Marinas reicher Onkel. Alrun von Berneck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alrun von Berneck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507483
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So konnte sie die Ueberraschte spielen, wenn die Schneiderin plötzlich vor ihr stand, und ihr Ziel, Marina und Igor allein fahren zu lassen, erreichte sie auch.

      Und dann kam es genauso, wie sie es eingefädelt hatte. Zuerst erschien Marina, angefüllt mit der Vorfreude auf die schöne Fahrt bei dem herrlichen Frühlingswetter. Sogleich machte sich Kora reisefertig, ließ sich sogar von der Freundin raten, was sie für die Fahrt anziehen sollte. Dann erschien Igor in der Wohnung und sagte, daß er in zehn Minuten fertig sei, man möge sich darauf einrichten. Und als diese zehn Minuten gerade verstrichen waren, klingelte es abermals, und die Schneiderin stand vor der Tür und begehrte Einlaß.

      Heuchlerisch erklärte Kora ihr Erstaunen über diesen unerwarteten Besuch und erntete damit einen schiefen Blick ihrer Besucherin. Aber die Schneiderin sagte nichts, denn sie war bei ihrer vornehmen Kundschaft schon manches gewohnt.

      In diesem Augenblick kam Igor herein, um die Damen abzuholen.

      „Denk dir, Igor, da ist Frau Niklas plötzlich gekommen. Ich muß mein Sommerkostüm anprobieren, und das dürfte eine ganze Weile dauern. Wenn du darauf warten würdest, würdest du deinen Terminversäumen!“

      Das war sehr deutlich. Damit hatte sie ihm gesagt, daß er unter allen Umständen fahren mußte, wenn er vor Marina die Version aufrechterhalten wollte, er habe auch beruflich etwas in Wetzlar zu erledigen. Ein wenig hilflos schaute Igor von seiner Schwester auf Marina. Und Marina erwiderte den Blick und machte dazu ein recht unglückliches Gesicht. Sie sah die Fahrt schon ins Wasser fallen. Doch da sagte Kora resolut:

      „Nun fahrt schon los, ihr beiden! Es ist doch nicht unbedingt erforderlich, daß ich auch dabei bin! Aber Frau Niklas ist stark beschäftigt und kann zu keiner anderen Zeit wiederkommen!“

      „Du willst wirklich hierbleiben?“ fragte Igor und sah nicht gerade geistreich aus bei dieser Frage.

      „Es wird mir nichts anderes übrig bleiben. Aber laßt euch um Gottes willen nicht stören!“ Sie sah nach der Uhr an ihrem Handgelenk. „Ihr habt sowieso keine Zeit mehr zu versäumen!“

      Da war bei Igor der Groschen gefallen. Er blinzelte der Schwester verständnisinnig zu, ergriff Marina am Arm und sagte:

      „So ein Pech! Da muß doch das arme Kind zu Hause bleiben!“ Und zu Marina gewandt, fuhr er fort: „Komm, Mädchen, wir haben wirklich keine Zeit zu versäumen!“

      Marina ließ sich willig mitziehen, je schneller sie den Schauplatz verließen, um so besser war es. Es bestand immer noch die Gefahr, daß die Fahrt unterblieb. Und sie hatte sich schon so sehr darauf gefreut. Noch in der Korridortür, während Marina und Igor bereits die Treppe hinunterliefen, rief ihnen Kora noch nach, sie möchten sich gut amüsieren.

      Fünf Minuten später saßen sie bereits im Wagen und steuerten zur Stadt hinaus.

      Die vor ihnen liegende Fahrt betrug rund hundertfünfzig Kilometer, und da Igor gesagt hatte, er müsse zwischen elf und zwölf Uhr an Ort und Stelle sein, blieb ihnen keine Möglichkeit, zwischendurch Aufenthalt zu nehmen. Sie fuhren an der Eder entlang durch die Ausläufer des Rothaargebirges und erreichten das Lahntal und folgten dem Fluß bis über Gießen hinaus. Als sie im Angesicht des alten und ehrwürdigen Domes in die Stadt einfuhren, war es fast halbzwölf Uhr.

      „Jetzt schaffst du es bestimmt noch, Igor!“ sagte sie zufrieden, weil die Fahrt ohne Zwischenfälle verlaufen war.

      „Ja, es klappt noch“, meinte er und nickte ernsthaft mit dem Kopf. „Zuvor aber bringe ich dich noch zu deinem Geschäft!“

      Sie gab ihm den Weg an und er brachte sie dorthin, wo sie ihre Porzellanfarben kaufen wollte. Dann verabredeten sie, sich in einer Stunde im Café am Dom zu treffen. Als sie ausgestiegen war, fuhr er den Wagen auf einen Parkplatz und begab sich in das angegebene Café, bestellte sich eine würzige Hühnerbrühe und ließ sich ein paar Zeitungen bringen. Marina würde große Augen gemacht haben, wenn sie gesehen hätte, welcher Art seine geschäftliche Besprechung war. Aber zum Glück wußte sie es nicht.

