Des Kaisers Reeder. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467237
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      „Die Hapag ist kein Wohltätigkeitsverein, hehrer Gebieter; sagen Sie mal ...“ Meyer legte herablassend die Hand auf des Besuchers Schulter, das abgeschabte Jackett musternd, und verlieh der väterlichen Geste einen leichten Druck zur Tür hin: „Ist das noch Ihr Konfirmationsanzug?“

      Ballin, die Kränkung wortlos schluckend, entgegnet freundlich: „Ich bin gar nicht konfirmiert.“

      Meyer senkte Augen und Stimme:

      „Sehen Sie, Herr Ballin, dann geht’s bei uns schon sowieso mitnichten, klein geschrieben. Ungemeinen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und bestellen bitte vor Tür den musikalischen Wodka gnädig ab. Adjö!“

      Ballin entfernte sich, ohne Verdrossenheit zu zeigen. Meyer schüttelte den gutaussehenden Kopf, der ihm den Beinamen Beau-Meyer eingetragen, hob die Hände mit tragischer Gebärde und lispelte durch eine Zahnlücke: „Ein ßtarkes Sstück, ist das ja woll, dieser so erßtaunlich ins Zugemutete ßtrebende Djudenlümmel! Das muß man je geradezu ’runterßpülen!“

      Carr rieb sich mit dem Gertenstiel die Nase, trank seinen Whisky aus, zog die goldene Repetieruhr aus der Weste, klappte sie auf, steckte sie weg und leckte mit der Zungenspitze nachdenklich über die Oberlippe.

      Der Reedereiprokurist wandte sich ihm zu: „Rückgreifend denn zu unseren Belangnissen! Wie weit haben der Herr inzwischen das erhoffte Einkommen unserer Womöglichkeit angepaßt?“

      Carr aber erhob sich, ging zur Tür und sagte leichthin: „Herr Meyer, ich hab’ zwar die heutige Börse versäumt, möchte aber die meine zu retten suchen.“

      Dabei schlug er sich mit der Reitgerte zart gegen den Mantel in Nähe der Hosentasche, so daß es deutlich von Münze klirrte: „Mahlzeit, Herr Meyer!“

      Ballin fühlte sich keineswegs entmutigt, als er die drei Granitstufen des Hauses verließ. Über dem klassizistischen Eingang, flankiert von zwei Gaslaternen, sah er das Reedereiwappen zwischen steinernen Delphinenschwänzen und Lorbeer an einen zementenen Anker geheftet, und er las die fünf Buchstaben Hapag statt in der volksmündlichen Fassung: „Haben alle Passagiere auch Geld?“ – in der mehr seemännischen: „Hunger, Arbeit, Plackerei, Anpfiff, Gewürge.“

      Er brauchte nicht bange zu sein. Seine Agentur ernährte die Mutter, die Schwestern, ein paar Angestellte und ihn. Was er in diesem kühlen hanseatischen Gebäude gewollt, ging über persönliche Ansprüche hinaus.

      Die fünf biederen Straßenmusikanten hatte gerade Schukowskijs „Bosche Zarja chrani“ in der markigen Lwow-Vertonung hinter sich gebracht.

      „Noch mol, Herr Baron?“ fragte flockenbestäubt der Pistonist und goß den Speichel aus dem Instrument.

      Ballin winkte ab und eilte davon.

      Alsbald erschien Herr Carr, warf der Baßtuba ein Silberstück zu und sagte:

      „Da capo! Und aus allen Backen!“

      Mit „Scheun Dank ok, Herr Graf!“ setzte das Quintett wieder ein, ungeachtet des Mienenspiels, das John Meyer am Fenster des Hochparterres vollführte.

      *

      Carr war jetzt dicht hinter Ballin und fühlte sich versucht, den jungen Mann ermunternd mit der Reitpeitsche zu berühren. Der Wunsch, sich eines guten Pferdes zu versichern, machte seine Schritte lang. Und nun war sein heller Zylinderhut auf gleicher Linie mit der grauen, bedeutend niedrigeren Melone des Agenten.

      Ballin blickte gelassen. Er kannte den Mann nicht. Carr lüftete den Hut fingerbreit, um die tadellose Frisur nicht unnötig dem Schneegestiebe preiszugeben.

