»Da haben wir's«, klang es ergrimmt von den Lippen des Knaben. »Sowas habe ich schon geahnt! – Überhaupt nach Schweden, dort erfriert man ja. Hier ist es jetzt so schön, hier blühen die Blumen und dort oben wickeln sie sich in Seehundfelle, weil die Wolle nicht warm genug ist für die Füße. – Was willst du nur dort oben? – Na, meinetwegen, wenn's dir eben in unserem Schlesien nicht mehr gefällt, kannst du mit den Renntieren Schlitten fahren.«
»Jule«, tadelte Frau Bender, »warum wirst du gleich wieder so grimmig? Ist es nicht recht erfreulich, daß dein Vormund so geehrt und in der Welt bekannt ist? Professor Ole Daae bringt Grüße aus Norwegen. Man kennt dort die Bücher, die dein Vormund geschrieben hat.«
»Was kümmert mich der olle Daae!«
»Eine Deputation aus den verschiedensten Ländern findet sich zum Geburtstag bei deinem Vormund ein, und Professor Gaulois aus Paris wird eine schöne Ansprache halten.«
»Da will ich mal besser in der Werkstatt bleiben. Ich will mit dem ollen Daae und dem französischen Gaul nichts zu tun haben! Aber – aber – wenn sie das Pommerle wegholen – – na, mir kann es ja einerlei sein. Dann is schon besser, ich geh gleich.«
»Jule!«
»Guten Abend!«
Er ließ sich nicht mehr halten. Im Laufschritt stürmte er die Straße hinunter. Die wenigen Worte Frau Benders hatten den temperamentvollen Jüngling derart erbittert, daß er seiner schlechten Laune nicht Herr werden konnte. Schon einmal war Pommerle einen ganzen Sommer über fortgewesen, Jule hatte es vor Sehnsucht nach der Spielgefährtin kaum ausgehalten. Nun kam ein alter Mann her, der sein Pommerle nach Schweden holte, also noch viel weiter, als im vorigen Jahre. Wer konnte wissen, ob Pommerle nicht erfror.
»Eine Frechheit ist es«, rief er im Laufen, »Hanne ist doch ein schwaches Mädel, sie kann nischt vertragen. Nu in das viele Eis! Aber ich dulde es nicht, und die Sabine darf es auch nicht dulden. Die Sabine muß dem Pommerle ins Gewissen reden. – Nun suche ich grade keine Steine, und eine Kiste mache ich schon gar nicht!«
Der Jule ging nicht wieder so schnell heim zum Meister. Er lief erst, um sich zu beruhigen, über eine volle Stunde im Hirschberger Tal umher, bis der größte Ärger verraucht war.
Am nächsten Morgen war er sehr gedrückt. Sabine, die Tochter seines Meisters, die häufig in die Werkstatt kam, merkte sofort, daß heute beim Jule etwas nicht stimmte. Sehen konnte sie freilich die tiefe Falte nicht, die auf der Stirn Jules stand, aber Blinde haben um so schärfere Ohren, und jedes Wort, was Jule sagte, klang ergrimmt.
Sehr bald hatte Sabine erfahren, was den verärgerten Lehrling drückte.
»Aber Jule, wie kannst du so egoistisch sein! Wenn Professor Bender mit seiner Tochter wirklich einmal im Sommer nach Schweden reist, brauchst du es doch nicht zu hindern. Außerdem ist dort oben kein Eis und kein Schnee im Sommer. Schweden liegt nicht am Nordpol, wie du es dir einbildest. Das kommt davon, Jule, wenn man in der Schule nicht lernt. Du solltest dich doch darüber freuen, daß Professor Bender, der dir so viel Liebes erwiesen hat, und noch immer erweist, zu seinem fünfzigsten Geburtstag geehrt wird. Auch hier in Hirschberg rüstet man bereits für seinen Geburtstag. Die Einwohner feiern freudig seinen Ehrentag mit. Und dann willst du abseits stehen? Ach nein, Jule, du bist mir doch immer ein lieber Freund gewesen, hast dich immer dankbar und gutmütig gezeigt. Sei wieder friedlich, Pommerle kommt doch wieder, und wird dir dann viel erzählen.«
»Was wollen denn die Leute aus Frankreich und aus Schweden?«
»Sie kommen, um Professor Bender zu ehren.«
»Nur weil er über die Steine schreibt, die ich ihm gebracht habe? Aber ich werde es den Leuten sagen, daß ich die Steine geholt habe!«
»Sei nicht einfältig, Jule. Das alles verstehst du noch nicht. Freue dich, daß dein Vormund so geehrt wird. Ist es nicht wunderschön zu denken, daß grade wieder ein deutscher Mann solch wertvolle Forschungen machte, und alle Länder Abgesandte schicken, und dies alles anerkennen? Das muß dich als deutschen Jungen doch stolz machen, Jule! Du hast deine Heimat so lieb, das weiß ich, und dann wird man in Frankreich, in Schweden und Norwegen von unserem schönen Riesengebirge erzählen. Ist das nicht wunderschön?«
