Marinas reicher Onkel. Alrun von Berneck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alrun von Berneck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507483
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Wagen noch genügt. Doch da fuhr er schon fort:

      „Du mußt auch an eins denken, Kora: in meinem Beruf ist der Wagen, den ich fahre, meine Visitenkarte! Ich kann es mir einfach als Anwalt nicht leisten, einen so alten Schlitten zu fahren!“

      „Komisch“, meinte sie zögernd, „du hast jetzt plötzlich Repräsentationspflichten?“

      „Warum soll ich mir nicht das gleiche Argument zu eigen machen, das heute jeder kleine Bürgermeister für sich beansprucht, wenn er glaubt, die Steuergelder müßten sinnvoller angewandt werden?“

      Seine Worte waren für Kora aber nur eine Ausflucht. Resolut fragte sie:

      „Das ist doch nicht der einzige Grund, Igor? Du hast doch diese Repräsentation gar nicht nötig. Bei deiner Praxis!“

      „Gerade wegen meiner Praxis!“ widersprach er lebhaft. „Wie oft ist es schon vorgekommen, daß ich einen Klienten mitnehmen mußte zum Landgericht oder zu einem Ortstermin. Ich habe mich immer geschämt, wenn ich dann mit meiner alten Mühle vorfuhr!“

      „Ach!“ sagte sie und suchte seinen Blick. Als ihr das gelungen war, vertiefte sich das Lächeln in ihren Mundwinkeln. Ihr war plötzlich ein Gedanke gekommen, der ihr gar nicht so abwegig erschien. „Du genierst dich also, wenn du mal jemand mitnehmen mußt?“

      „Na klar! Und darum habe ich mich entschlossen, den alten Wagen so schnell wie möglich abzustoßen. Ich bin mir nur nicht klar darüber, welchen ich jetzt nehme. Vielleicht bist du so freundlich, mir deine Meinung zu sagen. Schließlich willst du den Wagen ja auch hin und wieder fahren. Da ist es nicht mehr als recht und billig, daß auch deine Wünsche berücksichtigt werden.“

      Sie wußte sofort, daß er ihren Argwohn erkannt hatte, sonst würde er nicht ins Dozieren geraten sein. Er wollte vermutlich nur darüber hinwegsprechen und sie ablenken.

      Obwohl sie sein Eifer belustigte, zwang sie sich zu einer ernsten Miene. Dann fuhr sie sich mit der Hand ans Kinn, als ob ihr diese Geste das Nachdenken erleichtern könnte. Schließlich sagte sie:

      „Ganz kann ich mich deinen Argumenten natürlich nicht verschließen, Igor. Es ist wirklich schon ein alter Schlitten. Und wenn du einmal jemand mitnehmen mußt ...!“

      „Nicht wahr, das siehst du also ein?“

      „Bestimmt! Und wenn du meinst, wir könnten es uns leisten, einen neuen Wagen anzuschaffen, ich will die letzte sein, die dir ein Hindernis in den Weg legt!“

      „Bravo, ich habe es doch gewußt! Mein Schwesterchen hat Verständnis für alles!“ erwiderte er erfreut und mit einem Seufzer der Erleichterung.

      „Ja, für alles!“ sagte die Baronesse, und in ihren Augen lag ein unergründliches Lächeln, das ihm sogleich wieder zu denken gab. Um sie diesmal abzulenken, deutete er nochmals auf die Prospekte. Und nun zögerte sie nicht länger und blätterte in den bunten Bildern.

      Nach einer Weile trat er hinter sie und sah ihr über die Schulter. Kora hatte bereits zwei Prospekte an die Seite gelegt, sie zeigten die Wagen, die ihr besonders gut gefielen. Es waren ein Kabriolett und ein geschlossener Wagen.

      „Was meinst du, Igor, sollte es dieser sein?“ sie zeigte auf das Kabriolett. „Einen geschlossenen Wagen haben wir nun lange genug gefahren.“

      „Ich habe auch schon daran gedacht! Die Maschine ist ausgezeichnet!“

      „An die Maschine dachte ich weniger“, warf Kora sofort ein. „Das sind männliche Ueberlegungen. Aber ich denke, in einem Kabriolett kommt ein junges Mädchen besser zur Geltung!“

      Igor warf ihr einen prüfenden Blick zu. Aber sie ließ sich nichts anmerken, und vorsichtigerweise verzichtete er auch darauf, ihre Gedanken ergründen zu wollen.

      Noch am Abend des gleichen Tages beschlossen sie, den neuen Wagen zu bestellen.

