Marinas reicher Onkel. Alrun von Berneck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alrun von Berneck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507483
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      So zog sie sich also ihr bestes Frühjahrskostüm an und stieg mit ihm die Treppe hinunter. Draußen stand ihr unscheinbarer Wagen abfahrbereit. Der Anwalt öffnete den Schlag und ließ seine Schwester einsteigen. Erst als beide Platz genommen hatten, konnte sie ihre Neugierde nicht mehr unterdrücken.

      „Nun bin ich doch gespannt, wohin du mich fahren wirst“, sagte sie. „Hoffentlich über Land, denn jetzt, wo die Bäume blühen, ist es herrlich draußen!“

      „Das habe ich mir auch gedacht“, meinte er, und nach einer kleinen Weile fuhr er fort: „Ob Marina wohl zu Hause ist?“

      „Aber Igor!“ antwortete Kora und sah ihn freudig überrascht an. Marina war ihre beste Freundin, und sie hatte immer schon im stillen darauf gehofft, daß sich zwischen den beiden etwas anspinnen würde. Bisher hatte sie vergebens darauf gewartet. Wenn aber Igor jetzt nach ihr fragte, dann hatte das sicher etwas zu bedeuten. Doch er sagte kühl und gelassen:

      „Na ja, warum sollen wir sie nicht mitnehmen, sie hat doch kaum Abwechslung, wenn sie immer in ihrer stillen Klause sitzt.“

      „Ich finde es nett, daß du daran gedacht hast, Igor!“ lobte sie ihn. „Marina wird bestimmt gern mitfahren. Also holen wir sie ab!“

      Er nickte und fuhr schneller. Da fiel ihr auf, daß er eine ganz andere Richtung einschlug.

      „Aber wohin fährst du denn?“ fragte sie ein wenig ungehalten.

      „Wir sind schon da!“ meinte er lachend und bog auf den Hof einer Tankstelle ein. „Bitte, auch du mußt hier aussteigen!“

      Kopfschüttelnd kam sie dieser Aufforderung nach, und kaum hatte sie ihre Füße auf die Erde gesetzt, fiel ihr ein Wagen ins Auge, der direkt vor ihr stand. Begeistert deutete sie mit der Hand auf das Fahrzeug.

      „Ist der schön!“

      „Nicht wahr?“ meinte Igor lakonisch. „Darum sollst du ihn auch sogleich ausprobieren!“

      Da blieb der Baronesse vor Staunen der Mund halb offen stehen.

      „Ist das etwa unser Wagen?“ fragte sie verblüfft.

      „Natürlich! Also bitte, steig ein!“ Er deutete mit der Hand auf das Kabriolett, und Baronesse Kora ging voller Ehrfurcht um das Fahrzeug herum und betrachtete es zunächst einmal von allen Seiten. Inzwischen sprach ihr Bruder mit dem Autovertreter, um die Papiere zu übernehmen. Als er sich endlich seiner Schwester wieder zuwandte, wurde sein alter Wagen bereits von einem Monteur in die Werkstatt gefahren.

      Kora kauerte sich vorsichtig in die äußerste Ecke, als fürchte sie, der neue Wagen könnte unter der Benutzung seinen Glanz verlieren. Die Besitzergreifung ging ganz langsam und in sehr vielen Etappen vonstatten. Es war nicht so einfach, sich mit all dem Schönen und Neuen vertraut zu machen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß dies alles nun ihr Eigentum war.

      Inzwischen hatte Igor vor dem Hause der Freundin gestoppt. Ohne ein Wort zu sagen, lief Kora die Treppe hinauf und klingelte Sturm. Marina kam selbst an die Tür.

      „Du, Kora? Was ist denn los? Es ist doch nichts passiert?“

      „Doch, es ist etwas passiert!“ jubelte Kora. „Schau nur aus dem Fenster!“

      Marina tat ihr den Gefallen, schob die Gardine zurück und schaute auf die Straße hinunter.

      „Aber das ist doch Igor!“ sagte sie.

      „Und sonst fällt dir nichts auf?“

      Marina mußte erst einen Augenblick nachdenken, dann sah sie noch einmal durch die Gardine.

      „Das ist ja ein anderer Wagen“, sagte sie dann.

      „Ja, wir haben ihn gerade abgeholt. Und darum komme ich auch zu dir. Wir wollen eine Probefahrt machen!“

      „Und ich soll mit?“ fragte Marina, und ein unterdrückter Jubel klang in ihrer Stimme mit.

