Fähre VII. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467350
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tupfte gelassen an die Mütze: »War nur die Manhattan, Kontrolleur.«

      Ein paar Fahrgäste saßen schon achtern. Der Beamte prüfte die Fahrscheine. Der Schaltermann, dem eine kleine Nickelorgel zum Geldwechseln auf der Brust hing, gab sie sorgfältig aus, da war nichts zu melden.

      Dem Fährboot weiterhin ertönte ein Abschiedsruf: »Na, denn Heil, damit nichts kapuut geht!«

      »Da soll doch gleich!« schnob der Kontrolleur, grüßte und begab sich stromauf nach Fähre VII.

      Als er außer Sicht war, stieg auch Mine wieder an Land. Der Abschied von Jonny geriet den Umständen nach etwas hastig. Schon näherte sich wieder eine Fähre voller Manhattanleute. Sie lief dem Schwarm voraus, unbehindert von Schalter und Zollmann. Über Steg, Brücke, Hafenstraße und Treppe hinauf in die Balduinstraße.

      6

      Als Mine den elterlichen Laden erreicht hatte, zögerte sie. Durch die große gutgeputzte Scheibe erblickte sie den langen Gentleman, der Jonnys Boot entstiegen war. Gemessen trat er heraus. Die graue Melone des Artisten aber war nicht mehr zu entdecken. Der feine Herr sah Mine mit höflichem Erstaunen an und grüßte elegant. Er trug eine goldgeränderte Brille und sein Haar schien an den Schläfen leicht ergraut. Eine nicht unfesselnde Erscheinung, schien es Mine. Seine Hände hatte er halbwegs in die Jackettasche gesteckt. Eine Tüte war nirgends zu erkennen.

      Mine schlüpfte hinter die Tonbank, von ihrem Vater grobschlächtig begrüßt. Von der Mutter alsbald leise vermahnt, sich ein ander Mal etwas zu sputen. Es sei schon allerlei vorbei. Auch dieser Herr hätte gegebenenfalls noch mehr gekauft, wenn sie da gewesen wäre. Jawohl, Mutter Thormann wußte genau, welch Juwel sie an ihrer Tochter besaß.

      Mine bediente eine Nachbarin mit Türkschen Erbsen, Kochbirnen und Petersilie. Sie scheute keine Arbeit. Aber ihre Mutter sagte streng. »Bleib du beim Obst. Machst dir ja die Finger so grün!«

      Als danach der Augenblick günstig war, fragte Mine: »Was hat er denn gekauft, der große Kavalier? Eine Banane? Und sie ins Jackett gesteckt?«

      »Er heißt Herr Ploß, mein Kind«, antwortete die Mutter wie eine sanfte Zurechtweisung.

      »Herr von Ploß!« hob der Vater den gutmütigen Schnauzbart: »Hier ist seine Karte — Reginald von Ploß, und dabei geschrieben: »z.Zt. Klefots Hotel, und ein Wappen ist auch darauf!«

      »Ja, richtig«, meinte Mutter Thormann: »Aber dennoch wird er eine Art Großkaufmann sein, ich hab so eine Ahnung. Er hat drei Pfund Pfirsiche bestellt. Sie sind für Klefots Bar; wenigstens sollen sie dort abgeliefert werden bis zum Abend. Er wird sie zum Sekt gebrauchen, Abschiedsfeier, er sagte so etwas, ein freimütiger Herr. Ottel kann sie heute nachmittag hinbringen!«

      Ottel war Mines kleiner Bruder. Er war zehn und jetzt in der Schule.

      »Puh, zum Sekt? Schmeckt denn das?« flüsterte Mine, indem sie, dicht neben ihrer Mutter stehend, eine Tüte abriß und mit der kleinen Faust hineinfuhr, um ihr die nötige Höhlung zur Aufnahme für ein halb Pfund Tomaten zu geben.

      »Mag sein«, entgegnete Frau Thormann und öffnete ihre Stimme gebührend der Kundschaft zu, wog Stachelbeeren ab und sagte: »Ich habe gehört, man tut die Pfirsiche ins Glas!«

      »Djawoll, direkt in den Schumm!« bestätigte Frau Musback, die sehr hellhörig war und einst bessere Tage gesehen hatte. Sie rückte ihren alten Kapotthut zurecht und sah sich in Gedanken jung.

      »Aber ein Großkaufmann ist so was nicht, ein Bierverleger höchstens. Oder ein Zirkusdirektor!« knarrte Netzmacher Södel.

      Frau Musback rieb ihr ewiges dickes Gerstenkorn und blieb beim Sekt ihrer Jugend: »Djawoll, und vorher pieken sie ihm mit ne Gabel und denn ziehen die Perlen darin, und denn fängte er an, sich zu drehen, ümmer so rum wie ein Karussell!«

      »Die verrückte Welt!« fand sich wiederum Vater Thormann gutmütige Stimme dazu: »Aus den Austern holt man die Perlen raus und in die Pfirsiche läßt man sie rein.«

      »Ist allens dasselbe!« nickte Frau Musback.

