Im Königreich Mjelvik. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518397
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      Und Tea trat an Karins Platz im Herrenhof. Tea war zu jener Zeit auch ein junges und frisches Mädchen.

      Sie war das erste Mädchen an diesem Strande, das Sonntags eine rote Seidenbluse mit tiefem Busenausschnitt trug und dünne Strümpfe über die Waden streifte. Tea — sie benahm sich in allem schon auffallend gebildet. Sogar das Taschentuch benutzte sie an allen Wochentagen und trug es die ganze Zeit mit sich herum und prahlte vor andern Mädchen damit. Sie trieb überhaupt ungeheure Verschwendung in Manufaktur und Wäsche. Sie zierte und verschönerte sich, so gut sie konnte, und schmückte mit ihrer Jugendblüte das große düstere Haus auf Trollhaugen.

      König Sigmund hätte nun mit dem Leben wohl zufrieden sein können, denn er besaß eine glückliche Hand in jeder Beziehung. Seine Frau, Kristin, hatte ihm außer den großen Wäldern bei Furuvoll noch manchen guten Taler in die Ehe gebracht. Und hierauf kränkelte Kristin, stellte an alle Fenster Blumentöpfe und sang vom Morgen bis zum Abend Psalter. Sie war eine stille, in sich selber versunkene, allem irdischen Frevel abgeneigte Seele.

      Kristin — nichts als Frieden wünschte sie, Und der König schenkte ihr Frieden.

      Aber er selber blieb stetsfort erfüllt von Unrast und Begehrlichkeit und einem unwiderstehlichen Drang nach vorwärts. Nicht genug damit, daß er seine Seifenfabrik schon dreimal vergrößerte und daß er für sein Haus schon zwei junge Mägde zu gleicher Zeit halten konnte, er gründete auch noch eine Tonnenfabrik.

      Er ließ die Tannen in Kristins Wäldern schlagen und schnitt sie auf seiner Säge. Die Arbeit ging Sommer und Winter nicht mehr aus in Mjelvik. Und der Kontorist wurde immer schiefer in den Schultern und begann zu kränkeln, vom Rechnen und Schreiben. Die Kasse aber wurde unter seinen Händen immer voller.

      Kein Wunder, daß das alles dem König ins Blut schoß und ihn üppig machte. Er strotzte von so viel Kraftanhäufung. Da baute er auch noch eine Landungsbrücke aus mächtigen Steinen, mit schweren Eisenringen und Prellbalken. Und als die Brücke fertig war, reiste der König in die Stadt. Und als er zurückkehrte, fuhr er auf einem Dampfer.

      Ja, der König brachte es zustande, daß die Postschiffe jede Woche zweimal in Mjelvik anlegten und die Luft zwischen den hohen Felsenwänden mit dem Geheul ihrer Sirenen, dem Gerassel ihrer Dampfwinden und den Strand mit Verkehr und Trafik und Weltwirtschaft erfüllten.

      Dem König gelang alles.

      Und dann kam zu allem Überflusse auch noch der Krieg, und die goldene Woge rollte übers Meer herein. Sigmund Borsa war nicht der Mann, der sie mit Staunen in den Augen und den Händen in den Hosentaschen vorbeirollen ließ. Ach nein, er schöpfte seinen guten Teil aus ihr. Er schickte seine Jacht „Solrenningen“ aus und kaufte all den alten Hering der ganzen Küste entlang auf und schickte ihn den hungernden Deutschen, die ihm dafür ihr gutes Geld hergeben mußten.

      König Sigmund kaufte Aktien und spekulierte herrlich mit Schiffstonnage. Und eine Zeitlang war er Millionär. Vielleicht Doppelmillionär. Herrgott, er trug ja die Tausendkronenscheine lose in beiden Westentaschen herum. Wenn er nach seinem silbernen Bleistift suchte, fiel gewöhnlich eine von den gewaltigen roten Banknoten heraus und erfüllte die Leute mit andächtigem Schreck.

      Aber dann senkte sich, für Mjelvik unerwartet und manchem unerwünscht, der holde Friedensengel auf die blutrote Erde nieder. Der Friedensengel traf den König völlig unvorbereitet und verwirrte seine Finanzen fürchterlich, Fort rollten die Millionen. Wie dünnes Wasser rannen sie dem König durch die Finger, und er erwachte aus einem kurzen, aber herrlichen Traum mit Angst und heftiger Empörung wieder zu simpler und jammervoller Ärmlichkeit.

      Es kam fast alles wieder zurück in jenen Zustand, der vor der Ermordung des Post-Nikolaj an diesem Strande geherrscht. Ein Zustand, der schon damals betrüblich gewesen und der jetzt, nach den Zeiten unerhörten Überflusses und Verschwendung, niederschmetternd wirkte. —

      Seit jener Zeit war Jahr um Jahr vergangen. Es waren wohl bald dreißig Jahre vergangen.