      Dann aber gingen noch einige Wochen ins Land, denn das von ihnen ausgesuche Kabriolett sollte ja kein beliebiges sein, sondern Baronesse Kora hatte darauf bestanden, daß es burgunderrot lackiert und mit schwarzem Lederpolster versehen sein mußte. Wenn sie schon von ihrem Bruder aufgefordert worden war, nach ihrem Geschmack zu wählen, dann war es wohl auch recht und billig, wenn sie sich den Wagen so wünschte, wie sie ihn sich immer erträumt hatte.

      Eines Tages um die Mittagsstunde erhielt Dr. von Notteck den Anruf des Autohändlers, der ihm mitteilte, daß der Wagen angekomemn sei. Diese Mitteilung versetzte den sonst so kühlen Anwalt in besondere Erregung, und er benahm sich nicht anders als ein Schuljunge, dem ein Wunsch überraschend in Erfüllung gegangen ist. Zunächst rief er seine Sekretärin zu sich.

      „Fräulein Hilde, welche Sachen stehen für heute nachmittag noch auf dem Terminkalender?“

      Sie nannte ihm zwei Besprechungen, die für diesen Tag angesetzt worden waren.

      „Dann rufen sie die beiden Klienten an und vereinbaren Sie mit ihnen einen neuen Termin! Meinetwegen bestellen Sie sie für morgen früh.“

      „Aber die Sache Kulenberg ist besonders wichtig, Herr Doktor!“ wagte Fräulein Herberg einzuwenden.

      „Bis morgen läßt sie sich verschieben, Fräulein Hilde! Das werde ich schon verantworten. Ich muß heute nachmittag fort und bin auch erst am Abend wieder zurück. Sagen Sie Herrn Kulenberg, daß ich plötzlich abgerufen worden sei.“

      „Gut, Herr Doktor! Und was soll ich heute nachmittag erledigen, wenn Sie nicht da sind?“

      „Meinetwegen arbeiten Sie alte Akten auf oder heften Sie die Post ab“, erwiderte ihr Chef ungeduldig. „Sie sind doch schon über zwei Jahre bei mir, Fräulein Hilde, und müßten eigentlich selbst wissen, was wichtig ist!“

      Fräulein Herberg sah ihn verdutzt an. War das nun ein Anpfiff oder war der Chef nur so nervös? Sie zuckte mit den Schultern und ging hinaus. Im stillen freute sie sich schon auf den geruhsamen Nachmittag, denn sie würde ganz allein im Büro sein, weil das Lehrmädchen Schule hatte.

      Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, als sich Dr. von Notteck hastig erhob und hinausging, um seine Schwester aufzusuchen. Er fand sie in ihrem Boudior.

      „Nanu, Igor, wo brennt es denn?“ fragte sie überrascht, denn er pflegte sonst die Privaträume während der Vormittagsstunden kaum zu betreten.

      „Ich wollte nur nachsehen, ob du zu Hause bist“, erwiderte er in möglichst gleichgültigem Ton.

      „Aber das weißt du doch, Igor!“ sagte sie lächelnd. „Schließlich willst du etwas zu Mittag essen, und das muß ich wohl um diese Zeit vorbereiten.“

      „Ich will dich auch nicht darin stören, Kora.“ Er sagte es lächelnd, denn nun hatte er sich wieder völlig in der Gewalt. „Ich wollte nur wissen, ob du heute nachmittag etwas vorhast.“

      „Nein, das habe ich nicht! Wieso?“

      „Dann könntest du mich auf einer Fahrt begleiten.“

      „Ach! Und wohin soll es gehen?“

      „Damit werde ich dich überraschen“, sagte er geheimnisvoll. „Du kannst dir ja nach Tisch etwas Nettes anziehen!“

      Kora schüttelte verwundert den Kopf. Bevor sie aber eine Frage an ihn richten konnte, war er schon wieder hinaus. Warum tat er nur so geheimnisvoll? So kannte sie den Bruder ja gar nicht. Und das lustigste war, daß er sie aufgefordert hatte, sich nett anzuziehen. So etwas hatte er noch nie gesagt. Sie hatte ihn sogar im Verdacht, daß er es überhaupt nicht merkte, wenn sie sich über Tag einmal umzog. Auf Äußerlichkeiten hatte er noch nie gesehen, denn er stand auf dem sehr vernünftigen Standpunkt, daß alle menschlichen Eitelkeiten nur vom Übel seien. Man müsse zwar auf sich halten, aber diese Selbstverständlichkeit war ihm dank seiner guten Erziehung in Fleisch und Blut übergegangen, was jedoch darüber war, lehnte er ab und nannte es eine Schwäche des Charakters.

      Warum also seine plötzliche Bemerkung? Sie rätselte vergebens darüber nach. Bis sie es aufgab und sich entschloß, sich überraschen zu lassen.