Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lise Gast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711509425
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sie von Natur aus alles in einem Höllentempo macht, und ich hinterher. Dabei schielten wir immer zu Rupert hinüber. Ließ er den Wagen wirklich nur rollen, oder gab er heimlich Gas?

      Nein, Rupert machte keinen Schmu. Wir waren eher unten, dort, wo ein winziges Häuschen steht und sich stolz Bahnhof nennt, Bahnhof für ein Bähnle, das dort ein paarmal am Tage durch die Gegend schnauft. Wir versuchten, zu Atem zu kommen, und dann entdeckte Penny, daß die Bäume an der Straße Pflaumenbäume waren. Wir klaubten auf, was unten lag, und dann schüttelten wir an den Ästen, damit noch mehr herunterkam. Die Pflaumen waren groß und weich, und wenn man sie aufbrach, fiel der Kern aus dem goldenen Fleisch heraus, einfach köstlich.

      Penny hatte ein Halstuch um, blau mit weißen Punkten, sie knüpft sich mit Vorliebe bunte Tücher um den Hals. Das machte sie jetzt los, legte es auf die Erde und sammelte die schönsten Pflaumen darauf für Rupert. Ich half dann auch, und als er kam, konnten wir ihm ein zweites Frühstück überreichen, das ihm behagte.

      „Ihr seid ja furchtbar schnell gerannt“, sagte er. Ich glaube aber, er hat die ganze Zeit auf der Bremse gestanden, um uns gewinnen zu lassen. So ist Rupert.

      Wir kamen dann an dem Haus vorbei, in dem die Familie mit dem Krokodil wohnt. Wieder guckten die beiden zottigen Hunde über das Balkongitter und sahen aus wie ausgestopft, aber wir hielten nicht an. Ich war froh darüber. Die Geschichte, wie das Aquarium kippte und Penny das Untier erwischte und dieses sich in ihren Arm verbiß, wurde wieder schaurig lebendig in mir und ich dachte daran, wie leicht Penny damals an der Blutvergiftung, die zu einer allgemeinen Skepsis wurde, hätte sterben können. Wir fuhren also vorbei, schweigend, und dachten alle drei das gleiche. Als wir das Dorf hinter uns hatten, atmeten wir auf. Und nun ging es bergab ins Remstal.

      Die Forstmeisterei liegt, wie überall, außerhalb des Ortes, der kein Dorf, sondern eine kleine Stadt ist, und ist von einem Garten umgeben, der einen hohen Zaun hat. Gleich dahinter geht es bergauf zu Wiesen und Feldern, und dahinter fängt der Wald an.

      Die Forstmeisterin und ihre Tochter standen schon an der Haustür und winkten uns zu, ehe Rupert hielt, und begrüßten uns voller Freude.

      „Wir haben nämlich gehört, daß ihr mal ganz alleine eine Herde Kamele betreut habt, als ihr in Hohenstaufen wart, und junge Löwen und Tiger, es stand ein Artikel darüber in der Zeitung, den haben wir aufgehoben“, erzählte Ulli uns gleich, und wir mußten furchtbar lachen. Was alles in der Zeitung steht! Die Herde Kamele bestand aus einem einzigen Lama, das wir allerdings in unsere Obhut genommen hatten – und die jungen Löwen und Tiger waren Siamkatzen.

      „Ganz egal, Betreuung ist Betreuung“, lachte Ulli, und die Forstmeisterin sagte: „Wir sind wirklich sehr froh, daß ihr kommt, denn wir möchten sehr gern zu dieser Taufe fahren. Es ist eine Zwillingstaufe, und so etwas erlebt man ja nicht alle Tage. Ulli hat Ferien und will gern mit, sie darf sogar Pate sein.“ Ulli ist vielleicht neunzehn und macht nächstes Jahr Abitur. Sie zog uns gleich an der Hand mit sich in den Garten, wo der Hundezwinger steht.

      Er ist mit einem Gitter umgeben, und darin sind zwei Hütten, eine für den Hund und eine für das Reh. Der Hund, halbgroß, braun, mit Wuschelfell, ein deutscher Wachtel, wie Ulli erklärte, guckte auf, als wir kamen, rührte sich aber sonst nicht, denn das Reh lag an ihn angekuschelt und schien noch geschlafen zu haben. Jetzt aber sprang es auf, und das erste Mal im Leben sahen wir ein Reh ganz von nahem.

      Gott hat viele schöne Tiere erschaffen. Die schönsten sind für mich die Pferde, aber dafür kann ich nichts, die zweitschönsten jedoch, das muß ich wirklich sagen, sind die Rehe. So etwas Zierliches, so etwas Graziöses, dazu die lackschwarze Nase an dem feinen Köpfchen – ich konnte mich nicht satt sehen. Und dann öffnete Frau Engel die Tür des Zwingers, und im Nu war das Reh aufgesprungen und kam heraus, schnupperte an Ullis Hand – wir beide standen bocksteif und still, um es nicht zu erschrecken – und setzte in langen Sprüngen in den Garten hinein. Nun stand auch der Hund auf, schüttelte sich, kam zu uns heran, beroch uns – wir riechen ja nach Hund, nach Boss und Bella – und lief dann dem Reh nach.

