Im Königreich Mjelvik. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518397
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Sarge liegt er, denkt der Krämer mit kaltem Unbehagen. Und die dumpfe Traurigkeit, die ihn für eine Weile verlassen, kehrt abermals in seine Seele zurück.

      „Bald kommt der Winter ... und du kannst es nicht aushalten“, sagt er.

      Es scheint nun aber so, daß dieser gelbe Hornlöffelmeister sich gar keine Gedanken macht und weder den Sommer noch den Winter fürchtet. Das bemerkt der Krämer-Benjamin mit Staunen und denkt wieder bei sich selber: Dieser Mann ist vielleicht glücklicher als ich ... Er kennt keine Angst. Vielleicht friert er nicht einmal in seinem miserablen Bett ... Aber warum mag ihm wohl der Bart ausgegangen sein? Er ist ja so glatt und weich am Kinn wie ein Frauenzimmer ...

      Der Hornlöffelmeister kriecht, völlig angekleidet, mit Kittel und dicken Strümpfen aus dem Bett, schlüpft in die Holzschuhe, und damit steht er fertig für den Tag gerüstet da. Er sagt: „Also der Winter kommt? — Laß ihn nur kommen ...“

      Herrgott, wie kann dieser Mensch doch sorglos dahinleben! Ein Krämer aber muß sich stetsfort plagen mit Zahlen und Rechnen und beim Wiegen ein wenig mit dem Finger und kleinen Kunststößen nachhelfen und das Maß nicht ganz füllen, und auf so manches andere achten, um im Leben vorwärtszukommen. Ein reicher Krämer spült sogar zuweilen seinen Mund mit starkem Salzwasser, um diese kleinen heimtückischen Tierchen zu töten, die stets lauern und es auf das Leben wohlhabender Menschen besonders abgesehen haben. Der Hornlöffelmeister gurgelt nicht und läßt seine Zähne gelb und morsch werden. Er fürchtet weder das Leben noch den Tod.

      Jetzt aber rafft sich der Krämer-Benjamin auf und kommt auf den Zweck seines Besuchs. „Das geht niemals an“, sagt er in bestimmtem Tone. „Du wirst in deiner Kiste erfrieren und verderben. Sieh, ich habe dir eine Rolle dicke Teerpappe mitgebracht und Stifte ... Trink jetzt zuerst deinen Kaffee, dann werde ich dir zeigen, wie das gemacht werden soll.“

      Wie ihm befohlen, trinkt der Hornlöffelmeister den Kaffee und tritt dann mit dem Krämer vor die Tür. Die Menschen haben allen Widerstand in diesem Manne gebrochen und ihn gelb und gefügig gemacht. Er nagelt Teerpappe auf die Bretter. Er macht sich keine Gedanken und überläßt andern die Sorgen.

      „Und jetzt müssen noch dicke Leisten her“, erklärt der Krämer-Benjamin. „Und auf die Leisten noch einmal Pappe. Und obendrauf Bretter.“

      „Ja“, sagt der Hornlöffelmeister.

      „Aber Bretter und Leisten, die hab’ ich nicht.“

      „Nein.“

      „Aber es muß sich auch dafür Rat finden.

      „Ja.“

      Der Hornlöffelmeister redet nicht viel und verschwendet keine Worte. Es bleibt aber rührend, mit welcher Geduld der Krämer sich dieser Hütte annimmt. Er betrachtet sie von allen Seiten. Dann geht er nach Hause und schreibt einen kleinen Brief.

      „Da!“ sagt er zu Salomonsen, seinem Gehilfen. „Trag das nach Trollhaugen. Aber du sollst es dem König selber abgeben.“

      Und der König läßt sich auch diesmal nicht lumpen. Der König darf niemals der Letzte sein, wenn es ein gutes Werk zu vollbringen gibt. Schon am andern Tage hält ein Karren vor der Hütte am Waldrand, und Leisten und Bretter werden abgeladen. Jetzt ist alles da. Und alles ist im Überflusse da.

      Der Krämer-Benjamin erscheint abermals, wirft das Wams und die Weste mit den vielen blanken Knöpfen von sich, nimmt Maß und schwingt den Hammer. Frohgemut sagt er: „So wird es drüben gemacht! Einer soll dem andern helfen.“

      Er fängt an zu schwitzen und vergißt im Eifer sich selber und den eigenen Kummer. Am Abend sind die Verkleidungsbretter festgenagelt. Und in dieser Nacht schläft der Krämer viele Stunden lang. Am Morgen erwacht er, gestärkt an Seele und Leib. Wie neugeboren fühlt er sich. So lohnt sich Milde und Guttätigkeit. Wenn die Reichen sie mehr übten, wäre ihnen selber wohler.

