MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken. Robert Mccammon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Серия: Matthew Corbett
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958355026
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die Stirn, deren Narbe von der Bärenkralle ihn für immer daran erinnern würde, was es einen kostete, für einen anderen Menschen der Held zu sein. »Oh. Ja, gut«, nuschelte er. »Ich war in Sally Almonds Schänke tanzen. Oder, nein«, korrigierte er sich. »In dem Moment stand ich neben dem umgekippten Tisch. Alles war auf den Boden gefallen. Effrem war dabei. Und das Mädchen Opal. Sie hatte sich an den Scherben einen Finger aufgeschnitten.«

      Ein kurzes Schweigen entstand.

      »Ach herrje«, sagte der Gouverneur zu Lillehorne. »Ist er mit diesem Gillespie-Menschen verwandt?«

      Mit einer mächtigen Willensanstrengung konzentrierte Matthew sich und steuerte sein sinkendes Schiff zurück auf Kurs. »Ich habe mit dem Brand nichts zu tun«, sagte er nachdrücklich. »Ja, mein Name ist auf die Mauer gepinselt worden. Von irgendwem.« Oder irgendwelchen, dachte er. Aber als die Lagerhalle in Flammen aufging, waren die Mallorys auf dem Tanzabend gewesen. Wie konnten sie dann dafür verantwortlich sein – und was sollte es bezwecken? »Jemand wollte … den Verdacht auf mich lenken, nehme ich an? Oder irgendetwas anderes? Denn ich habe Dutzende von Zeugen. Und warum sollte ich so dumm sein, meinen Namen mit dem Brand einer Lagerhalle in Verbindung zu bringen? Warum sollte ich einen Speicher voller Schiffstaue anstecken wollen?« Er wartete auf eine Antwort. Als keine kam, stellte er ihnen seine Frage erneut: »Warum?«

      »Hört, was er sagt«, mahnte Greathouse, der unerschütterliche Freund.

      Der Augenblick streckte sich in die Länge.

      Gestärkter Musselin raschelte, als Lord Cornbury sich auf seine hohen Absätze erhob. Er ging ans Fenster und richtete den Blick seiner schweren Lider auf den Tanz der weißen Flocken, die aus der grauen Wolkendecke schwebten und wirbelten.

      Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, sagte der Gouverneur in einer tiefen Stimme, die nicht zu seiner Aufmachung passte: »Verdammt. Ich verstehe das alles nicht.«

      Willkommen in meiner Welt, dachte Matthew.

      Nach einer Weile des Grübelns, das ebenso gut ein zufälliges, zielloses Nachdenken über den passendsten Farbton von welcher Schärpe zu welchem Kleid gewesen sein mochte, wandte Lord Cornbury sich an den Hauptwachtmeister. »Schafft Ihr das, Lillehorne?«

      Zur Abwechslung bediente sich der Hauptwachtmeister diesmal der angemessenen Wahrheit. »Ich bin mir nicht sicher, Sir.«

      »Hm«, kam die Antwort. Eine Entscheidung wurde gefällt. Der recht beunruhigende Blick wanderte zwischen Matthew und Greathouse hin und her. »Ihr seid die Problemlöser. Löst dieses hier.«

      »Das machen wir gern«, gab Greathouse ohne zu zögern zurück. »Aber unsere Dienste kosten etwas.«

      »Dann eben Euer übliches Honorar. Mit Sicherheit nichts, das für die Stadtkasse unerschwinglich ist.« Ein behandschuhter Finger erhob sich. »Höret, bevor ich Euch gehen lasse. Sollte ich entdecken, dass Ihr hinter diesen Ereignissen steckt, weil Ihr mir Geld aus der Tasche ziehen wollt, werde ich Eure Eier in heißem Öl kochen lassen, bevor sie Euch mit einem stumpfen Messer abgetrennt werden. Haben wir uns verstanden?«

      Greathouse zuckte die Schultern – sein Kürzel dafür, verstanden zu haben. Matthew grübelte immer noch darüber nach, wo Cornbury überhaupt eine Tasche hatte.

      »Geht«, sagte der Lord Governor zu allen dreien.

      »Viel Glück, Gentlemen«, sagte Lillehorne auf dem oberen Treppenabsatz, während die beiden Problemlöser hinuntergingen. Er klopfte sich mit dem silbernen Löwenkopf in die Handfläche. »Ich werde Euch genauestens im Auge behalten, um sicherzustellen, dass es bei Eurer Untersuchung mit rechten Dingen zugeht.«

      »Ihr solltet besser Princess im Auge behalten«, spielte Greathouse auf Lillehornes zänkische Frau an. »Ich weiß aus guter Quelle, dass sie Dr. Mallory noch immer vertrauliche Besuche abstattet, und zwar diesmal nicht aus medizinischen Gründen.« Er bedachte Lillehornes versteinertes Gesicht mit einem schnellen, katzenartigen Lächeln. Seine Bemerkung bezog sich auf einen von ihnen gelösten Fall im Oktober, als sie herausfanden, dass Maude Lillehorne den gutaussehenden Dr. Jason heimlich wegen eines Weiberelixiers besuchte, in dem auch eine ungesunde Dosis Kakaoblätter enthalten waren.

