50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2. Эдгар Аллан По. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Эдгар Аллан По
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9782291092247
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auf diese Weise den ihm während der letzten Tage so lieb gewordenen Aufenthalt in Thale so plötzlich abgebrochen sah. Aber das Angenehme, Beruhigende, Zufriedenstellende wog in diesem Widerstreit der Gefühle doch schließlich vor. »Gott sei Dank, ich bin nun aus der Unruhe heraus und vielleicht aus noch Schlimmerem. Wer sich in Gefahr begibt, kommt drin um, und mit unserer Festigkeit und unseren guten Vorsätzen ist nicht viel getan. Eine gnädige Hand muß uns bewahren, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. ›Führe uns nicht in Versuchung.‹ Wie wahr, wie wahr. Mein gutes Glück interveniert mal wieder und meint es besser mit mir als ich selbst.«

      Und er klingelte.

      »Mein Frühstück und meine Rechnung… Sind Oberst St. Arnaud und Frau schon auf dem Balkon?«

      »Ja, Herr Baron.«

      Er ließ sich die Rangerhöhung gefallen und fuhr fort: »Und der nächste Zug nach Hannover?«

      »Neun Uhr zwanzig.«

      »Ah, da hab ich noch Zeit vollauf.«

      Und er hob, als er wieder allein war, den Koffer auf den Ständer und begann zu packen. Die Raschheit, mit der er dabei verfuhr, zeigte den Vielgereisten, und der vom Zimmerkellner mittlerweile gebrachte Kaffee hatte noch eine mittlere Temperatur, als auch alles schon fertig und der ins Schloß gedrückte Koffer samt Schirm und Plaid beiseite geschoben war.

      Gordon sah nach der Uhr.

      »Neun. Also noch zwanzig Minuten: fünfzehn für mein Frühstück und fünf für den Abschied. Etwas wenig. Aber je weniger, desto besser. Was soll man sich sagen? Abschiedsworte müssen kurz sein wie Liebeserklärungen. Das Beste hält nicht lange vor und sträubt sich gegen Dauer: der erste Moment ist poetisch, der zweite kaum noch und der dritte gewiß nicht mehr. Und weil man das fühlt und ein schlechtes Gewissen hat, so wird man lügnerisch und heuchelt und übertreibt. Und das mag ich nicht. Ich will mich nicht selbst um die schönen Eindrücke dieser Tage bringen und will gehobenen Herzens und ohne alles Redensartliche von ihr gehen. Ich will mich ihrer erinnern, wie, wie… Nun wie… Nun, nur um's Himmels willen nichts von kindischen Vergleichen. Und doch, woran erinnert sie mich? An wen? Oder an welches Bild?«

      Und er wiegte den Kopf, nachsinnend, hin und her. Endlich schien er es gefunden zu haben: »Ja, das ist es. Ich habe mal ein Bild von Queen Mary gesehen, ich weiß nicht mehr genau wo, war es in Oxford oder in Hampton-Court oder in Edinburgh-Castle. Gleichviel, es war die schottische Königin, meine arme Landsmännin. Etwas Katholisches, etwas Glut und Frömmigkeit und etwas Schuldbewußtsein. Und zugleich ein Etwas im Blick, wie wenn die Schuld noch nicht zu Ende wäre. Ja, daran erinnert sie mich. Und der alte Oberst! Nun! der könnte den Bothwell aus dem Stegreif spielen. Wahr und wahrhaftig. Ob er irgendeinen Darnley hat in die Luft fliegen lassen? Es wäre leichtsinnig, sich für das Gegenteil verbürgen zu wollen. Aber weg mit solchen Pulverfaß-Reminiszenzen. Ich will hier mit etwas Heitererm abschließen.«

      Und unter solchem Selbstgespräche trat er noch einmal ans offene Fenster und sah, über die zunächstgelegene kleine Gartenanlage fort, in das Flachland hinaus, an dessen äußerstem Rande die Türme von Quedlinburg aufragten. Er blieb eine Minute lang im Anblick derselben und nahm dann Hut und Stock, um sich bei den St. Arnauds zu verabschieden. Aber diese waren nicht mehr auf dem Balkon, sondern promenierten bereits im Park unten und schritten eben auf ihre Lieblingsbank zu, die, von Flieder und Goldregen halb überwölbt, den Blick auf den Bahnhof frei hatte.

      »Bitte«, so wandte er sich an den Oberkellner, »lassen Sie meine Sachen hinüberschaffen.«

      Und nun ging er auf die Bank zu, wo St. Arnaud und Cécile mittlerweile Platz genommen hatten. Boncour war mit da, lag aber diesmal nicht zur Seite, sondern in Front, in vollem Sonnenschein. Als er Gordon kommen sah, hob er einen Augenblick den Kopf, ohne sich im übrigen zu rühren.

