Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lise Gast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711509425
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wir schon hörten, als wir auf der Höhe angekommen waren. Auch andere aus dem Dorf kamen, nicht viele, aber immerhin eine ganze Menge mit größeren Kindern. Die Kleinen würden wahrscheinlich in die Nachmittagsvorstellung gehen.

      Rupert nahm gute Plätze, ziemlich vorn, dritte Reihe. Ich hatte bis dahin im Zirkus immer sehr weit hinten gesessen, so fünfzehnte Reihe oder noch weiter oben, aber so viele Reihen gab es hier gar nicht. Wir setzten uns und warteten, und dann kam die erste Nummer, der Clown.

      Die Clowns kommen sonst immer später, wenn umgeräumt wird, aber hier kam er gleich, mit weißbemaltem Gesicht und einem Riesenmund und Hosen, die immerzu runterrutschten. Wir mußten von Anfang an lachen. Auf dem Kopf trug er ein winziges Hütchen. Er stolperte auf dem Manegenrand entlang und fragte immerzu: „Wo is’n hier der Eingang?“

      Seine Hände steckten in riesengroßen weißen Handschuhen, und wenn er sie bewegte, sah das sehr komisch aus. Gleich darauf aber vergaßen wir, ihn anzusehen, denn die Musik wurde rasant, und vier Kinder kamen auf vier Ponys hereingeprescht, alle gleich angezogen. Sie trugen gegürtete Kittel und Pelzmützen und Kosakenstiefel, und sie sausten in der Runde herum, daß man die Beine der Pferdchen gar nicht sehen konnte. Erst saßen sie richtig auf den Rücken ihrer kleinen Pferde, dann zogen sie die Füße herauf und standen auf und hielten sich an einer ganz dünnen Leine, die vorn am Sattel festgemacht war. Aber es ist bestimmt trotzdem schwer, bei diesem Tempo zu stehen. Sie hoben gar einen Arm ganz hoch in die Höhe, alles im Galopp. Der kleinste Reiter – ob Mädchen oder Junge, konnte man nicht erkennen – war sicherlich erst fünf. Dann legten sie sich quer über die Pferderücken und ließen den Oberkörper ganz weit herunterhängen, während sie ein Bein hochspreizten. Mit dem andern hingen sie an einer Schlinge. Diese Haltung heißt Kosakenhang. Wir saßen mit offenen Mündern da und dachten an den Manderl ...

      Als die kleinen Kosaken hinausgesaust waren, kam der Zirkusdirektor herein und führte den Bären mit sich. Der Direktor trug einen Frack und einen Zylinder. Der Bär watschelte hinter ihm her.

      „Mein Bär versteht jedes Wort“, erklärte er, „passen Sie auf, meine hochverehrten Herrschaften. Also Mischka, sag, wo sind wir hier? In – Hoooooooo-“, er zog das Wort in die Länge, und der Bär richtete sich auf die Hinterbeine auf und hob die vorderen, so hoch es ging –„ -henstaufen“, vollendete sein Herr, und Rupert klatschte wie verrückt, wir Mädchen mit. Da begannen auch die anderen Zuschauer zu klatschen.

      „Wir müssen klatschen, das gehört dazu“, sagte Rupert halblaut zu uns, „die armen Kerle arbeiten für den Beifall. Das, was sie an Eintrittskarten verdienen, reicht wahrscheinlich knapp für das Essen und für die Ernährung der Tiere. Was haben sie sonst vom Leben.“

      Ich dachte, sie haben allerhand davon. Sie können jeden Tag reiten, sie haben süße Ponys und den großen Schimmel und den Bären und ...

      „Jetzt werden Sie staunen, wie geschickt mein Bär ist“, fuhr der Direktor fort. „Komm, Mischka, jetzt wird geradelt.“

      Ein Junge hatte ein kleines Fahrrad hereingeschoben, nicht winzig, aber auch nicht normal hoch, auf das stieg der Bär jetzt umständlich, und seltsam würdig packte er die Lenkstange mit beiden Tatzen und setzte wahrhaftig auch die Hintertatzen auf die Pedale. Solange hielt der Direktor das Fahrrad, dann gab er ihm einen kleinen Stoß, der Bär fing an zu treten, und der Direktor ließ ihn los. Der Bär radelte! Es war kein Trick dabei, der Bär konnte wirklich radeln. Wir klatschten solange, bis uns die Hände weh taten.

      „Bären sind sehr schwer zu zähmen“, erklärte Rupert halblaut, „sie sind gefährlicher als Löwen. Wenn ein Löwe böse wird und den Dompteur anfallen will, merkt dieser das am Gesicht und am Fauchen. Bei Bären sieht man es nicht, ein Bär sieht immer gemütlich aus. Am gefährlichsten sind Eisbären.“

      „Und dieser Bär hier ist auch gefährlich?“ flüsterte Penny, sich dicht an Rupert anlehnend. Der hob ein wenig die Achseln.