      „Haben Sie ulkig gemanaged, Herr Ballin. Musik regt an. Man darf nur nicht zuviel Whisky getrunken haben. Was Sie da eben im Kontor sagten, gefällt mir. Man sollte wirklich ein paar Schiffe nur für Fracht und Zwischendeck einrichten.“

      „Eigene Schiffe, Herr ...?“

      „Carr, Edward Carr.“

      „Ah, von der Sloman-Reederei.“

      „Ich hab’ mich getrennt und würde gegebenenfalls meine beiden Schiffe ‚Australia‘ und ‚Amerika‘ entsprechend umbauen lassen.“

      „Wären geeignet.“

      „Halten Sie die direkte Route Hamburg – New York für riskant?“

      „Wenn ich mich beteilige, nein.“

      „Oho! Und mit wieviel?“

      „Mit meiner Arbeit.“

      „Ach so!“

      „Meine Agentur würde volle Besetzung für jede Reise nach drüben garantieren.“

      „Donnerwetter!“

      „Falls Unterbringung und Verpflegung an Bord die Werbung rechtfertigt.“

      „Rechne pro Schiff achthundert Passagiere.“

      „Höchstens sechshundert, Herr Carr. Ich kenne die beiden Kästen, wie alles, was ab Hamburg schwimmt. Aber ich bitte mir hinreichenden Speiseraum aus und getrennte Waschräume für Männer und Frauen, anständige Küche, Bewegungsfreiheit auf Deck und menschenwürdige Schlafplätze anstatt des bisher üblichen Pferchs.“

      „Bester Mann! Zwischendeck bleibt so oder so immer der gleiche Puff.“

      „Das wäre gerade zu mildern.“

      „Und die wahnsinnigen Mehrkosten?“

      „Kommen vielfach heraus!“

      „Sie garantieren das Geschäft?“

      „Nur deswegen.“

      „Sind Sie sicher?“

      „Ja!“

      Carr zog die Reitgerte durch die Luft und tat drei stumme Schritte neben dem Agenten. Ein Bierwagen polterte vorüber. Schottische Karren schoben sich vorbei. Von fern pumperte noch die Blaskapelle. Dann war eine plötzliche Stille im Straßenlärm, man vermeinte den Schnee rieseln zu hören. Und Carr sagte ruhig: „Top! Wir machen Vertrag!“

      Der junge Agent mußte an sich halten. Er blickte zur Seite in die wasserhellen Augen des Kaufmanns aus britischem Blut. Ballins Vater stammte aus Jütland, war eingewandert in den feuchten grauen Rum-, Roggen- und Schellfischwinkel zwischen Niederelbe und Jammerbucht, nicht als Trödler und Wucherer, sondern als unternehmender Wollkämmerer und Tuchbereiter mit Fabrik und Angestellten. Er war gescheitert durch den großen Hamburger Brand Anno 1842 und hatte schließlich froh sein müssen, Agentendienste für englische Reedereien leisten zu dürfen zur Heranschaffung von Auswanderern.

      Sein Sohn Albert hatte das Erbe übernommen. Nun schlug seine Stunde. Sollte er zögern, dem „Top“ des Patriziers zuzustimmen?

      „Ich weiß nicht“, sagte Ballin, „wir kennen uns zu wenig, Herr Carr.“

      Des „Rittmeisters“ Reitgerte zischte durch die Flocken. Dann blieb er stehen, zog den Handschuh aus und sprach: „Mr. Cassel hat mich vor Ihrer Tüchtigkeit gewarnt, Ballin. Genügt das?“

      „Es genügt!“ antwortete der junge Mann. Sein blasses Gesicht rötete sich, und strahlenden Auges ergriff er die dargebotene Rechte.

      2.

      Die Carr-Linie

      Passagiere sind keine Fracht · Zwischendeck und Kajüte · Ein Plakat triumphiert · Alarm und Ablehnung · Ein gemütliches Schiffahrtskontor · Carr kriegt kalte Füße · Drei blonde Damen · Der Prinz auf Helgoland · Wolldecken haben’s in sich · Brombeeraugen hinter Glas · Albert zieht aus.

      Die Gründung der Carr-Linie erregte wenig Aufsehen. Seefahrtskontore kleineren Formats entstanden und fallierten in der Hansestadt je nach Bedarf und Vermögen. Fast jede größere Ex- und Importfirma besaß ein paar eigene Frachter. Was Edward Carr anfing: Neben Stückgut auch Auswanderer dürftigster Sorte aus Ost und Südost zu verfrachten