»Ich begreife nicht, daß sich der Schwede überhaupt in unser Gebirge traut. Der weiß doch genau, wie es dem Schweden ergangen ist, der sich mit Rübezahl zankte.«
»So? – Wie ist es ihm denn ergangen?«
»Das weißt du nicht, Sabine, und wohnst in Hirschberg? Im Dreißigjährigen Krieg ist der Schwedenhauptmann durchs Hirschberger Tal geritten. Sein Pferd taugte nichts. Da ist ihm Rübezahl auf einem feinen Rappen entgegengekommen, der Schwede hat ihn jedoch nicht gekannt. Er wollte das schöne Pferd Rübezahls erhandeln, hat sogar den Degen gezogen, um ihn zu erstechen. Da hat ihm Rübezahl sein Pferd gegeben, aber als er dann nach Giersdorf kam, schrumpelte das Pferd ein und wurde ein Socken, auf dem der Schwede saß. – Ich weiß, der Rübezahl ist den Schweden nicht gut! Der schwedische Mann sollte lieber bleiben, wo er ist.«
»Laß gut sein, Jule, ich freue mich sehr auf den Geburtstag des Professors und hoffe, daß ihm noch viele glückliche Lebensjahre beschieden sind. Wir in Hirschberg können stolz auf diesen Mann sein.«
Nachdem Jule im Laufe des Tages noch mancherlei Belehrungen über sich ergehen lassen mußte, sah er schließlich ein, daß er in seinem Egoismus zu weit gegangen war. Gewiß, er liebte seinen Vormund herzlich, er gönnte ihm auch alles Gute, nur Pommerle sollte während des Sommers in Hirschberg bleiben und nicht nach dem fernen Lande fahren.
Je näher der Geburtstag Professor Benders kam, um so aufgeregter und geheimnisvoller gebärdete sich Pommerle. Immer wieder holte es sich, möglichst heimlich, aus dem Bücherschrank den einen Band des Lexikons, um die Rede, die es seinem berühmten Vater halten wollte, durchzulesen. Einen ganzen Absatz aus dem Lexikon, der von dem Gestein des Riesengebirges handelte, hatte das kleine Mädchen auswendig gelernt, in der Hoffnung, damit die geliebten Eltern zu erfreuen. Sehr schwere Worte standen in dem Buch, die Pommerle nicht begriff und falsch las. Doch der Gedanke, daß die Eltern staunen würden, veranlaßt die kleine Hanna immer wieder, noch weitere Zeilen hinzuzulernen. – Ob der Jule auch an die Steine dachte? Ob er dem Vater etwas schenkte? – Pommerle war sogar in der Schule daraufhin angesprochen worden, daß der Professor vom Musikverein ein Ständchen bekäme, und daß man Bender zum Ehrenbürger Hirschbergs machen werde. Mit verzücktem Gesicht hörte das Kind alles an. Wenn nur der Jule an diesem Tage kein mürrisches Gesicht zeigte. – Ob ihm der Meister wohl Urlaub gab, daß er am Nachmittag auch von der schönen Torte essen konnte, die der Konditor backen wollte? Die Tochter des Konditors war Pommerles Klassenfreundin, sie hatte es verraten. Eine Torte mit einer großen Fünfzig in grünem Zuckerkranz würde frühzeitig ins Bendersche Haus geschickt werden.
Es hielt Pommerle nicht länger daheim. Es mußte zu Meister Reichart gehen; Sabine sollte ein gutes Wort einlegen, daß der Jule am nächsten Dienstag schon um vier Uhr frei wäre und die Torte mit dem grünen Zuckerkranz mitessen könne.
Zunächst eilte das kleine Mädchen zu Meister Bohrmann und fragte, ob die Torte mit dem grünen Kranz schon fertig sei.
»Ich möchte sie so gern mal sehen!«
»Aber Pommerle, der Geburtstag ist doch erst am nächsten Dienstag, ich kann doch nicht schon heute die Torte backen lassen.«
»Und eine Fünfzig in der Mitte? Und der grüne Kranz aus richtigem Zucker?«
»Aus dickem Zucker und Früchten.«
Pommerle steckte den Finger in den Mund, leckte daran und sagte schwärmerisch: »Oh – –«
»So dicken Zucker wie auf diesem Kuchenstück. Das darfst du dir mitnehmen.«
Beglückt eilte Pommerle davon, unterwegs herzhaft in das Kuchenstück beißend. Den Rest wickelte es jedoch ein. Den sollte der Jule haben, der vielleicht doch nichts von der Torte mit dem grünen Zuckerkranz bekam, weil er fleißig hobeln mußte. Doch die Sabine würde schon bei ihrem Vater