      »Aber in diesem Falle nur Kohlensäure!« erklärte, von der Wichtigkeit seiner wissenschaftlichen Bildung überzeugt, der junge Mann von der Drogerie, der sich einen Rettich zum Frühstück zu kaufen gedachte.

      »Allens Luxus und Verderb, der Herr wird ihnen strafen bis ins zehnte Glied, die da prassen und vertun, was den Armen aus den Hälsen gemergelt wird, und sie werden glatten Durchfall davon kriegen«, knurrte der alte Netzmacher aus dem Hinterhof von der andern Seite. Er war mürrisch, hatte ein Holzbein, war auf die Abseite der Zeitläufte geraten und suchte sein Geländer an ein bißchen Frömmigkeit, was ihn nicht hinderte, sich den Mittag zu Speck, Kartoffeln und Zippelstibbels ein paar Salzgurken zu leisten.

      Mutter Thormann lächelte über die ganze bunte Kundschaft hin und einigen munter gekleideten amerikanischen Jan Maaten zu, die gerade den Eingang enterten, und sagte schlicht, als sage sie etwas: »Ein Kilo Schneidebohnen« — »Auf Mines Hochzeit, da werden wir auch Pfirsiche in Sekt Karussel fahren lassen!«

      Erst als sie beim Mittagessen saßen, fiel es Mine ein, sie habe ganz vergessen, Jonny die Einladung ihrer Mutter zu bestellen.

      »Das ist ja nun purer Undank, Deern!« meinte die Mutter: »Wo er dir die schönen Pralinees geschenkt hat und auch partout die Ringe selber bezahlen will. Er hat doch nur Dienst bis halb eins heute, und wir hatten doch noch so reichlich Fleisch von gestern, wenngleich, umkommen tut es nu ja auch grade nicht, denn wenn dein Vater darf, lutscht er alles ratzekahl weg vom Tisch und wenn auch für zehn Scheunendrescher gedeckt ist.«

      Vater Thormann schmunzelte ungekränkt und hielt ein Ohr nach dem Laden, wo Klein Ottel seinen Mittagsposten bezogen hatte und heimlich von den neuen blauen Weintrauben naschte. Ottel hatte es heute nicht eilig, es schien ihm fraglich, ob es Mittagessen für ihn geben werde. »Ottel«, rief er kauend: »Lauf rasch hin, ist noch fünf vor halb. Onkel Jonny soll hier was essen!«

      Aber Mine war schon aufgesprungen. »Das mach’ ich selber«, lächelte sie und war wie der Wind davon. Wie süß der Mosambik-Zeisig bei Denkers schmetterte, wie herrlich sich die Hafentreppe mit einer Stufe überschlagen nehmen ließ; sie schwebte wie auf Flügeln.

      Aber Jonny war nicht mehr da. Seine Ablösung schmunzelte mitfühlend. Jonny sei mit dem Boot zum Hafentor Baumwall beordert, da sei einer krank oder Motorschaden. Vor acht gäb es da nicht frei. Essen? Ach, da habe man so Würstchen an der Bude, ganz gut. Das wäre nun mal so der schwere Hafendienst, immer einspringen, aber dafür würde Jonny morgen den ganzen Tag frei haben, wahrscheinlich wenigstens.

      »Dieser Beamtendienst!« seufzte Mine, als sei sie schon verheiratet.

      »Djä, Mine-Stern«, kaute Vater Thormann unter dem beigußtropfenden Schnurrbart hervor: »Denn mußt du ihn ja rein heut abend ein büschen trösten!«

      Theodor, wie meinst du etwa?« warf Frau Thormann ein und legte die Gabel hin, als wolle sie zu schärferen Waffen greifen.

      »Natürlich in Ehren — ehren ist menschlich!« lachte Mine, und ihr Vater stimmte mit ein, so gut es sein voller Mund erlaubte.

      »Ja, unser Mineküken weiß, was sich gehört, Mammi!« sagte er dann gutmütig.

      »Jonny ist auch viel zu holzpantoffelig für jeden Unfug, will ich euch nur flüstern«, sagte Mine, indem sich ihre Stimme verdüsterte.

      »Warum bist du denn auf einmal so sonderbar fuchtig?« Ihre Mutter sah sie groß an. Sie war das Ebenbild ihrer Tochter, gesehen in einem Konkavspiegel: »Als Braut darf man nur immer so ebenweg jubilieren, verstanden?«

      Mine drehte den Kopf gegen die Schulter, den Löffel weit von sich gestreckt und schwieg in sich hinein. Auf einmal lauschte sie und sagte erstaunt: »Das Radio ist ja an.«

      »Das ist immer an«, versetzte Mutter Thormann mißtrauisch. »Oder was wolltst du sagen?«

      »Is ja allens bloß Spaß«, kaute Vater Thormann, erhob sich und verschwand schnurrbartwischend in den Laden.