      »Ah, Herr von Gordon«, sagte der Oberst. »So spät. Ich dachte, Sie wären ein Frühauf. Meine Frau hat Ihnen in den letzten zehn Minuten mindestens ebenso viele Krankheiten angedichtet. Ich wette, sie schwärmte schon in der Vorstellung einer allerchristlichsten Krankenpflege.«

      »Der ich mich nun rasch und undankbar entziehe.«

      »Wie das?«

      »Ein eben erhaltenes Telegramm ruft mich fort, und ich komme, mich zu verabschieden.«

      Gordon sah, wie Cécile sich verfärbte. Sie bezwang sich aber, warf mit dem Schirm ein paar Steinchen in die Luft und sagte: »Sie lieben Überraschungen, Herr von Gordon.«

      »Nein, meine gnädigste Frau, nicht Überraschungen. Erst seit einer Stunde weiß ich davon, und es lag mir daran, über das, was nun sein muß, so schnell wie möglich hinwegzukommen. Was sag ich Ihnen noch? Ich werde diese Tage nie vergessen und würde mich glücklich schätzen, sie früher oder später, sei's hier oder in Berlin oder irgend sonstwo in der Welt, wiederkehren zu sehen.«

      Cécile sah vor sich hin, und eine peinliche Stille folgte, bis St. Arnaud artig, aber nüchtern erwiderte: »Worin sich unsere Wünsche begegnen.«

      In diesem Augenblicke läutete die Glocke drüben zum zweiten Male.

      »Das gilt mir. Adieu, meine gnädigste Frau. Au revoir, Herr Oberst.«

      Und Gordon, den Hut lüftend, ging auf den Bahnhof zu, der nur durch eine hohe Hecke von der Parkwiese getrennt war. Vor einem der hier eingeschnittenen Durchgänge blieb er noch einmal stehen, verneigte sich und grüßte militärisch hinüber. Der Oberst erwiderte den Gruß in gleicher Weise, während Cécile dreimal mit dem Taschentuch winkte.

      Keine Minute mehr, und der Pfiff der Lokomotive schrillte durch die Luft. Boncour aber sprang auf und legte seinen Kopf in den Schoß der schönen Frau. Dabei schien er sagen zu wollen: »Laß ihn ziehen: ich bleibe dir und - bin treuer als er.«

      Kapitel Fünf­und­siebzig

      Gordon war allein im Coupé und nahm einen Rückwärtsplatz, um so lange wie möglich einen Blick auf die Berge zu haben, zu deren Füßen er so glückliche Tage verbracht hatte.

      Hundert Bilder, während er so hinstarrte, zogen an ihm vorüber, und inmitten jedes einzelnen stand die schöne Frau. Gedanken, Betrachtungen kamen und gingen, und auch der Abschiedsmoment stellte sich ihm wieder vor die Seele.

      »Dieser Abschied«, sprach er vor sich hin, »ich wollt ihn abkürzen, um nicht in armselige Redensarten zu verfallen, und doch war mein letztes Wort nichts andres. ›Auf Wiedersehen!‹ Alles Phrase, Lüge. Denn wie steht es damit in Wahrheit? Ich will sie nicht wiedersehen, ich darf sie nicht wiedersehen: ich will nicht Verwirrungen in ihr und mein Leben tragen.«

      Er wechselte den Platz, weil die just eine starke Biegung machende Bahn ihm den Blick auf die Berge hin entzog. Dann aber fuhr er in seiner Betrachtung fort: »Ich will sie nicht wiedersehen, so sag ich mir. Aber schließlich, warum nicht? Sind Verwirrungen denn unausbleiblich? Lady Windham in Delhi war nicht älter als Cécile, und ich selbst war um fünf Jahre jünger als heut, und doch waren wir Freunde. Niemals, in den nun zurückliegenden Tagen, hab ich mir im Umgange mit der liebenswürdigen Lady mißtraut und ihr selbst noch weniger. Also warum kein Wiedersehen mit Cécile? Warum nicht Freundschaft? Was in einer indischen Garnisonstadt möglich war, muß noch viel möglicher sein innerhalb der Zerstreuungen einer großen Residenz. Sind doch Einsamkeit und Langeweile so recht eigentlich die Gevatterinnen, die die Liebestorheit aus der Taufe heben.«

      Er warf die Zigarette fort, lehnte sich zurück und wiederholte: »Warum nicht wiedersehen?« Aber er konnte weder Ruhe noch Trost aus dieser Frage schöpfen. »Ach, daß ich von der Frage nicht loskomme, das ist eben das Mißliche, das gibt die Vorwegentscheidung. Ich entsinne mich eines Rechtsanwalts, der mir einmal beim Schoppen erzählte: ›Wenn wer zu mir kommt und im Eintreten schon anhebt, Ich habe da was geschrieben und wollte nur noch von ungefähr anfragen, ob vielleichteine Stelle… ‹, so ruf ich ihm schon von weitem zu: ›Streichen Sie die Stelle. Sie würden mich nicht fragen, wenn Sie nicht ein schlechtes Gewissen hätten.‹ Und daß ich immer wieder frage, ›warum nicht Freundschaft?‹, das ist mein schlechtes