Professor Bender sorgte dafür, daß das traurige Erinnern in seinem Kinde bald wieder verwischt wurde. Er schenkte dem Kinde ein kleines Gläschen Wein ein, und voller Entzücken schlürfte die Kleine den süßen Trank.
»Wir lassen dich gar nicht wieder fort«, lachte Professor Daae. »Bist du erst einmal in unserem schönen Norwegen, wird es dir so gut gefallen, daß du gar nicht mehr ins Riesengebirge zurück willst. Und der Vati muß schließlich auch dableiben. Wir holen uns den Vati, die Mutti, alles kommt zu uns.«
Pommerle rutschte hastig von den Knien des Professors hinab. »Das hat der Jule auch gesagt. Holt ihr auch die Kirche Wang?«
»Wenn du es willst, holen wir sie auch.«
»Das läßt der Jule aber nicht zu, es ist unsere Kirche, sie ist doch gekauft worden.«
Es dauerte ein Weilchen, ehe sich der norwegische Professor das Vertrauen Pommerles wieder erworben hatte. Und als er erneut von der Reise nach Norwegen sprach, schüttelte das Kind das Köpfchen und meinte:
»Ich bleibe doch lieber für immer in meinem Deutschland. Hier habe ich auch Wasser und hohe Berge, Wasser bei meinem ersten Vater und Berge bei meinem Vati. Deutschland ist überhaupt viel schöner als Norwegen. Das ist doch nur der Buckel der Katze, und wir sind ein fester Klumpen. So ein bißchen mal nach Schweden gucken, das machen wir schon, aber dann kommen wir bald wieder nach Deutschland zurück. Der Jule meint, es gibt nirgendswo solch schönes Land wie Hirschberg und das Riesengebirge. Und die Sabine meint, in keinem anderen Lande riecht es so schön nach Heimatluft, wie in unserem Deutschland.«
»So lieb hast du dein Vaterland?«
»Ja, ich habe es sehr lieb. Alle sagen, ich kann stolz sein, daß ich ein deutsches Mädchen bin. Und ich bin auch stolz.«
»Unsere norwegischen Mädchen sind auch stolz, daß sie Norwegerinnen sind, kleines Pommerle. Jeder muß sein Vaterland lieben, so ist es gut und richtig.«
»Ja – aber ich weiß etwas ganz besonders schönes über Deutschland und seine Kinder.«
»Was weißt du denn?«
Da stellte sich das kleine Mädchen mit halbgeschlossenen Augen hin und sagte innig:
»Ich bin ein deutsches Mädchen,
Und glücklich, daß ich's bin,
Ich hab' ein fröhlich Herze,
Und aufrecht ist mein Sinn.
Bin stolz, daß mein ich nenne
Solch schönes Vaterland,
Ihm will ich immer dienen
Getreu mit Herz und Hand.
Das Vaterland braucht Frauen,
Frohmütig, herzensstark,
So eine will ich werden,
Will wahr sein bis ins Mark.«
Frau Bender strich zärtlich über das Blondhaar ihres Töchterchens. Die Kleine hatte ihr aus der Seele gesprochen. Dieses Kind, das von Pommern nach Schlesien verpflanzt war, empfand vielleicht stärker als mancher Erwachsene, was es hieß, deutsch zu sein, deutsch bleiben zu dürfen. In diesem Kinderherzen wohnte keine Sehnsucht nach Fremdartigem, ihr Pommerle wurzelte fest in deutschem Boden. Niemals hatte es vieler Worte gebraucht, um das kleine Mädchen darauf hinzuweisen, was es als deutsches Mädchen für Pflichten, für Aufgaben zu erfüllen hatte. Das fühlte die kleine Neunjährige schon heute.
Man brauchte um Pommerle nicht zu bangen. Immer inniger würde sich das Kind an die Heimat anschließen, sich einstmals einreihen in die Front derer, die es sich zur heiligen Aufgabe gesetzt hatten, gute deutsche Mütter zu sein. Heute wollte sie ihrem Kinde nach Möglichkeit den kindlichen Sinn erhalten, heute wollte sie sich nur erfreuen an diesem reinen, unverdorbenen deutschen Mädchen.
Und die Herren aus dem Auslande, die schweigend auf die Kleine blickten, empfanden in diesem Augenblick auch, was dieses Haus für einen kostbaren Schatz barg.
