Fähre VII. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467350
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und strich sich mit spitzem Zeigefinger unter einem rostbraunen englisch-kurzen Schnurrbart entlang. Er wartete, bis der Jollenführer die Leine um den Poller gelegt hatte, was ungemein rasch ging. Schon stand Jonny Wack neben seiner Mine, und während er mit seiner langsamen Zunge nach »gut geschlafen« und dergleichen fragte, hörte sie deutlich, wie der feine Herr auf die Melone neben sich hinab knarrte: »Schmissiger Fisch!«

      5

      »Komm rasch in die Kajüte, ich muß dir einen Süßen geben!« flüsterte Mine ihrem Bräutigam gegen das derbe Ohr.

      Jonny blickte so verlegen als beglückt auf das schöne Mädchen, das neben seiner Vierschrötigkeit klein und zierlich wirkte. Er blinzelte mit ruckartiger Kopfbewegung nach allen Seiten, ob nicht irgendwas Miesäugiges auf Unrat lauerte.

      Husch, da war Mine schon unter Deck in der kleinen Schlechtwetterkammer, deren Wände zur Hauptsache aus Fensterglas bestanden und durch keine auch so bescheidene Andeutungen von Gardinen verhüllt wurden. Trotzdem aber herrschte in dem winzigen Raum, gegen das helle Hafenlicht gemessen, eine natürliche Dunkelheit, und der Einblick von außen, das wußte Mine gut, war schon durch die spiegelnden Scheiben so gut wie unmöglich. Die nächste Fähre kam gerade und die Schaltermänner hatten heute genug mit der Kundschaft zu tun. Die beiden Gentlemänner waren auch schon weg. Kein Mensch kümmerte sich im Augenblick um die Jollenführerbarkasse, somit schlurfte Jonny eilends hinter Mine her. Sie zog ihn ungeniert auf die braungestrichene Bank, sah ihn forschend an, gab ihm einen zärtlichen Klaps auf die lederharte Wange, wobei sie die kleinen Zähne fletschte und sich zusammenzog vor unbestimmter Wonne.

      »Sag erst was, Jonny!« zischelte sie, das Kinn vorgereckt, den Nacken zusammengedrückt, bebend, die Augen halb geschlossen.

      »Mine!« sagte Jonny. Und was er zudem noch äußerte, war nur ein verlegenes knappes Lachen, das wie das leuchtende Knurren eines großen, gutmütigen Köters klang, dem man ein Stück Zucker vor die Nase hält und es ihm noch nicht geben will. Mehr brachte er nicht hervor, denn er war wortkarg von Natur.

      »Ist das alles, du Geizhals?« zischte Mine. Und sie faßte ihn bei den dicken Ohren: »Daß du auch gleich wieder Dienst haben mußtest, hast ja wohl kaum geschlafen.«

      Aber Jonny vermochte nichts weiter, als wieder so verlegen glücklich zu grunzen.

      »Na, schön, du Sottje!« ließ Mine ihre Stimme nun natürlich erklingen. Ihre Augen öffneten sich voll Überschwang: »Du bist mein guten Jonny!« sagte sie.

      Plötzlich hingen Tränen an ihren Wimpern. Sie wußte nicht, warum. Sie fiel über Jonnys erstauntes Gesicht her und bedeckte es mit Küssen, und es war, als wolle sie es auslöschen mit ihrem durstigen Mund.

      Jonnys Arme umschlossen sie fest. Das waren vielleicht Arme! Das tat ihr gut.

      Aber jählings lösten sich diese stählernen Trossen und steiften sich starr wie Kranbalken und schoben sie von sich, als wäre sie eine ganz und gar herzlose, eiserne, mechanisch unter Kranbalken gleitende Laufkatze.

      »Der Kontrolleur!« sagte Jonny.

      Mine wollte aufspringen, aber Jonnys Pranken hielten sie nieder. Er lächelte sein verlegenes Lächeln weiter. Augen, Mund und Nasenlöcher waren ihr vor Schreck geweitet, er konnte gar nicht hinsehen. Ihm war so, als sähe er direkt in die Sonne.

      »Ich meine ja man bloß, wenn einer kommen sollte!« sagte er langsam.

      »Du Kaffer! Mich so zu verfieren!« lachte Mine und versuchte vergebens, ihm wieder um den Hals zu kommen: »Und überhaupt, kann ich vielleicht nicht etwa auch Fahrgast sein? Die fumfzig Pfennige kann ich wohl noch blechen, mein Schnudel. Ich hab’ genau Mark zweihundertdreiundvierzig Komma zweiundsiebzig auf Sparkasse. Tadelidö, was? Der soll nur kommen, der Herr Kontrolleur, dann sag’ ich: Herr Kontrolleur, oder je nachdem Herr Hilfs- oder Hauptkontrolleur, was mein Jonny ist, der ist der beste Jollenführer von Hamburg-Altona und von der ganzen Welt, und auch bei mir. Und dann lächle ich so, weißt du, so — und dann schmilzt sein hartes Kontrollherz dahin wie Bohnerwachs und Baumöl. Und dann sagt er: Jonny Wack? So’n nettes Mädchen? Und Sie geben ihr nicht mal’n Süßen? O mein Gott, wie viele, viele würden das sofort tun!«

      Jonnys Arme wurden schlaff. Nein, gegen diese flinke Zunge reichte keine Muskulatur. Er zog Mine an sich, sie atmete heftig, sie wehrte seinen Mund plötzlich ab. Er legte bedrückt und schwer seinen harten Kopf an ihre kleine Schulter. Sie preßte ihre Lippen auf seinen ledrigen Nacken und schloß die Lider.

