Des Kaisers Reeder. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467237
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      Ein paar junge Burschen, denen es um den Schlafplatz nicht bange ist, haben sich wieder heraufgetraut und winken an der Reling. Zwei, drei Mädchen vom Spielbudenplatz winken ihnen nach. Und auch der junge Agent will sein Taschentuch ziehen, da merkt er, daß ihm noch immer der Kapitänsmantel um die Schultern hängt und ihm zu entgleiten droht. Er nimmt ihn vollends ab, rollt ihn zusammen und gedenkt, ihn mit heftigem Schwung dem entschwindenden Dampferheck nachzuwerfen mitsamt einem dankbaren Blick zur Kommandobrücke, obgleich der Kapitän dort eine abwehrende Geste macht und auch schon in einer dickeren Hülle steckt.

      Der Abgrund zwischen Schiff und Rampe klafft längst zu weit. Der Wind entfaltet die blaue Leihgabe und weht sie ins gurgelnde Hafenwasser.

      „Lot em susen! Beibei!“ ruft lachend Käptn Knuth.

      „Fehlt nur noch, daß die Wohltat in die Schraube gerät!“ schimpft der Boß. „Curios, Ballin! Irgend etwas ist jedesmal mit Ihnen los, daß man in die Luft gehn möchte. Sie behandeln das Viehzeug, als wären es Großfürsten.“

      „Menschen sind keine Pökelware, Miller“, entgegnet Ballin.

      „Solche Ansichten werden Ihnen einen Schneuz was einbringen.“

      „Aber vielleicht der Schiffahrt.“

      „Sie leben im Mond, Ballin.“

      „Von dort läßt sich alles viel besser übersehen, Herr Miller.“

      Ein harmloser Knabe, zu gutmütig für diese Welt, aber als Schlepper ganz brauchbar, man darf ihn nicht vergrämen, denkt Miller, und schüttelt mit herablassender Herzlichkeit die schmale fröstelnde Hand des Agenten, bietet ihm sogar eine Zigarre an in der Gewißheit, daß er sie wie immer ablehnen werde. Aber diesmal greift Ballin zu, halb in Gedanken, und weil sie Warme verspricht. Der Boß läßt ihn damit stehen, ohne noch auch ein Zündholz zu verschwenden, und entschreitet zum Frühstück, indes der Polizist die Schranke freigibt und die Zaungäste sich zerstreuen.

      Ballin, noch an der Rampe, trauert kurz hinter dem in der Hafenbrühe versinkenden Mantel her und hebt dann den Blick dem Dampfer nach, der, von Möwen verfolgt, die Segel bläht und sich bescheiden in das Strombild und die Weite fügt.

      „Grüß Sie, Albert!“

      Die Stimme Mister Cassels mit dem weichen rheinischen Klang reißt den jungen Agenten aus einer Vision ungeheurer Märchenschiffe. Er faßt sich sofort:

      „Oho, Ernst Cassel, haben Sie London satt?“

      „Ich bin dort jetzt Direktor.“

      „Gratuliere! Etwas Direktes schwebte mir eben auch vor, wenn auch nicht auf der Bank.“

      „Dann schieben Sie es nicht auf die lange Bank, Albert!“

      „Eine direkte Verschiffung von Zwischendeckern von Hamburg nach New York.“

      „Nanu? Wollen Sie den englischen Zwischenhandel ausschalten?“

      „Ja, Ernst!“

      „Das ist eine Kampfansage.“

      „Nein, das ist gesunder Wettbewerb.“

      „Sehr kühn, Albert!“

      „Sie sind wohl schon gänzlich Engländer geworden, Ernst.“

      „Ziemlich. Ich schreibe mich seit längerem schon Ernest.“

      „Wann sind wir endlich Europäer, Ernest?“

      „Da denken Sie allerdings sehr weit, Albert; very far indeed! Doch falls ich Ihnen irgendwie helfen kann ...“

      „Vorläufig nicht nötig, Ernest.“

      Cassel lächelt, hakt den Freund unter, dessen dürftigen Gewandes nicht achtend, und geht mit ihm zur Stadt zurück.

      *

      Schon in die Geburtskammer Albert Ballins am Stubbenhuk zu Hamburg hatte der Dunst des Hafens hineingeweht. Das war am 15. August 1857 gewesen. Und als er, das jüngste von dreizehn Kindern, in die hinterlassene Auswandererexpedition seines Vaters eintrat, war er siebzehn Jahre alt. Wohnung und Kontor waren inzwischen dem Hafenbetrieb noch näher, an den Baumwall Nr. 6 verlegt.

