Des Kaisers Reeder. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467237
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Joff, das soll ja grad anders werden!“

      „Hattest du nicht selbst längst die Nase voll und hast dich voreilig mündig erklären lassen beim Senat? Bloß um etwas Solideres anzufangen und mit Maschinen zu handeln?“

      „Wärst du nur nicht abgesprungen, Joff!“

      „Nicht mal Maschinen sind gentlemanlike, Albert. Maschinen sind was für Transportarbeiter. Laß dir’s gesagt sein, bequem und anständig ist allein das faszinierende Jonglieren mit dem Auf und Ab der Kurse. Ein Ohr hier, ein Ohr da, ein Kabel, ein Gespräch. Das ist die Mathematik der Welt mit Handschuhen und in Klubsesseln.“

      „Sieht bei uns noch nicht nach Klubsesseln aus, Joff.“

      „Hat dein Freund Cassel es in London nicht weit gebracht?“

      „Traf ihn eben, ist Direktor geworden bei seiner Bank.“

      „Puh, Perzenthändler unter Polizeiaufsicht. Er ist aus Köln, und ich ahnte schon immer, daß man dort viel weniger zur Freiheit geboren ist, als wir Hanseaten, Albert. Ich bleibe ungebunden, frei im luftigen Reich der Aktienspekulation.“

      „Was doch nur an dem hängt, was Fleiß und Schweiß anderer zuwege gebracht hat!“

      „In Argentinien sagt man: Die einen leben von den Dummen und die Dummen leben von der Arbeit. Soll das etwa ‚Träumerei‘ sein? Meinst wohl, daß man dich die erste Geige im Bordgeschäft spielen läßt, wo hierzulande schon die Packetfahrt kaum noch japsen kann! Träumerei, mein harmloses Herzchen! Tschüß, Albert!“

      „Bordmusik?“ lächelt Albert dem Enteilenden nach. „Keine schlechte Idee!“

      Aber dann sind seine Gedanken wieder bei der „russischen Gegebenheit“. Der neue Zar, hatte Cassel gesagt, würde kräftig nach Sündenböcken suchen, ein wilder Finsterling, das war dem britischen Geheimdienst nicht verborgen. Acht Millionen Juden, die Deutschen eingerechnet, das sei bestimmt zuviel fürs Mütterchen Rußland, und deshalb wird ein Drittel totgeschlagen werden, ein Drittel wird verhungern, und der Rest wird auswandern. Das ist die große Chance!! ...

      Albert Ballin springt auf. Das Instrument klappert zu Boden. Er nimmt den Hut und rennt die Treppe hinunter, vorbei an der Tür seines Agenturbüros, darin die paar Angestellten, von seinem strengen Beispiel geschult, die Abrechnung des eben abgefertigten Transports ohne den Chef unterschriftsreif machen.

      *

      Die Familie des Herrn Edward Carr war vor zwei Generationen von England gekommen und zu Hamburg hängengeblieben. Sein Onkel war der Reeder Sloman, mit kleiner Flotte, ein zäher Konkurrent der Hamburg-Amerika-Linie. Carr hatte mit ererbtem Geld im gleichen Topf gekocht, war aber zu widerhaarig, sich lange unterzuordnen, und hatte seinen in zwei Dampfer umgewandelten Anteil herausgezogen. Die Sache warf aber im bloßen Frachtdienst weniger ab, als er gehofft und für seine Reitpferde brauchte, die ihm lieber waren als die schnaufenden Dampfer. Er hatte sich diesen Vormittag ins Kontor der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft begeben. Nun saß er auf einem der schlichten Mahagonistühle, deren Roßhaarbezug dem Besucher eine abweisende Kühle still entgegenbrachte. Die hochbeinigen Schreibpulte und -böcke wetteiferten an Unbehaglichkeit mit den erdunkelten Wänden aus Teakholz. Portieren aus braunem Croise machten die hohen Fenster schmal, und die kleinen Posamententroddeln daran erinnerten teils an vertrocknete Kirschen, teils an aufgeweichte Schlittenschellen, zumal es draußen anfing zu schneien. Wenigstens fiel Herrn Carr zur Einleitung nichts Besseres ein als eine diesbezügliche Bemerkung, indes er mit der Reitpeitsche an der gerundet hängenden Vorhangkante entlangstrich.

      Der Prokurist John Meyer schlug die Ofentür härter als nötig zu. Bei solchem Wetter pflegte er selber nachzuheizen. Der Ostwind drückte einen Schwaden Dunst ins Zimmer. Meyer hüstelte und feuchtete die trockene Kehle mit einem Whisky an, indes Carr zur Sache kam.

