Im Königreich Mjelvik. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518397
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Alle leben in der dunklen Tiefe des Meeres, sagt er.

      „Dumpfe Gedanken!“ ruft der Emissär, „Freßlust und Raublust und fleischliche Begehrlichkeiten — das ist euer Dasein! Eine Herde auf Abwegen!“ Und er richtet seinen Blick in die Höhe und ruft: „O wie glücklich wäre der Fisch auf dem Baum! O wie selig wäre der Molch auf der hohen weißen Wolke!“

      Ähnliches haben die Leute von Mjelvik vordem nicht vernommen. Sie werden ergriffen und erschüttert. Nun räuspern sich die Männer, und die Weiber weinen in ihre weißen Taschentücher hinein. Damit könnte es wohl genug sein. Niemals gelang es noch dem alten guten Pfarrer Helmers von Lunda, die Seelen von Mjelvik aufzurütteln. Der Emissär ruht aber noch lange nicht. Nachdem er das Eisen so schön zur Glut gebracht hat, läßt er es gleich noch ein wenig weiterglühen. Mit drohender Gebärde hebt er seine Arme und zählt laut die Schar der Teufel auf. Und da gibt es: den Sinnlichkeitsteufel, den Geizteufel, den Lügenteufel, den Luxusteufel ... eine ganze Kompanie ...

      Da rücken die Menschen näher zusammen und fürchten sich sehr.

      „Was sollen wir tun?“ fragt eine zitterige Stimme aus der Versammlung.

      „Buße!“ ruft der Emissär. „Bekennt euere Sünden und Laster!“ befiehlt er. „Bekennt sie sogleich und mit aufrichtigem Herzen und mit lauter Stimme. Reinigt euch!“

      Mürbe sind sie. Sie reinigen sich.

      Am Anfang geht das noch etwas langsam und träge vonstatten. Auch in Mjelvik sind die Menschen doch ein wenig anders, als sie gerne sein möchten. Es fällt ihnen nicht so leicht, ihr inneres Wesen zu enthüllen.

      Der junge bleiche Mithelfer Trygve mit seinem sommersprossigen Gesicht zupft Weste und Kittel zurecht und beginnt als erster. Ach, es sind ja ganz kleine, kindliche und unschuldige Sünden, die er da bekanntgibt: Wie er an diesem Morgen am Fenster stand und im geheimen Karla Nesse nachblickte, als sie unten vorbeiging. Und daß sein Herz dabei nicht ganz frei war von fleischlichem Gelüste. Und daß ihm der Schuster Jacobsen letzte Woche auf einen Zehnkronenschein zwanzig Öre zuviel herausgegeben ... Alles miteinander ganz winzig kleine Sünden.

      Nein, daraus wird noch keine blanke Seele! Keine Glasseele ohne Flecken. Das nennt der Emissär: Teufel der Verstocktheit. Und der muß vor allen andern ausgetrieben werden, mit List oder mit Gewalt. Denn wenn der Kampf gegen den Teufel geht, kommt es wahrlich nicht auf die Waffen an. Da löscht der Emissär die Lampe aus.

      Ausgezeichnet. Im Finstern geht es schon viel leichter. Da schämt man sich nicht so und wagt es, seine Blößen zu zeigen. O wie herrlich fließen jetzt die Bekenntnisse! Ein wirbelnder Strom von Bekenntnissen. Es zeigt sich bald, daß kein einziger in der Versammlung völlig fehlerfrei und fleckenlos ist. Aber jetzt könnte der Emissär doch wohl zufrieden sein.

      Nein, zum Pokker, er will das Eisen immer noch weiterglühen lassen. Er zündet die Lampe wieder an.

      Seine Blicke streifen über die Häupter der Gläubigen. Seine Blicke sind scharf und durchdringend: Dolchstöße, blutdurstig und ohne Mitleid. Er findet, was er sucht.

      Hat dort hinten die Schwester Karla Nesse alle ihre Sünden bekannt und ihre Seele völlig erleichtert? Kann sie als reingewaschenes Lamm diesen Ort verlassen und in engelsweißer Unschuld nach Hause schreiten?

      „Sprich, Schwester Karla!“

      Nein, Schwester Karla spricht nicht. Sie gibt nur einen gequälten Laut von sich, zittert und wird weich in den Knien.

      „Sprich, Schwester Karla!“

      Wirklich öffnet Karla Nesse den Mund. Aber es geht dennoch nicht. Kein verständliches Wort kommt über ihre Lippen. In unsäglicher Hilflosigkeit schlägt sie die Hände vors Gesicht und schluchzt mit gekrümmtem Rücken. Also hat man es hier mit einem ganz besonders verstockten Teufel zu tun.

      „Er muß sogleich ausgetrieben werden!“ ruft der Emissär und haut mit der Faust auf den Tisch.