      Aber der Emissär hat eine schlimme Nacht gehabt, mit blutigen Stierkämpfen und Märtyrerverbrennungen und Pechfackelrauch und solchen Sachen. Verdrossen und mürrisch sitzt er am Frühstückstisch, fletscht die Zähne nach dem Roquefortkäse und hat für die fürsorgliche Frau Magnhild nicht das übliche schöne Wort. Nein, der Emissär ist weder erquickt noch neugeboren. Es geht abwärts mit ihm.

      Und wenn es immer so weitergeht, muß es bald mit ihm am düsteren Ende angelangt sein. Das aber wünscht der Emissär trotz aller Verdienste und der sicheren Aussicht auf jenseitige Belohnung durchaus nicht. Im Gegenteil bestrebt er sich, den Weg durch das irdische Jammerund Lastertal noch so viel, als in seiner Macht liegt, in die Länge zu dehnen.

      Nach dem Frühstück verläßt er das Haus, wie alle Tage, mit der Ledertasche, in der er erbauliche Schriften führt. Er sucht aber jetzt nicht die bedürftigen Frauen auf. O nein, heute hat dieser Laienprädikant nicht Sinn für weibliche Seelen, so durchdrungen wie er ist von dem Mangel seines eigenen Leibes. Müden Ganges steuert er zur Ortschaft hinaus, biegt beim Birkenwalde ostwärts und nähert sich einem großen weißen Haus. Und das ist der Doktorsgaard. Schüchtern und fragend klopft er an die Tür. Er ist sich selber nicht mehr gleich. Böse Ahnungen machen ihn zaghaft.

      Ja, der Doktor ist zu Hause. Der Doktor hat doch nicht viel Arbeit in diesem Distrikt. Wenn der Tabak und die Literatur und ein gewisser Schwächezustand unter der trockengelegten Bevölkerung nicht wären, wüßte der Doktor manchen lieben Tag nicht, was er treiben sollte. Auch heute sitzt er in seinem Lehnstuhl, die Pfeife in der einen Hand, ein Buch in der andern, und wartet, bis einer in seine Stube tritt und mit Verschämtheit ein kleines Rezept fordert.

      „Guten Tag.“ Und vor dem Distriktsarzt Kringlen steht der Mann der Austreibungen, der starke Teufelsbändiger, der Mann der Donnerworte. Seine Brauen sind über der Nase zusammengewachsen. So finster sind sie. Fürchterliche Brauen, die vor eiskalter Entschlossenheit starren. Aber in diesem Augenblick zucken sie. O, wie der Emissär sich fürchtet! Der Mann der gewaltigen Geräusche. Der Mann mit den Funkenblicken. Sogar seine Knie beben, und es fällt ihm schwer, dem Doktor seine Krankheit zu schildern. Und als er sich gar hinlegen und vor diesen kühlen, ruhigen Augen seinen Leib entblößen und ausbreiten muß, wird ihm vor Aufregung fast übel. Dem Emissär ist ungefähr zumute wie einem schwarzen Sünder vor dem Richterstuhl.

      Nach wenigen Minuten zeigte es sich hingegen, daß all die Angst und der Aufwand von Gedanken und kläglichen Möglichkeiten für nichts waren. Doktor Kringlen wäscht seine Hände mit wohlriechender Seife, blickt über seine Brille hinweg: Nichts als Neurasthenie!

      „Ein bißchen Nervosität“, sagt der Doktor mit blondem Lächeln. „Ein bißchen überernährt. Vielleicht ein wenig zu vollblütig ... Es ist nichts“, sagt er. Und er öffnet in der Apotheke ein Glas. Und dann öffnet er noch ein Glas und mischt im Mörser ein Pulver.

      „Was ist das?“ fragt der Emissär mit Anteilnahme.

      „Nichts weiter ... Natrium bicarbonicum und Magnesia. Das wird Ihnen gegen die Verschleimung helfen.“

      „Nein“, entgegnet der Emissär. „Pulver? Nein, ich kann keine Pulver einnehmen!“

      Doktor Kringlen läßt den Mörser sinken und blickt auf.

      „Nein. Unmöglich. Ich kann Pulver nicht hinunterschlucken. Haben Sie nicht etwas Flüssiges? Etwas Natürliches?“

      Ja. Und nun lächelt dieser Doktor wieder sein kleines hübsches Lächeln. „Doch“, sagt er. „Aber dann müßte ich zuerst ein Rezept schreiben.“

      „Schreiben Sie in Gottes Namen ein Rezept, Doktor! ... Als Medizin ist es keine Sünde ...“

      Doktor Kringlen schreibt das Rezept. Der Emissär öffnet seine braune Ledertasche. Jetzt liegt neben der erbaulichen Literatur eine Flasche mit kaltem, glattem Schlangenleib.

      Leichten Herzens verläßt der Emissär den Doktorgaard. Gesetz und Gewissen sind respektiert und alles in Ordnung. In der Tasche ist nun ein Stoff, der die zähen Übel zersprengen wird. Ein Mann geht dankbaren Herzens.

      Im Garten stößt er mit einer langen und bleichen Persönlichkeit zusammen. Er erkennt darin seinen jungen