      Schmissiger Fisch! Wie hatte das geklungen! So aus der weiten großen Welt. Ohne Zweifel war sie gemeint gewesen. Aber dieser schnieglige Gentleman sollte sich bloß nichts einbilden! Sie biß in Jonnys lederne Nackenhaut, er rührte sich nicht. Sie dachte an den kleinen Engländer von damals. Aber dieser große Mann war sicher ein Amerikaner. Jonny war auch in der weiten Welt gewesen, war aus dem Hafendienst ausgeratzt und als Junge und Matrose gefahren, bald nach Afrika, bald in die Südsee, und weit an die Westküste. Jetzt war er zu Hause und hatte sein geregeltes Auskommen, dort, wo er schon als Konfirmand auf den Fährdampfern angemustert, und wenn man sich sparsam hielt, konnte es für zwei reichen. Ja, sie war seine Jollenführerbraut.

      »Moigen!« sagte der Kontrolleur der Hafendampfschiffahrtsgesellschaft und blickte in die Tür.

      Man soll eben den Teufel nicht an die Wand malen. Jonny war im Nu auf den Füßen, er konnte mächtig hurtig sein, wenn es seinen Posten betraf.

      Der Beamte machte eine beschwichtigende Handbewegung und sah ein wenig schmunzelnd über das Mädchen hinweg, das vor Überraschtheit das vorgenommene Betörungslächeln ganz vergaß.

      »Ich komm’ hier gerade längs«, sagte der Kontrolleur und trat wieder ins Freie.

      Jonny folgte ihm mit angespannter Aufmerksamkeit. Ihm war, als hätte er betreffs der Bänke und der Motorhaube vielleicht doch noch etwas Wischtuch anwenden sollen, aber nun war es zu spät. Sonst war ja wohl alles okee bis auf die Deern, das half nun nichts. Den Aal, der deswegen in der Luft lag, würde man in Anbetracht des Objektes mit Vergnügen schlucken. Aber ärgerlich war es doch! Immerhin war dieser Kontrolleur von der sanfteren Sorte.

      »Ich wollte Sie mal fragen«, fuhr Jonnys Vorgesetzter fort, ohne sich weiter um Bänke oder Motor oder Mädchen zu kümmern: »Da waren doch eben, ich sah es noch gerade, zwei Fahrgäste in Ihrem Boot!«

      »Ay, ay«, antwortete Jonny dienstlich.

      »So ein kleiner und ein großer. Und der Kleine, der sah so ein bißchen sonderbar aus, nicht wahr?«

      Jonny zuckte die Achseln. Er wußte es nicht. Seine Aufgabe erschöpfte sich darin, die Jollenbarkasse in Ordnung zu halten und sie durch den Hafen zu steuern und zu wissen, wo die Schiffe liegen, dahin die Fahrgäste verlangten, und keine Flagge zu übersehen. Nicht einmal das Fahrgeld sammelte er selber ein, das machte ein Schaltermann. Um das Aussehen seiner Passagiere hatte er sich selten bekümmert.

      »Ich dachte«, sagte der Kontrolleur: »Sie kennten den einen vielleicht, den kleineren? Den mit dem steifen hellen Hut? Wissen Sie, der war nämlich gestern auf dem Kontor bei uns und hat sich um einen Posten beworben, ganz gleich als was, am liebsten auf einem unserer Boote. Er zeigte Papiere und Zeugnisse von Baltimore und New York und ich weiß nicht, woher noch. Natürlich und trotzdem ist er abgewiesen worden, er hat nämlich einen steifen Arm. Er könne es mit einem, hat er gesagt, aber solange wir noch eigene Leute mit zweien haben, genügen uns die vollauf.«

      Jonny entsann sich nun der hellen Melone. »Doch, der fährt hier öfter«, sagte er langsam.

      »Na also, Wack«, der Beamte schielte nun doch in die Kajüte. Es war ja schließlich auch verführerisch: »Dann passen Sie mal ein bißchen mit auf, was der Mann treibt. Vielleicht interessiert es, und wenn nicht unsere Direktion, so doch vielleicht den Zoll oder die Polizei. Denn auf uns, da darf ja natürlich nichts fallen!«

      Jonny nickte beflissen.

      Der Kontrolleur fuhr fort: »Übrigens, ein bißchen rasch sind Sie letzte Tour ja zurückgekommen. Sie haben doch keine Flagge übersehen? Janmaat will ja auch gern schnell