      Als sie nach einer Stunde mit ihrem kleinen Paketchen ankam, staunte sie darüber, daß er schon hier war.

      „Ist auch alles zu deiner Zufriedenheit ausgefallen, Igor?“ fragte sie mit einem Blick auf sein lächelndes Gesicht.

      „Zur allergrößten!“ bestätigte er lachend. „Die Hühnersuppe war ausgezeichnet!“

      Sie hielt es für einen Scherz und stimmte in sein Lachen ein. Es ergab sich, daß sie jetzt keinen Kaffee mehr trinken, sondern zu Mittag essen wollte. Also wechselten sie das Lokal.

      Da Marina nicht neugierig war und Igor keine Lust verspürte, über seine „berufliche Besprechung“ zu referieren, bestand kaum die Gefahr, daß sie ihm auf die Schliche kommen würde, geschickterweise wußte er sie aber in ein Fachgespräch über Porzellanmalerei zu verwickeln, das dann jede Gefahr des Entdecktwerdens ausschloß.

      Nach dem Essen im Weinhaus Bepler setzten sie sich wieder in den Wagen und traten die Rückfahrt an. Um diesmal eine andere Strecke zu haben, fuhren sie durch den Westerwald nach Herborn und von dort aus nach Biedenkopf. Es war kein großer Umweg, und landschaftlich hatte er besondere Reize. Aber es kam Igor nicht nur darauf an, seiner Mitfahrerin die landschaftlichen Reize des hohen Westerwaldes zu zeigen, er hatte auch noch eine Nebenabsicht. Denn er hätte kein Mann sein müssen, um die günstige Gelegenheit nicht wahrzunehmen, Marina persönlich näher zu kommen. Er wollte sie selbstverständlich nicht überfallen, dazu war er zu ritterlich, aber er hatte die feste Absicht zu ergründen, wie sie nun eigentlich zu ihm stand.

      Die einmal bergauf und dann wieder bergab führenden Straßen des Westerwaldes riefen in ihnen den Eindruck hervor, als ob sie sich auf einer Achterbahn befänden. Und je schneller Igor fuhr, umso übermütiger wurde Marina. Um den Reiz des Fahrens vollends auszukosten, erhob sich Marina und steckte den Kopf über die Windschutzscheibe hinaus.

      „Vorsicht, Marina!“ warnte er sofort. „Nicht ohne Brille in den Fahrtwind stellen!“

      Aber so schnell er mit seiner Warnung auch zur Hand gewesen, es war doch schon zu spät. Marina ließ sich im selben Augenblick in die Polster fallen und fuhr sich mit der Hand zum Auge. Sofort fuhr er an den Straßenrand und hielt an.

      „So ein leichtsinniges Mädchen!“ schalt er. „Weißt du denn nicht, daß im Mai sämtliches Geflügel unterwegs ist? Das ist doch der Monat der Hochzeitstänze. Jetzt hast du wahrscheinlich ein solches Viech im Auge!“

      „Wahrscheinlich!“ sagte sie kleinlaut. „Der Tänzer muß betrunken gewesen sein von der Hochzeitsbowle!“

      „Oder verliebt, was aber vermutlich dasselbe ist“, sagte er lächelnd. „Nun laß mich mal schauen, ob ich dir helfen kann!“

      Er beugte sich über sie, und Marina hielt ganz still. Behutsam hob er das Lid hoch, daß sich vom Reiben schon stark gerötet hatte, und forschte nach dem Uebeltäter.

      „Siehst du etwas?“ fragte sie leise.

      „Ja, du hast wunderschöne Augen!“ antwortete er ebenso leise. Sofort aber sagte er forsch: „Da steckt ja das Biest!“

      Er nahm sein Seidentuch aus der Jackettasche und versuchte mit einem Zipfel die Mücke aus ihrem Augenwinkel zu entfernen. Sie hielt mucksmäuschenstill und wagte kaum zu atmen. Noch niemals zuvor hatte er ihr schönes Gesicht so dicht vor sich gesehen, noch niemals ihr so nahe in die Augen geblickt. Ihr Mund stand halb offen, und die frischen roten Lippen glänzten ein wenig feucht. Es war eine ungeheure Lockung, ihr Gesicht einfach in beide Hände zu nehmen und diesen süßen Mund zu küssen. Es kostete ihn seine ganze Energie, dieser Verlockung nicht zu erliegen.

      Endlich hatte er die Mücke entfernt. Noch einmal tupfte er eine Träne aus ihrem Augenwinkel. Da hielt sie ihn mitten in der Bewegung fest.

      „Wie schöne Hände du hast!“ sagte sie mit einem verträumten Lächeln. „Richtige Geigerhände!“

      So etwas hatte ihm noch keine Frau gesagt. Er wurde so verlegen, daß er nicht zu antworten vermochte. Ein Kompliment aus ihrem Munde hatte