Die bekanntesten Kinder- & Jugendbücher. Magda Trott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magda Trott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027221226
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wurde von ihm mit barschen Worten zurückgewiesen.

      Doch das war es nicht allein, was den Meister besorgt machte. Jule mußte eine heimliche Leidenschaft haben, er verbrachte seit Wochen alles Geld, was er bekam. Niemals besaß er auch nur einen Pfennig, und oftmals bat er mürrisch, man möge ihm einen kleinen Geldbetrag schenken. Es war nicht zu ergründen, was der Knabe mit seinem bescheidenen Lehrlingssold anfing, er schüttelte verstockt den Kopf, wenn ihn jemand danach fragte.

      »Ich glaube, der Bengel raucht heimlich«, sagte der Meister. »Ertappt habe ich ihn freilich noch niemals.«

      »Seit Wochen drückt ihn ein Leid«, sagte Sabine, »ich merke es. Doch wenn ich ihn frage, weicht er mir aus.«

      »So spreche ich einmal mit seinem Vormund. Man muß doch erfahren, was den Jungen quält. So scheu ist er noch nie gewesen. Er sitzt in der Ecke und starrt vor sich hin.«

      »Pommerle müßte ihn einmal fragen, Vater. Der Jule liebt das Pommerle, ihm wird er sicherlich sein Herz ausschütten.«

      An diesem Abend kam Pommerle in die Wohnung Meister Reicharts und plapperte erfreut von den Vorbereitungen, die für die Reise getroffen wurden.

      »Ein blaues Kleid näht mir die Mutti, blau wie das Meer, und weiße Punkte sind darin, weiß, wie der Strandsand. Das ist mein Ostseekleid, Sabine.«

      Jule war vom Tisch aufgestanden und wollte schweigend zur Tür hinausgehen. Da hielt ihn der Meister zurück.

      »Wo willst du schon wieder hin, Junge? Immer suchst du das Alleinsein. – Was ist denn los, Jule?«

      Pommerle warf einen fragenden Blick auf den Spielgefährten. Wie traurig der Jule aussah, irgend etwas müßte ihn bedrücken. Ob er in der Tischlerei wohl einen Bock geschossen hatte?

      »Was hat denn der Jule?« fragte das Kind leise.

      »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sabine. »Ich habe mir schon gedacht, du solltest ihn einmal fragen, was ihn drückt. Dir wird er es gewiß sagen. Ich glaube, der Jule geht soeben hinaus. Er ist jetzt viel allein. Lauf ihm rasch nach, Pommerle.«

      Hurtig huschte das kleine Mädchen hinter Jule her, der mit gesenktem Kopf über den Hof schritt und sich in einer Ecke auf einem Stoß Bretter niederließ.

      »Jule!«

      Unwillig hob er den Kopf, als er Pommerle erblickte.

      »Jule, warum läufst du fort? Warum bist du so viel allein? Haste was Schlimmes angestellt?«

      »Nein.«

      »Warum bist du dann so traurig?«

      »Am Sonntag bringe ich deinem Vater viele schöne Steine. Ich habe mächtig danach klettern müssen und lange gesucht. Das muß er mir ordentlich bezahlen.«

      »Das wird er schon tun.«

      »Freilich, er hat ja viel Geld, er kann mit dir nach Schweden fahren.«

      »Ich glaub's ja, Jule, daß du gerne mitkommen möchtest. Doch wenn du ausgelernt hast, fahren wir zusammen, dann heiraten wir und du machst an der Ostsee eine Tischlerei auf.«

      »Bis dahin bin ich verhungert, wie die anderen.«

      »Warum willst du denn verhungern, Jule? Gibt dir der Meister nicht genug zu essen?«

      »Laß mich in Ruh!«

      »Jule«, sagte Pommerle mit zitternder Stimme, »willst du nichts mehr von mir wissen? Kannst du mich nicht mehr leiden? – Jule, hab' ich dir was Schlimmes getan?«

      »Laß mich in Ruh!«

      Eine ganze Weile schaute Pommerle sorgenvoll auf den Freund, dann übermannte es der Kummer. So unfreundlich war der Jule noch niemals gewesen. Er schickte sogar sein Pommerle fort, wollte nicht mit ihm reden. In der Ecke lag ein Haufen Hobelspäne. Darauf ließ sich das kleine Mädchen nieder, dicke Tränen rannen ihm über die Wangen.