»Glückliches Deutschland«, murmelte der Schwede, »das solche Kinder aufzuweisen hat.« – –
Am Nachmittag waren Pommerle und einige seiner besten Freundinnen mit Jule und Sabine sehr fröhlich zusammen. Sabine hatte gebeten, bei Pommerle bleiben zu dürfen, und wenn auch Jule keinen besonderen Gefallen an den anderen Mädchen fand, fühlte er sich doch beglückt, in der Nähe seiner Freundin verweilen zu dürfen. Er aß mit sichtlichem Behagen und größtem Appetit ein Tortenstück nach dem anderen und wünschte, daß Professor Bender noch oft einen Jubiläumsgeburtstag habe.
Nur ein einziger bitterer Tropfen war in seine Freude gefallen. Er glaubte, daß Professor Bender über den großen alten Stuhl, den er zusammengeflickt hatte, Freude empfinden würde. Diesen alten Stuhl hatte sich Jule von einer bekannten Familie schenken lassen, die ihn wegen Brüchigkeit ausrangierte. Er hatte den Stuhl repariert, doch nicht sorgfältig. Trotzdem meinte er, daß das große und schwere Stück dem Vormund imponieren würde. Was hatte ihm der Professor gesagt?
»Viel Lust hast du zu der Arbeit nicht gehabt, Jule, das sieht man. Darum sind mir die Blumen, die du mir brachtest, für die du den Morgenschlummer opfertest, wertvoller als dieser Stuhl. Da wolltest du nur nach außen hin zeigen, daß du mir etwas großes schenken willst. Also nur um ein wenig zu protzen, lieber Jule. Wenn du mir im nächsten Jahre wieder Blumen bringst, wenn mir Rübezahl wieder Grüße schickt, hoffe ich, daß der große Berggeist richtig schreiben gelernt hat. Das sollst du ihm sagen.«
Jule war beschämt und bekam einen roten Kopf. Es war wohl doch nötig, daß er, wie auch Sabine schon gesagt hatte, der Schreibkunst größere Sorgfalt schenkte. Wenn er einmal Meister werden wollte, mußte er fehlerlos schreiben können.
Da jedoch Professor Bender und seine Gattin dem Jule am heutigen Tage noch viel Liebe zeigten, war sein Kummer bald wieder vergessen, und noch lange war für alle Beteiligten der Jubiläumsgeburtstag des Professors eine schöne Erinnerung.
Kapitel 3.
Pommerle bringt ein großes Opfer
Im Hause des Professors begann man langsam mit den Vorbereitungen für die Reise nach Schweden. Bender hatte beschlossen, Frau und Tochter mitzunehmen. Er selbst würde sich freilich seinen Angehörigen wenig widmen können, da er durch Vorträge in Stockholm und Upsala stark in Anspruch genommen war. Frau Bender nahm mit Pommerle in einem Seebad an der schwedischen Küste Wohnung. Professor Halvorsen hatte sich bereit erklärt, Frau Bender nach jeder Richtung hin mit Rat und Tat zu unterstützen.
Pommerle war von strahlender Freude erfüllt. Wenn es auch anfangs wenig Meinung für Schweden hatte, erfüllte der Gedanke, das geliebte Meer wiederzusehen, das Kinderherz; außerdem hatten ihm die Eltern versprochen, acht Tage in Pommern zu bleiben, daß das Kind sein altes Heimatdorf wiedersehen konnte.
Jule hatte zu den verschiedensten Mitteln gegriffen, um Pommerle von der Reise zurückzuhalten. Sogar ein Buch hatte er gelesen, das ihm der Meister auf sein Bitten hin gab. In diesem Buch stand zu lesen, daß ein Schwedenkönig Pommern einstens bedroht und stark verwüstet hätte.
»Ich denke, du hast dein Pommernland lieb, Hanna? Der Schwede hat alles kaputt gemacht. Zu solchen Leuten geht man nicht! Die betrachtet man als Feinde.«
Pommerle hatte sich darauf bei den Eltern Rat und Auskunft geholt, und schon am folgenden Tage erklärte es dem Freunde, daß das alles schon gewesen wäre, ehe der Jule geboren sei, und noch viel vorher. Außerdem seien die Schweden keine schlimmen Leute und keine Feinde.
Trug die beabsichtigte Reise die Schuld daran, daß Jule von Tag zu Tag stiller und verstockter wurde? Meister Reichart wußte keinen Rat mehr. Sein Lehrling war in den letzten Monaten ein gradezu prächtiger Mensch gewesen, fleißig, gewissenhaft, der sich ohne Murren ein Wort