Im Königreich Mjelvik. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518397
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Häusern, in den Geröllhalden. Aber der Steine sind in dieser Gegend, Gott bessere es, gar zu viele. Die Obrigkeit konnte nicht unter allen herumscharren. Und es verging Tag um Tag, und sie fand die Tasche nicht und sie fand den Mörder nicht.

      Der Vogt wollte schon seinen Schreiber Daniel mit den Akten in die Stadt schicken, als Arnika Oevreseth mit dem Neuen Testament in der einen und einem weißen Taschentuch in der andern Hand auf seinem Kontor erschien und unter viel Seufzern und Tränenerguß eine seltsame Mitteilung machte.

      Arnika Oevreseth war nicht als hervorragend begabte, aber als tiefreligiöse Frau bekannt. Und nun sitzt sie also auf der äußersten Stuhlkante und sagt: „Er ist es — der Herr tröste mich!“

      Der Vogt Kolbjörn Fagernes, verdrießlich über seine große und vergebliche Mühe mit dem Postraub, schaut vom Briefe auf und fragt: „Wer soll was sein? — Siehst du denn nicht, daß ich hier sitze und schreibe, alte Frau?“

      Und weiter beachtet der Vogt diese Arnika nicht. Arnika aber sagt: „In des Herrn Namen — ich habe sie gefunden.“

      „Ja“, murmelt der Vogt, ohne den Blick zu heben. Und dann wird er wütend über die Störung und sagt auch noch: „Ja, gute Seele — scher dich nun in des Herrn Namen zum Henker ... Denn ich habe keine Zeit für dich, siehst du.“

      Ach, der Vogt war damals ein noch sehr junger Mann und erst vor kurzem in diese Gegend gekommen. Er setzte sich durch seine kräftige Sprache sogleich bei allen mächtig in Respekt.

      „Vogt, versündige dich nicht!“ ruft Arnika Oevreseth. Hei, wie ihre Lippen zucken, und wie ihr das Kinn zuckt. „Er und kein andrer ist es!“ ruft sie. „Gott stehe ihm bei! ... Und ich habe die Tasche gesehn ...“

      „Die Tasche?“ fragt der Vogt und legt die Feder weg. „Doch wohl nicht die Posttasche?“

      Arnika nickt und beginnt nun heftig zu schluchzen. Aber das, was heraus muß, kommt schließlich doch heraus. Alles kommt heraus: „Ja — aber war es die Posttasche!“ ruft sie.

      Arnika Oevreseth hat ihren eigenen leibhaftigen Sohn Haldor mit der Posttasche überrascht. Ja, und unter einem großen Stein hinter der Scheune liegt sie. Und das wäre nun allerdings eine Neuigkeit.

      Der Vogt setzt sogleich seine Amtsmütze mit den Goldschnüren und der Kokarde auf, ruft seinen Knecht herbei, und fort geht es, das Tal hinauf. Alles stimmt. Da ist der Stein. Da ist die Tasche. Aber die Tasche ist leer.

      Der Sohn Haldor liegt auf seinem Bett und schläft friedlich und ohne Gewissensbisse. Man weckt ihn, und die Obrigkeit erforscht unerbittlich seine Seele.

      Aber nein, dieser Sohn gesteht nicht. Er habe die Tasche im Walde gefunden, gibt er an. Und mehr wisse er nicht, gibt er an. „Und glaubt mir nur, Vogt, sie war schon leer!“ ruft Haldor. „Und ich habe die Tasche doch nur so mitgenommen.“

      Und als die Tasche dann überall gesucht wurde, schwieg Haldor, weil er sich plötzlich fürchtete. Haldor war vielleicht ein wenig beschränkt im Geiste und, wie es hieß, mit einem schwachen Kopf geboren. Es hieß plötzlich auch, Haldor sei allezeit träge zur Arbeit gewesen und dazu grob im Mund. Keiner wunderte sich, daß es ein Ende mit Schrecken nehmen mußte!

      „Gott sei mein Zeuge!“ ruft Haldor.

      Aber das war doch zum Lachen idiotisch. Nun wunderten sich alle Leute nur noch darüber, daß dieser Bursche so standhaft leugnen konnte, trotz Kreuzverhör und schmaler Kost und hartem Lager im Keller unter dem Vogtkontor.

      Der Vogt war doch noch so jung und schneidig, damals. Er hatte den Mörder und die Tasche erwischt. Nun wollte er absolut auch das viele Geld finden. Oh, er war scharf, der Vogt.

      Wenn Haldor Oevreseth sehr hungrig wurde, sagte er: „Ja. Da und da habe ich es vergraben, das Geld.“

      Dann gab man ihm zu essen. Aber das war doch alles nur Schwindel und führte zu nichts. Wenn man hinging, war doch nichts vergraben. Das Geld war verschwunden. Das Geld blieb verschwunden.