      Trotz Postraub und Krämer-Benjamin und Landungsbrücke und Millionentraum hatte sich nicht so sehr viel in Mjelvik verändert. Alle paar Jahre zogen junge Mädchen auf Trollhaugen ein, und andere junge Mädchen zogen, wohlvorbereitet fürs Leben, aus und wurden gute Hausfrauen. Da und dort fiel ein alter Baum um, hin und wieder fuhr das große Kirchenboot mit traurigen Gesängen und die Flagge auf Halbmast zur schwarzen Bucht hinaus ...

      Aber in jedem Frühling sproßte neues Grün aus der unsterblichen Erde. Und wenn irgendwo ein Alter auf dem langen Marsche zurückblieb und hinsank, trat sogleich ein Junger in seine Lücke, so daß die Reihe immer geschlossen blieb.

      Prächtige Kinder wuchsen in Mjelvik auf. Und es ist wohl nichts als ein komischer Zufall, daß so viele von ihnen ungewöhnlich lange Nasen bekamen.

      Der Vogt Kolbjörn Fagernes war trotz seiner guten Dienste beim Auffinden des Posträubers noch immer nicht befördert worden. Er hatte in vergeblichem Hoffen und Glauben schneeweiße Haare bekommen und dazu einen trägen Magen und eine pessimistische Weltanschauung, so daß er begann, in allem Geschehen nur das Böse zu suchen, und es auch fand.

      Dem Polizei-Sören war inzwischen ein männlicher Bart gewachsen, und aus dem leichtfüßigen Jüngling von ehedem wurde ein braver Familienvater in einem ordentlichen Heim. Sein Weib Karin hatte wahrlich nicht umsonst auf Trollhaugen gedient.

      Dem König aber fielen aus irgendeiner Ursache im Laufe der Zeit alle Haare auf dem Kopfe aus. Nur im Nacken und hinter den Ohren stand noch ein dünner Kranz. Die Glatze kleidete ihn gar nicht übel. Sonst ging er noch jugendlich einher.

      Als der erste Schreck nach dem Zusammenbruch überwunden war und man aus den Trümmern des stolzen Glückschiffes ein Floß zusammengeflickt hatte, auf dem man zwar nicht herrlich segeln, doch wenigstens auf dem Strome treiben und das nackte Leben bergen konnte, gewöhnte man sich auch in Mjelvik merkwürdig rasch wieder an die Entsagungen eines dürftigen Menschendaseins.

      Die Leute waren kaum besser, aber auch nicht schlimmer geworden, als sie früher schon gewesen.

      Alles ist im Grunde weise eingerichtet und nichts zu schelten — die Kleinen werden groß, die Großen alt. Die Alten welken dahin. Nur ein Narr kann sich darüber wundern.

      Es sah fast so aus, als sei nach den Umwälzungen mit der Armut ein völlig normaler Zustand an diesen Ort zurückgekehrt. Aber da kam ein Tag, und da kam ein Schiff. Und drei Persönlichkeiten stiegen ans Land. Und das war ein Abgesandter des Himmels, eine Königin der Liebeskünste und ein alter Mann, den man später Hornlöffelmeister nannte.

      Kleopatra

      Die Liebeskönigin sollte, wie sich bald zeigte, von großer Bedeutung für Mjelvik werden.

      Sie wurde zwar nicht von einem griechischen Sklaven, in orientalische Teppiche eingehüllt, ans Land getragen, sondern sie ging auf ihren eigenen schlanken Beinen über den Dampfschiffsteg. Und sie kam auch nicht aus einem Lande, das Ägypten heißt, sondern aus einer alten Hansastadt. Oline Jensen heißt sie.

      Einmal regierte sie für kürzere Zeit als unumschränkte Herrin auf Trägebö über ein ansehnliches weißes Haus und einen Mann, der ein eigenes Geschäft, ein Motorboot und einen Smoking besaß. Damals war sie eine Dame von vornehmer Herkunft und eine reiche Kaufmannsfrau mit zwei Mägden, einem Klavier und weißen Gardinen an den vielen Fenstern. Damals gab sie noch Gesellschaften und weckte im Frühlingstal Aufsehen und in ihrer Familie helle Begeisterung.

      Noch früher weckte sie auch schon Begeisterung, schon zu der Zeit, als sie die Freundin eines Studenten war, der sie „Guppen“ nannte und ihr nebenbei die Anfangsgründe der höheren Bildung beibrachte ...

      Das ist nun alles vorbei und überwunden. Es sind Oline Jensen inzwischen vielleicht ein paar Federchen ausgerupft worden. Aber irgendwelchen inneren Schaden hat sie nicht genommen. Gott bewahre — sie blüht prächtiger denn je zuvor!

      Jetzt kommt Oline Jensen also aus der Stadt Bergen dahergereist, aus jener Stadt, in der es, wie allgemein behauptet wird, mehr als dreihundert Tage im Jahre regnet und deren Straßen mit runden großen,