Des Kaisers Reeder. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467237
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      „Nicht ich, gnädiges Fräulein“, erwiderte der Besucher und blickte freundlich. Doch dann verstummte er jäh, als müsse er eine Verwirrung meistern. Und dabei hätte er gern etwas gesagt, etwa: „In so einem Moment möchte kein Hund ans Auswandern denken, wenn man geradezu vor der blonden Fee der Wasserkante persönlich steht.“ Er schwieg, blaß bis zu den Haarwurzeln.

      Auch Marianne sagte nichts. Er ist dunkel wie ein Spanier, dachte sie, indessen die Schwestern erwartungsvoll herüberlugten. Es war wie eine Ewigkeit. Dann nahte der Schritt Papa Rauerts.

      Merkwürdig, diese sachten eilfertigen Tuchhändlerssohlen klangen dem jungen Manne, der so völlig unvorbereitet sich gebannt fand, wie Hammerschläge, geeignet zu zertrümmern oder zusammenzuschmieden. Vorerst jedoch vermochten sie das magische Gespinst, das seit Urbeginn unversehens und augenblicks geneigt ist, sich zwischen zwei Menschen zu knüpfen, nur ein wenig zur Seite zu drängen.

      Der junge Mann wandte sich um, wie von rostigen Drähten gezogen.

      Rauerts Stimme kam auf ihn zu: „Mein Sohn Rudolf hat Sie soeben angemeldet. Sie sind von der Carr-Linie? Haben unsere Muster konveniert? Kommen Sie! Überzeugen sich in natura!“

      Den Töchtern blinzelte er ein „Kleinen Moment!“ zu, nahm den Kunden ins Schlepp und verschwand mit ihm über die Treppe ins Erdgeschoß hinab, wo die Fertigwaren ihren Platz hatten.

      *

      Ballin entschuldigte sich, daß er versehentlich in die Damenabteilung geraten sei.

      „Haben wir gar nicht, mein Herr“, sagte Rauert, „hier ist alles für alle. Das da oben sind nur meine Töchter.“

      Auf einen Wink des Chefs trugen Ladendiener Stöße von Wolldecken herbei.

      „Die grüne Sorte wär’s“, sagte Ballin.

      Herr Rauert, genießerisch eine Ecke der Ware zwischen Daumen und Zeigefinger reibend, strahlte: „Erstklassige Qualität, freut mich, daß Sie Kenner sind. Übrigens sind Kinder immer die besten Abnehmer, das werden Sie vielleicht auch noch eines Tages merken. Soll’s also diese sein?“

      „Ja“, antwortete Ballin, und ihm war, als meine er nicht nur die grüne Decke.

      „Weich, mollig, anschmiegend, ausdauernd, rentabel, mit einem Wort englisch. Damit zu schlafen, wird Ihnen sicher ein ungetrübtes Vergnügen bereiten. Oder wünschen Sie etwas noch Besseres?“

      „Durchaus nicht“, stotterte Ballin. Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. „Es ist für unsere Zwischendeckpassagiere gedacht.“

      Rauert strahlte noch mehr: „Ah, Sie benötigen nicht nur ein Exemplar? Da kann ich Ihnen Mengenrabatt geben!“

      „Sechshundert Stück!“

      „Gut, sehr gut. Sie bekommen f. f. Preisnachlaß, Lieferfrist eine Woche, direkt von Yorkshire. Werde gleich telegrafieren, geht heute ja so einfach. Entsann mich gerade vorhin eines Auftrags von höchster Stelle. Ging ich da mit meinen drei Töchtern – es waren noch Backfische –, Sommer 69 über die Falm auf der Insel Helgoland, es regnete. Sie trugen ihre Capes, hübsche echte Mackintoshs. Begegnet uns der deutsche Kronprinz, bärtig wie Wotan, mit seinen beiden Buben, alle unter triefenden Umbrellas. Batz, bleibt der kleine Willy stehen und sagt keck: Das sind aber praktische Regenschirme, Papa, die kann man ja anziehen. – Was sagen Sie, im Handumdrehn hab’ ich für die Prinzen solche Umhänge besorgen müssen, und da es sich um britische Ware handelte, war es den Herrschaften ein besonderes Pläsier. Charming indeed. Ist doch die hohe Mutter eine Tochter der Queen drüben und geruhte mir bei prompter Lieferung – leider ging es noch nicht telegrafisch, aber man hatte damals auch noch viel mehr Geduld – vermelden zu lassen, daß sie geradezu erwäge, Potsdam nach Hamburg zu verlegen.“

      *

      Der Kunde ging, und Rauert flitzte die Treppe wieder hinauf. Seine Beine kamen ihm noch immer jung vor, aber vor der letzten Stufe mußte er anhalten. „Es ist das Herz“, seufzte er.