      „Die Hapag hat viel zu wenig Dampfer, Herr Meyer“, sagte der brüsk und tippte mit der Reitgerte auf eins der bräunlichen Ölbilder, darauf die Flotte der Reederei verewigt war.

      Meyer, stattlich, mit flottem Bärtchen und den Allüren eines verkappten Schauspielers, holte unterm Pultdeckel ein zweites Glas hervor und goß dem Gast mit geübtem Schwung voll ein, den üblichen Zusatz von Sodawasser mißachtend. Er schob das Glas auf die gebrechliche Andeutung von Tisch, die als „Stummdiener“ für beschleunigte Abfertigung gedacht war, und sagte: „Mir schlägt’s auf die Gurgel, der Rauch und was Sie sagen, Herr Carr.“

      Jeden Einwand mit überlegener Geste abschneidend und das volle Organ souverän spielen lassend, fügte er hinzu: „Erstens hat unsere Agee bald viel zuviel Tonnage, genau wie die sämtliche Welt, und zweitens viel zu wenig Fracht und Passenger, genau wie auch die sämtliche. Und nun kommen Sie.“

      „Sprechen Sie mal mit dem Verwaltungsrat, Herr Meyer!“

      „Der bin ich, Herr Carr!“

      „Und wie ist es mit dem Fingerspitzengefühl, Herr Meyer?“

      „Oh, Herr Carr, Tastversuche hat unsere Linie nie für alert gehalten. Man kömmt uns oder kömmt uns nicht, aber wenn man kömmt, kömmt man, wie es uns zukömmt.“

      „Ihr laßt euch alles von Bremen wegnehmen.“

      „Nö, Herr Carr, das sind die verfluchten Agenten, die klauen uns die Passage mit ihrer ewigen Unterbietung der Fahrpreise.“

      Carr nahm einen Schluck, und Meyer tat desgleichen. Dann seufzte er mit der Stimme eines sterbenden Othello: „Und was gedachten Sie uns anzubieten, Herr Rittmeister?“

      Carr überhörte den Titel und meinte sachlich: „Zwei Frachter; Schraube, Maschine, Aufbauten, Bunker und so weiter, alles tadellos in Trimm, handlich, anhängliche Besatzung, unverwöhnt betreffs Heuer und Proviant, geringer Kohlenverbrauch, angenehme Geschwindigkeit, ist das was, Herr Meyer?“

      „Viel zu teuer, Herr Carr.“

      Ehe Herr Carr entgegnen konnte, erscholl von der Straße Blasmusik, und er fragte: „Haben Sie Geburtstag, Herr Meyer, dann prosit!“ Meyer stieß mit ihm an.

      „Ich fühle mich jeden Tag wie neu geboren und verfehle nie die Gelegenheit, dieses zu begrüßen.“ Er trat zum Fenster: „Aber was die Zarenhymne da draußen anders sein soll als eine unliebsame Zufälligkeit, möchte ich dahinstellen. Sie werden erlauben, daß ich mich wieder den Fälligkeiten meines Kontors zuwende.“

      Carr wollte sich schon erheben, als an die Tür geklopft wurde und auf das gedehnte „Herein?“ Meyers höflich und befangen der kleine jüdische Agent mit der Nickelbrille hereintrat, den Mister Cassel morgens am Johannisbollwerk so freundlicher Ansprache gewürdigt hatte.

      „Nun?“ Meyer zog die Stirn in tausend Falten.

      „Ballin, von der Agentur Columbia“, sagte der junge Mann, die erste Silbe seines Namens unterstreichend. „Ich habe einen Vorschlag, Herr Prokurist.“ Damit hielt er einen Zeitungsausschnitt in die Höhe: „Wissen Sie schon?“

      Meyer schickte einen flehenden Seitenblick zu Carr: „Könnten Sie, Herr B ... allin, über sich gewinnen, sogar bei dem Lärm draußen aufzufassen, daß wir mit Agenten nie und nirgends zu tun haben möchten?“

      Ballin wies auf die Notiz: „Eben meldet der Correspondent. Zar Alexander II. von einer Bombe zerfetzt.“

      Meyer schickte einen Blick zur Decke: „So leid das jemanden zu tun nicht umhin geht, aber um aller Reußen willen, was geht uns das an?“

      „Die Beförderung der zu erwartenden Ostauswanderer wird enormen Schiffsraum erfordern. Falls zur Verfügung, könnte man Strom und Geschäft über Hamburg direkt in die USA lenken!“

      „Man lenke! Unser Bedarf ist Kajüte, mein Teurer, oder Fracht.“

      „Das läßt sich miteinander verbinden, Herr Prokurist.“

      „Aber nicht doch, Sie verfügen ja schon einfach, lieber Freund; die Hapag möchte für galizische Belange ganz und gar nie geneigt oder gar degradiert sein. Sie werden das nicht