      Nachdem sich Albert Ballin von Cassel verabschiedet hatte – man schrieb den 14. März 1881 –, fand er seinen Bruder Joseph daheim beim Rasieren. Der Ältere hatte längst seine Mitarbeit am väterlichen Geschäft mit dem weniger aufreibenden Job eines Fondmaklers vertauscht und war sich viel zu schade, die Tagesfron vor der mittäglichen Börsenstunde zu beginnen.

      Albert trat erregt in die gemeinsame Dachkammer, darin die beiden Betten je eine Wand einnahmen. Vorerst aber sagte er weiter nichts als: „Gut geschlafen, Joff?“

      Dann zog er aus der schrägen Ecke, die der Schrank an der Giebelwand freiließ, ein abgegriffenes Cello, setzte sich auf den Rand seines noch immer ungemachten Lagers, drehte versonnen an den Wirbeln und strich dann ein paar heftige Doppelgriffe, so daß dem Bruder ein unwilliges: „Nana, wozu der Krach!“ entfuhr. Albert hielt inne und ließ dann, wenn auch nicht gerade meisterhaft, die bedrängende Melodie von Schumanns Träumerei erklingen. Und, als sei diese Stimme unendlicher Sehnsucht das Leitseil für gewagte Pfade, begann er halbe Sätze hervorzustoßen. Sein Bruder, den Schaum an der Waschkumme abstreifend, das Gesicht mit dem Handtuch reibend, dann Puder und Kölnischwasser nicht schonend, wurde langsam aufmerksam, namentlich auf Worte wie: „Erbärmliche Schufte! Mord! Und dennoch Anlaß, ungeheuer zu disponieren.“

      „Was quasselst du da?“ sagte Joseph und zwängte den Adamsapfel hinter einen steifen Kragen neuester Mode.

      „Ernest Cassel hat es frisch aus dem Telegraphen. Gestern haben die Russen ihren Zaren zur Strecke gebracht, kam im Schlitten von der Parade, auf dem Wege zum Winterpalais in Petersburg.“

      „Das ist bei den Russen doch nichts Neues. Darum brauchst du doch keine Trauermusik zu wimmern! Davon wackelt nicht mal die Börse. Und wenn schon, Wichtigkeit, ich hab’ bloß Südamerika-Papiere.“

      „Joff, wir werden Schiffe brauchen, unheimlich viel Raum für die vielen. Sie kommen, sie kommen.“

      „Bruderherz, deine Phantasie und dein Geschäft! Wenn die den ollen Alexander umgelegt haben, kommt ein junger, und der wird nicht so dumm sein, noch mehr Arbeitsvieh und Steuerzahler aus dem Lande zu jagen. Mit der polakischen Auswanderei und mit der jiddischen wird’s aus sein, mit einem Schlage, genau wie mit der deutschen, wo sie überall Fabriken und Industrie aufmachen, als wären’s billige Brausebuden.“

      Er befestigte die platte Querschleife aus überzogenem Blech mit einer widerspenstigen winzigen Gummischlaufe am Kragenknöpfchen, neigte sich gnädig zu dem Jüngeren: „Mensch, Albert stell dich um, wie ich! Ist doch sowieso ein übles Gewerb’, sich die Finger schmutzig machen mit so unappetitlichem Volk und sich zu ärgern über den dicken Boß Miller und die Gastwirte, Schlafbaase und Bordellbesitzer. Klagen, nichts wie Klagen, Undank, Aufregung und kalte Füß’ und kaum Butter aufs Rundstück.“

      Albert spielte versonnen weiter, dann sagte er leise: „Eigene Schiffe müßte man haben, direkte Schiffe und besser ausgestattet mit menschenwürdigen Räumen ...!“

      „Du solltest Missionar werden“, lachte der Bruder, „Neger wenigstens wird’s genug geben auf die Dauer!“

      Albert setzte den Bogen ab und lächelte: „Auch das ist eine Mission. Reise du heute auf See, es ist erbärmlich! Das muß anders werden, Joff, selbst für die Ärmsten! Seereisen ein Genuß für jedermann! Das ist es.“

      Joseph scheitelte die dünnen Haare, besah sich im ovalen Spiegel, der überm Waschtisch hing, zog den grauen Gehrock an, ergriff den schwarzen Zylinder, bügelte genießerisch mit dem Ärmel drüber hin, ließ den Glanz im Licht des Fensters spielen, warf einen verächtlichen Blick auf den Hafen und versetzte:

      „Was sind das schon für fluktible Werte, Brüderchen! Unsicher wie Wind und Woge, abhängig von lächerlichsten Imponderabilien. Das gilt für die Schiffe wie für die Frachten. Und nun erst für