      Die Töchter hatten sich inzwischen entschlossen. Das Gespräch war von den Stoffen auf den merkwürdigen Eindringling übergesprungen. „Wie er dich angeglupscht hat mit seinen Brombeeraugen hinter Glas!“ spottete Bertha.“

      Der Vater rieb sich die Hände: „Eine wirklich angenehme Verbindung. Dabei versteht er sogar was von Qualität.“

      „Und was für Qualität“, zwinkerte Johanna.

      Bei Marianne entlud sich die angestaute Spannung: „Ein gräßlicher Mensch!“ schrie sie auf und wurde rot wie eine Tomate.

      „Jedenfalls kein Prinz“, konterte Bertha, „und auch nicht blond.“

      Der Vater hob scherzend den Finger: „Aber, liebste Marianne, gerade bei dir hab’ ich immer nur auf garantiert waschechte blonde Enkelkinder gehofft.“

      Joseph trat mißmutig in die Kammer: „Dieses elende Gewinsel!“ Denn Albert saß auf dem Bettrand und strich das Cello, ließ jedoch bald den Bogen sinken und stellte das Instrument hinter den Schrank. Joseph indes fuhr fort zu knurren:

      „Wenn das so weiter geht, Bruderherz, daß du nachts beliebst, plötzlich hochzufahren und Licht zu machen, und mit kratziger Feder Briefe zu schreiben, dann ziehe ich aus.“

      „Das solltest du nicht, Joff. Dann könnte ich es mir doch noch eher leisten.“

      „Protze nicht! Leih’ mir lieber ein paar Silberlinge. Ich hab’ einen fulminanten Tip für Valparaiso, echte Regierungsbonds.“

      „Würd’ ich nicht machen, Joff. Denen stopft ganz Europa die Kapitalien förmlich in den Schlund. Werden sich bald übergeben.“

      „Du magst von ozeanischer Dampfkraftverwertung und sanktioniertem Sklavenhandel dein Teil verstehen, teuerster Albert. Mich aber laß’ schlafen und wachen, wie mir’s gefällt. Oder fürchtest du etwa, deine Zinsen einzubüßen?“

      3.

      Marianne

      Eine Dame vor der Tür · Cello mit Hafenbegleitung · Petroleumlampen brauchen Wartung · Frau Reimers liest auf Weitsicht Erna · Zwei Mücken zuviel · Weitermachen! · Gesenkte Raten · Jemand wartet · Gib mir die Perle! · Fahrkarte ins Paradies · Die Verschleierte · Das Geheimnis der Perle · Goldene Handschellen · Hochzeitsreise ins Nordseebad.

      Ein paar Tage danach zog Albert Ballin auf ein möbliertes Zimmer. Es lag an den Vorsetzen, nicht weit vom Kontor am Baumwall. Nun war niemand mehr da, der ihn bei seinen abendlichen „Andachten“, wie er es heimlich nannte, stören oder sich gestört fühlen konnte. Diese stille Arbeit bestand in der Abfassung eines immer länger werdenden Briefes, daran er wochenlang schrieb, nur unterbrochen von der wehmütig-sehnsüchtigen Stimme seines Cellos.

      Die biedere Logiswirtin wagte sich nur auf Zehenspitzen zu bewegen, wenn sie die Lampe oder den Tee brachte, und über die „scheune Musik“ schmachtend die Augen verdrehte. Der junge Mann zahlte gut und stellte wenig Ansprüche. Tagsüber war er nicht da. Und laut war er auch abends nicht. Er spielte immer mit Dämpfer. Ach, es klang so innig. Nie lud er Kollegen oder sonst wen zu Bier oder Kartenspiel ein, wie es der Vormieter getan. Er brachte auch nie eine Freundin mit. Kurz, er war „ein soliden ordentlichen Menschen“. Da mochte er denn ruhig drauflosquinkelieren. Um zehn ging er sowieso zu Bett. Daß er nachts hin und wieder am Tisch saß und arbeitete, merkte Witwe Reimers nicht, ihr Schlaf war gewissenssanft und tief.

      Einmal, gegen Abend, es begann schon Frühling zu werden, kam eine Dame an die Wohnungstür. Sie wollte nur mal fragen, ob ein Herr Ballin da wohne. Frau Reimers trat einladend zurück: „Jawohl, Fräulein, er ist grad in, können schon von hier hören.“

      Wirklich vernahm man die leise Melodie eines Streichinstruments. „Das ist wohl aus den Kinderszenen von Bizet“, meinte die Dame.

      „Hab’ ich noch gar nich’ gemerkt, Frollein, können ja aber selbst nachsehn, nur nich’ so schüchtern.“

      „Ist das