlage der Fähre VII. Und die Straßenbahn Linie 7 hat eine Haltestelle davor. Von da schwingt die feste Landbrücke unter eisernen Spannbögen hinab auf die beweglichen Planken, die überleiten zu den Schwebepontons, darauf spielzeugklein der lustige Krempel der Hafenpolizei-, Zoll- und Fahrkartenbauten sich erhebt.

      Die Stromebene dahinter, von Möwen überflattert, war an diesem lichtgrauen Morgen im unruhigen Südwestwind aufgebrochen wie ein silberbrauner Acker. Ein paar kleinere Dampfer und einige Schlepper pflügten schäumig hin und her. Ihre tabak- und quallenfarbenen Rauchwimpel setzten über die riesigen Aufbauten des Gegenufers, die mächtigen Hellinge der Werft von Blohm & Voss, die von hier aus dem Gerippe einer urgewaltigen, entbalgten Handharmonika gleichen und fauchend und rasselnd über das wirre Jazzorchester des Hafens gesetzt sind, höher selbst als die Schlote des grauen Afrikadampfers, der da aus der Flut emporgepumpt, trocken wie ein Modell unter Glas, im Dock lag.

      Mine hatte ihr Sparkassenbuch verwahrt und ihre Schürze abgelegt. Seit mehreren Jahren bewohnte sie eine kleine Sonderkammer unterm Dachboden, die zur Ladenwohnung dazu gemietet worden war, weil das große Mädchen nicht ewig mit dem kleinen Bruder zusammenschlafen konnte. Sie mochte da oben nicht gern so allein sein, sie fürchtete sich. Aber es war ja auch nur nachts, und im übrigen, zum Beispiel wegen des geheimen Abendkleides, war sie froh, ihr kleines Reich für sich zu haben.

      Ritsch, ratsch war sie die Treppe hinauf und hinabgeflattert. Ihr blumiges Sommerkleid und das durch ein schmales Seidenband nur halb gebändigte Haar wehten in der dümpiligen Brise.

      Der Verkäufer in der Zigarrenbude gleich an der Ecke vor der Fährbrücke steckte den Kopf hervor und griente erfreut. Mine nickte freundlich zurück.

      »Richtig!« sagte sie, nahm Geld aus ihrer neuen Handtasche und kaufte ein Päckchen von Jonnys Lieblingsmarke.

      Dann stand sie auf der Brücke. Tief sog sie den frischen Dunst des Wassers ein und den Geruch des Hafens, dieses großartige Gemisch aus Öl, Qualm, glühendem Eisen, Kohlen, geteerten Planken, Sackleinen, Salzfisch, Kaneel, verschwitzten Stauerhemden und unbekannter Ferne, diesen unvergleichlichen Luftsalat, der ihrer Lungen Speise war von Jugend auf und ihr heute ganz besonders aufreizend deuchte, besonders reich geladen mit dem Abhauch tropischer Gewürze und dem salzigbitteren, kühlen glashellen Duft der See.

      Sie beschattete die Augen; denn eben wickelte sich die Sonne wie ein blasser Pippingapfel aus rosagrauem Wolkenpapier. Die Manhattan drüben war schon hinter dem Kuhwärderdock verschwunden, dorthin, wo die breiten Hafenschläuche und massigen Piers zwischen Tollerort und der Ellerholzschleuse sich erstrecken. Andere Dampfer brummten, aber nicht noch einmal ertönte der dunkle, schütternde Meergigantenruf, den sie so gern hörte.

      Klein ging sie weiter zwischen den schwarzen Tragbögen hin über die hohl tönenden Brückenplanken, die vom Ufer in die Stromschlucht stoßen. Sie sah durch das Geländer auf hochbeladene Heu-Ewer, Kohlenschuten und wartende Schleppdampfer.

      Bei der steilen langen Treppe, die steuerbords hinunterführt auf den tiefliegenden Ponton der Taxibarkassen, wo an den Dückdalben das weithin lesbare Plakat die Wasserdroschken anpreist, die zu jeder Tag- und Nachtzeit fahrbereit sind und jedem gewünschten Ort des Hafens, dort blieb sie einen Augenblick stehen. Dort unten saßen ein paar Männ der vor einer bescheidenen Holzbude, und sie hoben den Kopf, als sei ein Fahrgast zu erwittern.

      Mine lächelte. Oho, sie lächelte ein wenig spöttisch, und die Männer tippten an die Mütze und lächelten ein »Ach so« zurück und senkten die Köpfe und sogen weiter an ihren Bröseln oder Zigarren.

      »Hallo, wohl nichts zu tun?« flötete Mine hinunter. Sie konnte zu Zeiten ein wenig boshaft sein.

      »Laß du dir man nichts tun!« echote einer der Männer zurück. Er wußte, daß Mine Thormann die Braut von Jollenführer Wack sei. Es deuchte ihm kein Grund, auf Jonny neidisch zu sein; außerdem trug Jonny Wack eine kräftige Handschuhnummer.

      Mine lächelte versöhnlich. Das da unten waren selbstständige Männer, und die Boote waren deren Eigentum. Und doch, dachte sie, es ist gut, daß mein Jonny nicht so ein eigenmächtiger Wasserdroschkenkutscher ist, der auf das Gelgenheitsgeschäft lauern muß, und manchmal glückt es, und manchmal bleibt es aus. Mein Jonny aber hat sein Gehalt, und wenn er seinen Kahn auch leer fährt wie einen alten Gummischuh.