      „Genau das! Igor wartet auf uns, also zieh dich schleunigst um!“

      Marina sagte gar nichts mehr, aber schon hatte sie den Kittel losgebunden und abgestreift. Und während sie zum Kleiderschrank lief, erklärte sie der Freundin, daß sie eigentlich gar keine Zeit habe, denn ein eiliger Auftrag nehme sie stark in Anspruch. Marina von Uhde, die Generalstochter, war eine Pensionsfreundin Koras, sie hatte unter den jungen Mädchen im Pensionat, als sie das Porzellanmalen erlernten, ein besonderes Talent entwickelt und nach dem Tod des Vaters einen Beruf daraus gemacht. Zwar bekam sie von ihrem Onkel, den man wegen seines großen Reichtums allgemein den Kali-Baron nannte, ein Taschengeld, aber der Gedanke, von der Gnade eines Verwandten abhängig zu sein, war ihr so unsympathisch, daß sie sich lieber beruflich betätigte. Im letzten halben Jahr hatten sich die ersten Erfolge ihrer Arbeit eingestellt.

      In weniger als fünf Minuten war sie fertig, und dann folgte sie Kora auf die Straße hinaus.

      Völlig unbefangen reichte sie Igor die Hand.

      „Nun, Mädchen, wie gefällt er dir?“ fragte er burschikos. „Bist du ebenso zufrieden wie Kora?“

      „Wenn du mich hin und wieder mit diesem Fahrzeug spazieren fährst, bin ich sogar sehr zufrieden“, antwortete Marina unbefangen und stieg ein. Kora wollte ihr zuvorkommen und hinten einsteigen, doch da saß die Freundin schon, und ihr gutgemeintes Attentat fiel ins Wasser. Sie hegte in Bezug auf ihre Freundin ganz eindeutige Wünsche, und darum war sie auch so erfreut über Igors Vorschlag gewesen, die Freundin abzuholen und mit ihr spazieren zu fahren. Igor schien ihren Wünschen also entgegenzukommen. Nur bei Marina war sie nicht sicher. Manchmal schien es so, als ob der Bruder und die Freundin ein Herz und eine Seele wären, und dann erlebte sie wieder die herbe Enttäuschung, daß sich die beiden durchaus nicht wie Liebesleute, sondern wie gute Kameraden benahmen. Ob man die Entwicklung der Zukunft überließ? Oder sollte man sie nach Kräften fördern? Kora war sich selbst nicht klar darüber, was sie machen sollte. Und weil sie es nicht wußte, deshalb war sie unzufrieden mit sich selbst.

      Heute allerdings war von dieser Unzufriedenheit nichts zu verspüren, denn heute nahmen sie der neue Wagen und die schöne Fahrt in den Frühling völlig gefangen.

      „Würden die Damen wohl geruhen, mir ein Fahrtziel anzugeben?“ fragte Igor, als sie Wildungen bereits verlassen hatten.

      „Mir ist alles egal!“ sagte Kora.

      „Und wie ist es mit dir, Marina?“ fragte er abermals. „Als unser Gast hast du das Recht, unser Ziel zu bestimmen!“

      „Wenn ich schon so frei sein darf“, erwiderte sie arglos und so selbstverständlich, als sei dies ihr gutes Recht, „dann möchte ich dich bitten, zur Edertalsperre zu fahren!“

      „Und nach Schloß Waldeck!“ ergänzte Kora sogleich.

      „Wir sind schon auf dem Wege!“ sagte Igor und deutete auf die Landstraße hinaus, die sie unter den Reifen hatten.

      Zunächst gab sich Marina ganz dem Genuß des Fahrens hin. Sie lehnte sich in die Polster zurück und bot ihr Gesicht dem Fahrtwind dar. Igor betrachtete sie im Rückspiegel, und wenn Kora das Aufleuchten in seinen Augen gesehen hätte, würde sie darüber Genugtuung empfunden haben. Aber sie sah es nicht, denn auch sie schaute verträumt in die Weite.

      Plötzlich lief ihnen in großen Sätzen eine Katze über den Weg. Um sie nicht zu überfahren, trat Igor heftig die Bremse. Die Reifen schrien auf ob der ungewohnten Behandlung, der Wagen schleuderte ein klein wenig, dann rollte er weiter und Igor gab erneut Gas. Marina war nach vorn geschleudert worden, Igor schaute sich besorgt nach ihr um. Als er sah, daß nichts passiert war, meinte er lachend:

      „Die Bremsen sind ganz vorzüglich!“

      „Gut, daß es keine schwarze Katze war!“ sagte Marina.

      „Du bist abergläubisch?“ fragte er und wandte sich halb zu ihr um. „Das habe ich ja noch gar nicht gewußt!“

      „Durchaus nicht!“ verteidigte sich Marina sofort. „Aber trotzdem wäre es nicht