      Da hilft nun alles nichts: Er muß ausgetrieben werden! Der Emissär übergibt das Kommando dem Spengler Haakon Bjarnesen. Und so nähert er sich selber Karla Nesse in tröstlicher Milde, legt väterlich den Arm um ihre Schulter und führt sie in die Kammer neben dem Lagerraum. Bevor er die Tür hinter sich schließt, befiehlt er: „Bruder Haakon, stimme einen Choral an!“

      „Einen Choral? Jawohl, Meister“, sagt Haakon, bis zum äußersten durchdrungen von seiner Pflicht.

      Schon fängt er mit seinem schwingenden Baß zu singen an. Zuerst greift er ein wenig daneben. Aber bald findet er die rechten Töne, und ein Choral braust durch die Luft, die schon ziemlich dick geworden von Menschenschweiß und Menschensünden.

      Vers um Vers wird gesungen. Es soll hier wahrlich nicht mit Tönen gespart werden. Nein, sondern es strengt sich jeder an und tut sein Bestes.

      Aber als der letzte Vers gesungen und der letzte Ton verklungen ist, tritt unvermeidliche Stille ein. Das muß aber doch ein siebenmal verfluchter Teufel sein, den der Emissär dort in der Kammer auszutreiben hat. Man hört ihn arbeiten, grassieren und fürchterlich rumoren. Die Versammlung horcht in ängstlichem Wundern.

      Der Mithelfer Haakon weiß von da ab nicht weiter. Er betrachtet die erstaunten Gesichter und schüttelt traurig und bekümmert über seinen eigenen geringen Verstand den Kopf. Jedoch, es muß hier alsbald etwas geschehen. Das steht fest.

      Also tritt Haakon an die Kammertür, klopft mit zagendem Finger und fragt: „Was befiehlst du nun weiter, Meister?“

      Der Emissär läßt ein wenig im Kampf mit dem Teufel nach und ruft keuchend: „Sing einen neuen Choral!“

      Und natürlich ist das die richtige Lösung. Eh noch der zweite Choral ganz zu Ende ist, ist des Emissärs Kampf auch zu Ende. Er kommt als Sieger aus der Kammer hervor. Hinter ihm kommt Karla Nesse hervor und braucht nun nicht mehr väterlich und tröstlich an der Schulter gestützt und geleitet zu werden.

      Karla Nesse — dieses Schaf muß sich jetzt schon von selber und allein in die Herde zurückfinden. Wie müde und langsam sie doch geht. Ihre Glieder sind ausgelöst und locker. Ihr Gesicht aber glüht, und ihre Augen glänzen feucht. Sie scheint nicht übel ergriffen, jedoch kaum unzufrieden zu sein.

      Sowie er die Kammertür öffnet, stimmt der Emissär auch schon in den Gesang ein, ohne Zögern, ohne Wanken. Seine Stimme bebt nicht im geringsten. Kräftig tönt seine Stimme, wie eine Orgel. Ein bißchen unrein vielleicht, aber unaufhaltsam.

      Karla geht an ihren Platz zurück. Aber sie singt nicht mit. Vielleicht weiß sie nicht, wo man gerade steht. Vielleicht ist sie auch von andern Tönen erfüllt.

      Nikoline, die auch ein junges, üppiges Mädchen und ihre Freundin ist, stößt Karla in die Seite und neigt sich zu ihr hinüber: „Hat er gesiegt?“ fragt Nikoline. „Hat er ihn überwunden?“

      Karla Nesse ist nicht in der Lage, darauf zu antworten, und nickt bloß, ganz schwach, und blickt staunend in den leeren Raum hinaus. Ihre Augen schillern. Hinter Karla Nesse aber sitzt Peter Strand.

      Peter Strand macht keine Märchenaugen, sondern kaut kräftig mit seinen gelben Zähnen. Die Muskeln an seinen braunen Wangen treten dick hervor. Es muß eine harte Nuß sein. Und er schaut dabei dem singenden Emissär gerade ins Gesicht, ohne die geringste Spur von Verehrung oder Ehrfurcht.

      Was mag sich dieser junge Bursche nur denken? Denkt er vielleicht, daß ein Mann wie der Laienprediger Ole Mathiessen dort hinter dem Tische steht, um sich ins Gesicht starren zu lassen? Da irrt Peter Strand. Der Laienprediger ist kaum mit dem Singen fertig, als er sich schon festen Schrittes nähert und vor Peter stehenbleibt. Was jetzt folgt, wird für Karlas Liebhaber nichts als Niederlage und Unglück.

      „Bruder Peter!“ ruft der Emissär. „Bruder Peter, bist du keusch?“

      Peter Strands Gesicht war vordem bleich. Jetzt wird es dunkel. Aber die scharfen Blicke werden stumpf. Nichts anderes als ein schwacher Sünder steht da vor den Blicken der Versammlung. Was nützt ihm nun das Restchen Mannestrotz?

      „Der Teufel