      „Ich weiß es nicht. Er sieht eigentlich alt und müde aus. Aber Bären können einen Menschen, der keine Waffe bei sich hat, wohl töten. Dann muß man sich ...“

      „Ich weiß, ich weiß!“ eiferte Penny, „man muß sich totstellen. Tote beißen sie nicht.“

      „So heißt es immer. Aber nein, jetzt wollen wir lieber zugucken, statt zu schwätzen. Paßt auf, jetzt ...“

      Jetzt kam der Schimmel. Wie immer, wenn ich Pferde sehe, wird mir ganz heiß in der Brust. Pferde sind für mich etwas anderes, bedeuten mir mehr als andere Tiere. Der Schimmel kam im Schritt herein, dort, wo man aus der Manege ein Stück herausheben kann, das man dann wieder hinstellt. Auf dem Pferd saß Laila. Sie hatte die Haare offen und trug einen silbernen Anzug, um den Hals etwas Flitter, sonst glatt, lange Ärmel, lange Hose, und darunter weiße Stiefelchen. Der Schimmel war wunderbar geputzt, er blinkte und strahlte, trug weder Sattel noch Zügel. Laila hielt in der linken Hand eine silberne Gerte.

      Wir hielten den Atem an. Erst ließ sie den Schimmel in Schritt rundum gehen, er hob die Beine und setzte die Füße wunderbar. Dann ließ sie ihn antraben.

      Wir drei, Rupert, Penny und ich, verstehen ja wirklich vom Reiten nicht viel. Rupert noch am meisten, wir vielleicht ein ganz, ganz kleines bißchen. Aber daß hier etwas ganz Besonderes vorgeführt wurde, das verstanden wir alle drei.

      Während des Reitens wurde der Schimmel immer schöner. Wir haben ihn ja nur angebunden stehen sehen, da hatte er eine Riesenkruppe und Riesenhufe und sah gutmütig und lieb aus. Jetzt – aber –, ja, er wurde immer schöner, er wurde königlich, das ist nicht übertrieben. Sein Hals begann sich zu biegen, als ginge er am Zügel, die Ohren hatte er nach vorn gestellt, und er setzte die Hufe genau nach der Musik. Ich atmete nicht, und als ich einmal Penny ganz kurz mit einem Blick streifte, sah ich, daß sie Tränen in den Augen hatte. Ich sah schnell wieder weg und auf das Pferd. Es war wirklich, so komisch das klingt, zum Weinen schön.

      Was Laila uns auf ihrem Pferd vorritt, weiß ich gar nicht mehr. Es waren Wechselschritte und Traben auf der Stelle und einmal schräg durch die Manege im Trab, und zuletzt ließ sie ihn steigen, kerzengerade in die Höhe, mit an die Brust gezogenen Vorderbeinen. Und noch vieles, vieles andere vorher.

      Als sie sich dann still verbeugte und sich der Schimmel neben ihr auf das eine Knie niederließ, haben wir geklatscht, was wir nur konnten, immerzu, immer weiter und weiter. Wir klatschten und klatschten, und dann fing Rupert an zu trampeln, wie es die Studenten machen, wenn sie ihrem Professor für eine besonders gute Vorlesung danken wollen. Und da trampelten alle Zuschauer mit. Es waren, wie gesagt, nicht allzu viele, nicht etwa das ganze Dorf. Das verbitterte mich – ein Zirkus muß doch rappelvoll sein, er muß doch verdienen!

      „Warum sind nicht alle Plätze besetzt, das ist doch zu blöd“, sagte ich zu Rupert, als Laila mit dem Schimmel endlich doch hinausgegangen war, obwohl auch da noch geklatscht wurde, „so was sieht man doch nicht alle Tage! Ohne Sattel und Zügel! So was Großartiges!“

      „Ach, Musch. Wahrscheinlich gibt’s heut was im Fernsehen, was die Leute nicht verpassen wollen, irgendein Fußballspiel ...“

      „Als ob ein Fußballspiel schöner sein könnte als solch ein Reiten!“

      „Der Geschmack ist halt verschieden. Seit es Fernsehen gibt, sind die Zirkusse am Absterben“, sagte Rupert leise und betrübt. „Vielleicht ...“– aber da hatten die Zirkusleute ihr Seil gerade gespannt, und eins der kleineren Mädchen kletterte empor, und wir mußten zusehen und konnten nichts anderes mehr denken.

      „Ohne Netz!“ sagte Rupert noch leise, dann hielten wir den Atem an. Die Kleine lief über das Seil, als sei es ein breites Band, sie drehte und wendete sich, knickste, wenn sie auf dem Podest angekommen war, nach allen Seiten und bedankte sich höflich für den Beifall.

      Nachher kam ihr ein Junge auf dem Seil entgegen, wahrscheinlich ihr Bruder, und sie begegneten sich, gingen dann rückwärts, und als sie das zweite Mal aufeinander zugingen, trugen sie beide eine Stange in der Hand, die sie waagrecht hielten.

      „Wenigstens das“, seufzte Rupert, „das sind Balancierstangen, die haben an jedem Ende Blei. Daran kann man sich halten.“