      Jule horchte auf. Das klang doch wie leises Schluchzen. Er schielte hinüber, er sah, wie sich Pommerle mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischte. Da sprang er jäh auf.

      »Warum natscht du denn?«

      »Wenn du nichts mehr von mir wissen willst – –«

      Da saß der Jule schon neben seinem Pommerle in den Hobelspänen und stieß es derb in die Seite.

      »Du bist ein Gamel! Natürlich will ich was von dir wissen!«

      Das schmutzige Gesicht Pommerles begann sogleich wieder zu strahlen. »Ach, Jule, dann ist alles wieder gut.« Pommerles Hände tasteten sich zu denen des Freundes, umklammerten sie und hielten sie fest. »Nun bin ich wieder froh.«

      »Ich kann überhaupt nicht mehr froh werden.«

      »Jule – Julchen, ich mach dich froh. – Was hast du denn ausgefressen?«

      »Wenn – – wenn andere Leute verhungern müssen, und wenn man zusehen muß, wie sie verhungern – – es nützt ja nichts, wenn man ihnen auch ein Brot kauft – sie müssen eben verhungern. – – Ich weiß, der Großvater hat es erzählt, ich war noch ganz klein, da hat er auch gehungert und ich weiß, wie weh der Hunger tut, denn ich habe auch manchmal Hunger gehabt.«

      »Jule – wer muß denn verhungern?«

      »Viele hundert Menschen.«

      »Wo verhungern sie denn?«

      »Ich hab' es gelesen. Es steht in der Zeitung. – Hier, lies nur!« Jule zog aus der Tasche ein zerknittertes, unsauberes Zeitungsblatt, und wieder trat in sein Gesicht ein gramvoller Zug.

      Pommerle las die traurige Statistik. Erschütternd war der Bericht, den man über die Not eines Volkes gab. Hier hatte einer freiwillig seinem Leben ein Ende bereitet, weil er sich und seine Familie nicht ernähren konnte. Eine Mutter mit ihren Kindern war in den Tod gegangen, weil das Brot fehlte. Zahlen, erschreckende Zahlen, die von grenzenlosem Elend redeten.

      Pommerle hielt den Atem an. Wohl hatten ihm die Eltern schon oftmals erzählt, daß es viel Elend in der Welt gäbe; Pommerle hatte auch schon manches Geschenk an arme Leute austeilen dürfen. Daß aber eine ganze Familie des Hungers starb, daß Hunderte von Menschen nichts zu leben hatten, war für das kleine Mädchen zunächst etwas ganz Unfaßliches.

      »Jule – sie haben alle gar nichts mehr zu essen? Da müssen sie doch fürchterlich hungern, und schließlich werden sie schwach und krank und schließlich sterben sie.«

      »Der Großvater hat in einer kleinen Stube gesessen und gewebt, dabei hat er kaum das Brot verdient. Dann hat er mir noch erzählt, daß sein Bruder auch krank vor Hunger gewesen ist. Aber verhungert ist er nicht richtig. Aber wenn sie hier schreiben, daß die Leute nicht weiterleben wollen – –. Ach, Pommerle, ich möchte einen Sack voll Geld haben!«

      »Jule, ich sage es dem Vati, er muß den armen Leuten Geld geben.«

      »Da kann dein Vater auch nichts tun. Er kann doch nicht allen helfen, die noch sterben wollen, weil sie hungern müssen.«

      »Jule, was tun wir denn da?«

      »Die reichen Leute müßten eben jeder was abgeben. Es müßte einer dem anderen helfen. Aber manche kaufen sich lieber teure Zigaretten und der andere hat kein Brot. – Und wieder andere fahren bis Schweden und verfahren das viele Geld.«

      Pommerle blickte stumm zur Erde. Endlich sagte es langsam: »Die Mutti sagte, die Reise kostet dem Vati viel Geld.«

      »Na ja – aber ihr wollt ja eure Freude haben. Und hier in Hirschberg gibt es auch welche, die haben nichts zu essen.«

      In seiner ungeschickten, doch gutmütigen Art schilderte Jule die Not der Mitmenschen, wie er sie verstand. Er wußte nicht viel vom Leben, doch das eine war ihm aus seiner traurigen Kindheit im Gedächtnis haften geblieben, daß Hunger und Elend den Menschen schließlich zur Verzweiflung bringen konnten. Pommerle erfuhr auch, daß Jule seit dem Tage, da er zum ersten Male die traurige Kunde in der Zeitung gelesen hatte, jeden