      „Ja, die beiden lieben sich“, sagte die Forstmeisterin, „die gehören zusammen. Und wenn der Nimrod euch mag, dann wird es auch die Susi tun.“

      „Susi? Sie heißt Susi?“ fragten wir, und Frau Engel lachte.

      „Alle unsere kleinen Kitzen haben Susi geheißen, das ist merkwürdig. Dies hier ist schon Susi die Fünfte. Es ruft sich so gut, und es ist auch ein zärtlicher Name. Während unsere Hunde immer anders heißen, schon deshalb, weil man ja öfters mehrere auf einmal hat.“

      Wir gingen dann ins Haus, und Ulli richtete die Flasche für Susi. Es kamen Vollmilch und Milupa hinein; sie zeigte uns genau, wieviel. Penny schrieb alles mit Kreide auf eine Wandtafel, die dort in der Küche hängt, damit man notieren kann, was man nicht vergessen darf. Da standen die komischsten Dinge. Und dann ging Ulli mit uns in den Garten und lockte Susi, und die kam angesprungen – Penny und ich hatten uns etwas zurückgestellt, damit sie vor uns keine Angst hatte – und fing sogleich an, am Schnuller der Flasche zu saugen.

      „Jetzt bekommt sie nur noch drei Flaschen am Tag“, erklärte Ulli, „früher mußte sie alle zwei Stunden eine bekommen, auch nachts. Na, ihr könnt euch denken! Da ist man manchmal schrecklich müde, aber man muß durchhalten. Bei der Mutter trinkt sie ja auch alle zwei Stunden, Tag und Nacht.“

      Wir setzten uns dann auf den Gartenplatz hinter dem Haus und bekamen Saft und Kekse, und die Forstmeisterin erzählte uns von ihren früheren Susis, aber auch davon, daß sie einmal ein Rehkitz und einen Wilderpel, also eine männliche Wildente, zusammen aufgezogen haben, die immer beieinander schliefen und sich gegenseitig abschleckten, so liebten sie einander. Als der Erpel dann fliegen lernte, flog er manchmal aus dem Garten heraus, und sie dachte jedesmal: Wer weiß, ob wir ihn jemals wiedersehen. Aber jeden Abend, wenn sie stand und zum Himmel hinaufguckte, sah sie ihn bald weite Kreise über sich ziehen, weiter heruntergehen, und dann setzte er zum Sturzflug an und landete im Garten, fast genau neben dem Reh. Das war ein Wiedersehen und eine Freude! So eine nette Tierfreundschaft gibt es sicherlich nur ganz selten.

      Dann hatten es Ulli und ihre Mutter aber eilig wegzukommen. Ulli zog sich schnell um, und Frau Engel zeigte uns noch alles, was wir wissen mußten, den Kühlschrank – er war voller Herrlichkeiten gepackt, wie wir schmunzelnd feststellten – und auch die Stube, in der wir schlafen sollten. Dann gab sie uns den Hausschlüssel und verriet uns auch noch die Stelle, wo ein zweiter Schlüssel versteckt war: nämlich im Garten unter einem Blumentopf. Wenn einer mal den Schlüssel nicht findet oder die Tür zuwirft, während sich der Schlüssel in der Tasche einer anderen Hose befindet, die im Haus hängt, kann man also doch noch herein.

      „Legt ihn dann aber sofort wieder dorthin“, riet sie uns, „meist denkt man, das hat Zeit, doch solche Unfälle passieren oft ganz schnell hintereinander. Legt man ihn nicht sofort wieder dorthin, dann vergißt man es, und dann ist man verloren, wenn nicht zufällig ein Fenster zu ebener Erde aufsteht.“

      „Stellt euch vor, was mir mal passiert ist“, erzählte Rupert jetzt. „Als Student kriegt man ja in den Universitätsstädten oft kein Zimmer. Da sucht man sich eins in der Nähe auf irgendeinem Dorf und fährt halt mit dem Fahrrad oder einem Mofa, so man sich eins leisten kann, zur Vorlesung, wenn es keine Busverbindung gibt. Die Zimmer auf dem Dorf sind meist auch billiger.

      Ich hatte mal eins in der Nähe von Marburg gefunden, in einem Ort, den meine liebe Familie immer Kleinkleckersdorf nennt. Er heißt aber nicht so, immerhin ähnlich. Dort fand ich also eine hübsche kleine Bleibe, nahm sie und wollte mich nun auch anmelden, wie sich das gehört. Also ging ich aufs Rathaus. Das war aber zu, obwohl es Vormittag war. An der Tür war mit einer Reißzwecke ein Zettel befestigt, und wißt ihr, was darauf stand? ‚Die Suppe steht auf dem Herd, der Schlüssel liegt, Du weißt schon, wo. Vater.‘ Ist das nicht einmalig?“

      „Immer passieren dir so komische Sachen“, sagte Penny bewundernd, „das muß aber ein goldiger Vater sein, der die Suppe kocht und warm stellt. Ich hätte gewartet, bis derjenige kam, dem der Zettel galt. Oder diejenige.“

      „Du wirst lachen, das tat ich auch. Und es war eine Sie. Und sie war – oder vielmehr ist –, aber