      Draußen angekommen knöpften Greathouse und Matthew ihre Mäntel gegen die Kälte und wirbelnden Schneeflocken zu und marschierten von der Gouverneursvilla in Richtung Broad Way.

      »Tut sie das wirklich?«, fragte Matthew, der seine graue Wollmütze über die Ohren heruntergezogen hatte. »Maude Lillehorne«, erinnerte er Greathouse. »Hat sie was mit dem Arzt?«

      Greathouse runzelte die Stirn. Auf der hinteren Krempe seines Dreispitzes sammelte sich der Schnee. »Was denkst du denn? Würdest du auch nur einen Blick an Princess verschwenden, wenn du Jason Mallory wärst? Besonders, wenn du seine Frau hättest, die dir jede Nacht dein Würstchen wärmt?«

      »Ich denke nicht.«

      »Natürlich nicht. Ich hab das nur gesagt, damit Lillehorne was zum Nachdenken hat und seinen Kopf benutzen muss. Das braucht er.«

      Apropos Würstchen wärmen, dachte Matthew, wie läuft’s mit der fröhlichen Witwe? Aber er entschied sich für ehrsames Schweigen. Außerdem wollte ihm der Lagerhallenbrand nicht aus dem Sinn gehen, und an diesem Tag waren ihm Frotzeleien nicht willkommen.

      »Geh noch ein Weilchen mit mir«, sagte Greathouse, obwohl Matthew das bereits tat. Er wusste, der große Mann meinte damit, dass es Ernstes zu durchdenken und bereden gab. Sie würden auf der Suche nach der richtigen Spur auf Umwegen durch die Stadt ziehen.

      Obwohl der Schnee flog und wehte und die Ziegel, Steine, Bretter und Straßen weiß färbte, schien es Matthew, als würde New York an diesem Tag aus nichts als Grau zu bestehen. Ein grauer Nebel schien über der Erde zu hängen, im Himmel graue Wolken und dazwischen graue Häuser. Kerzen verschwammen hinter Fenstern. Der allmorgendliche Rauch stieg aus der Vielzahl von Schornsteinen und trieb im Wind auf die vom Winter geschorenen Wälder des anderen Flussufers in New Jersey zu. In den Straßen bewegten sich die Kutschen fast geräuschlos; die Gespanne schnaubten Dampf und die Kutscher saßen in schweren Mänteln und verwitterten Hüten zusammengekauert hinter ihnen. Unter Matthews und Greathouses Stiefelsohlen knirschte der Schnee. Der Gehstock des großen Mannes tastete vor ihnen nach rutschigen Stellen.

      Sie bogen nach rechts in die Beaver Street ein und Matthew folgte seinem Freund in Richtung East River. Das Knallrot eines auf sie zukommenden Schirms stach Matthew ins Auge und für einen Moment meinte er, dass es Berrys sein musste. Aber dann erkannte er die große, stattliche Gestalt von Polly Blossom, Inhaberin des rosa Hauses mit den Damen der Nacht. Um ehrlich zu sein, waren es auch Damen des Morgens und Nachmittags.

      »Zum Gruße, Matthew«, sagte Polly mit einem höflichen Lächeln und Nicken. Im Sommer hatte Matthew ihr für eins ihrer Mädchen einen Gefallen getan und seitdem eine Jahreskarte, wie sie es nannte, für ihr Haus. Aber er hatte sich in diese Gefilde noch nicht sehr weit vorgetraut. Für Hudson wurde ihr Lächeln verführerischer und sie klimperte mit den Wimpern. »Euch einen guten Morgen«, sagte sie, und als sie an ihm vorbeiging, stieß sie ihn leicht mit der Hüfte an. Matthew begann zu überlegen, ob er sich nicht auch einen Gehstock besorgen und so tun sollte, als bräuchte er Tee und Mitleid.

      »Sag es nicht«, warnte Greathouse, als sie weitergingen, und so ließ Matthew es bleiben. Aber er kam zu dem Schluss, dass der große Mann an so manchen Nachmittagen, an denen er einen Fall aufdecken sollte, sich stattdessen vermutlich mit ganz anderen Decken beschäftigte.

      Inzwischen gingen sie durch die verschneite Queen Street gen Süden in Richtung Dock Street auf das Great Dock zu, wo die Segelschiffe sich ausruhten und leise in ihren Wiegen aus Seilen seufzten. Aber selbst in diesem Winterwetter ging die Arbeit der Schauermänner weiter, denn vor kurzem waren mehrere Schiffe angekommen, die gelöscht wurden – und einige andere, die mit der nächsten Tide auslaufen sollten, wurden noch beladen. Wie an jedem Tag des Jahres ging es geschäftig zu. Befehle wurden gebrüllt. Jemand hatte mit zerbrochenen Brettern Feuer gemacht und ein paar Männer standen daneben, um sich zu wärmen, bis sie an die Arbeit zurückgeschrien