      Der einzige Trost war, daß man wenigstens den Mörder hatte. Der Vogt führte ihn in die Stadt.

      Haldor Oevreseth wurde seines schwachen Kopfes wegen nicht zum Tode, sondern nur zu achtundzwanzig Jahren Kerker verurteilt. Und damit war diese Sache erledigt.

      Sie wurde viel besprochen in Mjelvik. Denn soweit die Menschen zurückdenken konnten, hatte sich an diesem Strande nichts Ähnliches ereignet. Dies und die schwierige Lage des Königs und der allgemeine Hunger rüttelte die Gemüter nicht übel auf. Die Leute krümmten ihre Rücken unter der Geißel des Himmels, und viele unter ihnen begannen ihre Zunge zu zügeln, bezähmten ihr hitziges Gemüt und taten mit Seufzern und frommen Sprüchen Einkehr. Ja, sie scheuten sogar zu dieser Zeit nicht mehr den langen und beschwerlichen Weg nach dem Pfarrorte Lunda.

      Und es schien wirklich so, als nähme der Himmel ihre reumütige Buße gnädig auf und halte inne mit der Fuchtel und den unbegreiflichen Heimsuchungen.

      Ein König und ein Krämer

      Benjamin Sagensen trat ins Kontor des Königs Sigmund, blieb bescheiden bei der Tür stehn und erklärte; er sei nicht ganz abgeneigt, den Kramladen zu kaufen. Den alten Kramladen von Mjelvik!

      „Nein“, sagte der König.

      „Ja, verzeihen Sie nur, Sigmund Borsa!“ sagte Benjamin Sagensen. „Ich dachte nur so. Aber ich bin doch ein unwissender Mann. Und vielleicht war meine Frage kühn und zudringlich. Aber das wollte ich nicht.“

      Hierauf schwieg er. Und als auch der König schwieg, sagte Benjamin Sagensen beiläufig noch dieses: „Ich habe mir drüben in Amerika ein paar Schillinge erspart. Und nun wollte ich sie in ein gutes Geschäft hineinstecken und versuchen, in der Heimat vorwärtszukommen. Aber ich sehe nun wohl, daß es Ihnen nicht paßt. Und so werde ich also in des Herrn Namen weiterreisen müssen.“

      Und da steht also der König am Fenster und schaut auf den Fjord hinaus, auf dem nichts anderes zu erblicken ist als die alte Fischjacht „Solrenningen“, die in ergebener Hoffnungslosigkeit am Strande klebt und einem halbtoten Vogel gleicht. Benjamin Sagensen dreht die Mütze in beiden Händen, zögert eine Weile und geht dann. Er kommt bis zur Tür.

      „Warte ein wenig!“ ruft ihm der König nach. „Wir könnten ja noch über einiges reden ... Also den Kramladen, meinst du? ... Wieviel Geld hast du denn?“

      „Nun“, sagt Benjamin Sagensen leise, ohne sich unnötig aufzublasen. „Es ist wohl nicht gerade viel. Aber für den Anfang ... So einige kleine Tausender ...“

      „Setz dich!“ sagt der König. „Sind es Kronen? Oder ist es von dem großen amerikanischen Geld?“

      „Dollars“, sagt Benjamin Sagensen und setzt sich.

      Und der König hat inzwischen wohl feststellen können, daß der Fjord völlig leer und die ganze Gegend ohne Ereignis ist. Er wendet langsam seinen Vogelkopf zurück. Jawohl, dieser Mann da, Benjamin Sagensen, der vor einigen Jahren nach Amerika auszog und in der Heimat keine Lücke hinterließ, dieser geringe Mann mit seinem einfältigen und demütigen Wesen, der ohne Aufhebens eine große Summe nennt, preßt selbst einem Herrn, wie Sigmund Borsa, einen Teil Achtung ab.

      „Jasso! Wie lange bist du eigentlich fort gewesen, Benjamin? — Fünf Jahre? — Hem — dann hast du aber tapfer verdient.“

      Darüber sei nicht zu klagen, meint Benjamin Sagensen mit leisem Lächeln. Aber nun liegen die Verhältnisse so, daß er ganz allein steht. Er ist nur herübergekommen, seine Schwester zu besuchen, Synöve, die Frau des Müllers ... So eine Art Heimweh ...

      Nein, Benjamin Sagensen hat Mjelvik drüben, trotz Glück und Segen, niemals völlig vergessen können ... Oh, das kennen doch die meisten. Man möchte gerne die Orte, wo man als Knabe spielte, wiedersehn ...

      „Ja, ja“, nickt der König. Aber plötzlich wird er mißtrauisch und streng. „Und dann kommst du ausspekuliert auf meinen Kramladen ...“

      „Nun — ich dachte mir, ein Mann