»Sie meinen… «
»Einfach das Cabinet. Ich habe keine Veranlassung, damit zurückzuhalten und aus meinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Ich meine das Cabinet, das sich's zur Aufgabe zu stellen scheint, mit den Traditionen der Armee zu brechen. Wenn ich von Armee spreche, sprech ich selbstverständlich von der friderizianischen Armee. Was uns heutzutage fehlt und was wir brauchen wie das liebe Brot, das sind alte Familien und alte Namen aus den Stammprovinzen. Aber nicht Fremde… «
Kraczinski, der zwei Brüder in der russischen und einen dritten in der österreichischen Armee hatte, lächelte mit kriegsministerieller Überlegenheit vor sich hin, von Rossow aber fuhr fort: »Der Chef, trotz altem livländischen Adel, der hingehn mag, ist, von meinem Standpunkt aus, ein homo novus, der der unglückseligen Anschauung von der geistigen Bedeutung der Offiziere huldigt. Alles Unsinn. Wissen und Talent ruinieren nur, weil sie bloß den Dünkel großziehen. Derlei Allotria sind gut für Professoren, Advokaten und Zungendrescher, überhaupt für alle die, die sich jetzt Parlamentarier nennen. Aber was soll das dem Staat? Der verlangt andres. Auf die Gesinnung kommt es an, auf das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Stammlande, das nur die haben, die schon mit am Cremmer-Damm und bei Ketzer-Angermünde waren. Aber das wird jetzt übersehen, übersehen in einer mir ganz unbegreiflichen Weise. Denn die höhere Disziplin ist lediglich eine Frage der Loyalität. Und das wissen auch die Hohenzollern. Aber weil sie nicht gerne dreinreden und allzu bescheiden sind und immer glauben, die Herren vom grünen Tisch (und die Armee hat auch ihren grünen Tisch) müßten es besser wissen, so lassen sie sich bereden und betimpeln. Ein erbärmlicher Zustand. Und daß es nicht zu ändern ist, das ist das schlimmste. Napoleon konnte nicht alle Schlachten selber schlagen, und die Hohenzollern können nicht allerpersönlichst in alle Winkel der Verwaltung hineingucken. Da liegt es, mein lieber Geheimrat. Da, nur da. Canossa hin, Canossa her. Preßfreiheit, Redefreiheit, Gewissensfreiheit, alles Unsinn, alles Ballast, von dem wir eher zuviel als zuwenig haben.«
Cécile sah verlegen vor sich nieder. Sie kannte längst diese vom Ärger diktierte Beredsamkeit, die sie, bei früheren Gelegenheiten, immer nur als überflüssig, aber nicht als sonderlich störend empfunden hatte. Heute peinigte sie's, weil sie sah, was in Gordons Seele beim Anhören dieser Renommistereien vorging. Auch St. Arnaud empfand so, weshalb er es für ratsam hielt, sich der Situation zu bemächtigen und in geschickter Anknüpfung an die Rossowschen Worte »von der Bedeutung alter Familien« auf die Gordons überzugehen, die, seit dem Dreißigjährigen Kriege, jedenfalls aber seit dem Schillerschen »Wallenstein«, uns als unser eigenstes Eigentum angehören. Oberst Gordon, Kommandant von Eger, zähle zu den besten Figuren im ganzen Stück, und er glaube sagen zu können, die Tugenden desselben fänden sich in dem neuen Freunde seines Hauses vereinigt. Er trinke deshalb auf das Wohl seines lieben Gastes, des Herrn von Gordon.
Gordon, der wohl wußte, daß rasches Erwidern die beste, jedenfalls aber die leichteste Form des Dankes sei, nahm unmittelbar nach diesem Toaste das Wort und bat, nachdem er in einer scherzhaft durchgeführten Antithese den »Obersten St. Arnaud des 4. Oktober« dem »General St. Arnaud des 2. Dezember« gegenübergestellt und in Cécile die Lichtgestalt, die den Unterschied zwischen beiden besiegte, gefeiert hatte, das Wohl der liebenswürdigen Wirte proponieren zu dürfen.
Sein Trinkspruch war vorzüglich aufgenommen worden, am enthusiastischsten von der Baronin, die bei dieser Gelegenheit selbstverständlich nicht ermangelte, von ihrer im vorigen Sommer in Ragaz stattgehabten Promenadenbegegnung mit der Kaiserin Eugenie zu sprechen, »einer Frau, die, wenn sie, statt ihres Polisson von Gatten, das Heft in Händen gehabt hätte, Frankreich ganz anders regiert, jedenfalls aber männlicher verteidigt und höchstwahrscheinlich gerettet haben würde«.
Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben, und als sich, nach abermals einer Minute, die gesamte Herrenwelt, mit Ausnahme des bei den Damen verbliebenen St. Arnaud, in das Rauchzimmer zurückgezogen hatte, nahm von Rossow - der vor gerade dreißig Jahren, als Hauptmann im Alexander-Regiment, einen schwachbesuchten Casino-Vortrag über den »2. Dezember« gehalten hatte - noch einmal in der St.-Arnaud-Frage das Wort und sagte, während er den dritten ihm präsentierten Chartreuse mit einer an Grazie grenzenden Raschheit niederstürzte: »Was übrigens, mein werter Herr von Gordon, Ihre Gegenüberstellung oder meinetwegen auch Ihre Parallele betrifft, nun ja, der damalige St. Arnaud und der gegenwärtige, sie lassen sich, wenn's sein muß, vergleichen, und soviel konzedier ich Ihnen ohne weiteres, daß mit dem unseren auch schlecht Kirschenpflücken ist. Auch der unsere, wenn ich ihn recht beurteile, hat ein tiefes Überzeugtsein von der Gleichgültigkeit des Einzelindividuums, und daß er das Jeu liebt, wie sein berühmter Namensvetter, werden Sie mutmaßlich ebenfalls wissen. Aber der napoleonische, der Anno 51 die ganze Geschichte gemacht hat, war ihm denn doch um einiges über. Ein Deubelskerl, sag ich Ihnen. Und dabei filou comme il faut. Unsere schöne Cécile, was Sie freilich nicht wissen konnten, läßt sich denn auch in Anbetracht all dieser Umstände nicht gern an die Namensvetterschaft erinnern, St. Arnaud selbst aber ist stolz darauf. Und kann auch. Wenn wir unruhige Zeiten kriegen, und man kann nie wissen, so wächst er sich vielleicht noch in was hinein. Talent hat er. Sehen Sie nur das Faunengesicht, mit dem er zu dem arrondierten kleinen Fräulein spricht. Malerin, nicht wahr? Wie heißt sie doch?«
»Fräulein Rosa Hexel.«
»Mit einem x?«
»Ja, Herr General.«
»Na, das paßt ja. Nur keine Spielverderberei. Da kommt übrigens das Tablett noch mal. Chartreuse. Den kann ich Ihnen empfehlen.«
Um neun Uhr brach man auf. Alles drängte sich im Korridor, und Cécile fragte die Malerin, ob der Diener eine Droschke holen solle, Rosa dankte jedoch, Herr von Gordon werde sie bis an den Platz begleiten, und dort finde sie Pferdebahn.
Unten bot ihr Gordon denn auch den Arm und sagte: »Wirklich nur bis an den Platz? Und nur bis an die Pferdebahn?«
»O nicht doch«, lachte Rosa. »Was Sie nur denken? So leicht kommen Sie nicht davon. Sie müssen mich bis nach Hause bringen, Engel-Ufer, und ich schenke Ihnen keinen Schritt. Aber sahen Sie nicht die Gesichter, als ich bloß Ihren Namen nannte? Der Geheimrat hob den Kopf, wie wenn er eine Fährte suche. Man muß es den Schandmäulern nicht zu leicht machen. Und das sind sie samt und sonders, die ganze Gesellschaft.«
»Ich fürchte, daß Sie recht haben. Aber doch alles in allem nicht übel, nicht dumm.«
»Nein, nicht dumm.«
»Und auch nicht uninteressant.«
»Nein, auch nicht uninteressant. Und au fond doch wieder. Es sieht alles nach was aus und klingt leidlich. Aber was ist es am Ende? Chronique scandaleuse, Malicen, Absetzen einiger Bitterkeiten. Und dann hat jeder sein elendes Steckenpferd. Der Klügste bleibt immer St. Arnaud selbst, er steht drüber und lacht. Aber dieser alte General! Ich verstehe nichts von Politik und noch weniger von Armee, wer mir aber ernsthaft versichern will, daß ein kluger General Müller allemal eine Landeskalamität und neben einem Hampel von Hampelshausen nie zu nennen sei, wer mir das ernsthaft versichern will, mit dem bin ich fertig, und wenn ich ihn trotz alledem interessant finden soll, so bin ich dazu zwar bereit, aber frag mich nur nicht wie.«
»Schau, schau, Fräulein Rosa, das sprüht ja wie ein pot à feu.«
»Der ich auch bin. Und wenn ich nun gar erst von diesem Geheimrat rede, da sprüh ich nicht bloß, da zisch ich wie eine Schlange, versteht sich Feuerwerksschlange.«
»Und doch war vieles richtig, was er sagte.«
»Vielleicht; vielleicht auch nicht. Ich versteh nichts davon. Aber unehrlich war es jedenfalls. Er ist ein schlechter Kerl, frivol, zynisch, und kein Frauenzimmer, und wenn es die keusche Susanne wäre, kann eine Minute lang mit ihm zusammen sein, ohne sich einer Unpassendheit ausgesetzt zu sehen. Er versteht unter ›protestantischer Freiheit‹ die Freiheiten, die er sich nimmt, und deren sind viele, jedenfalls genug. Sein ganzer Liberalismus ist Libertinage, weiter nichts. Ein wahres Glück, daß man ihn beiseite geschoben hat. Er