Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lise Gast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711509425
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das diese Hütte hatte.

      Wir fanden gerade das sehr schön. Es lag vielleicht fünfzig Schritte hinter der Hütte im Wald ziemlich versteckt in dichtem Gebüsch, und es hatte keine Tür. Ob es nie eine gehabt hatte oder ob sie irgendwann jemand stahl, weiß ich nicht. Jedenfalls gab es eine Vorrichtung, die bewirkte, daß keiner kam, wenn man gerade auf dem Thron hockte, denn das hat niemand gern, auch wenn man im ganzen Leben nicht so ‚foin‘ ist wie diese Dame. Man mußte an einer seitlich angebrachten Schnur ziehen, und da stieg über dem Gebüsch ein Wimpel auf, der bedeutete: besetzt. War man dann fertig und ging, so machte man die Schnur wieder los, und der Wimpel verschwand. Dann konnte der nächste kommen.

      Wir hatten das immer sehr lustig gefunden, aber die Dame mokierte sich darüber und fand, es müßte auch im Haus ein Klo geben. Ich studierte um diese Zeit gerade in München, und dort gibt es, gleich hinter dem Deutschen Museum, einen Laden, darin kann man lauter komische und verrückte Dinge kaufen: Tinte, die erst riesengroße Flecke macht, so daß die Hausfrau erschrickt, und dann wieder ganz verschwindet. Nasen und Ohren aus Plastik. Weingläser, in denen eine rote Flüssigkeit ist, aber wenn man trinken will, kommt nichts, weil das Glas doppelt ist, ohne daß man es sieht. Und Zuckerstückchen, aus denen, wenn sie sich im Kaffee auflösen, Maden herauskommen oder Spinnen oder Fliegen, die dann in der Kaffeetasse schwimmen. Na, lauter solches Zeug. Dort hatte ich mir eine Schlangenfamilie aus Gummi gekauft.

      Sie sahen natürlich aus wie Kreuzottern, grau, mit Streifen auf dem Rükken, wie Musch sie beschrieben hat. Zwei größere und ein paar kleine. Man konnte sie verbiegen, sie um sich selbst ringeln, und wenn man sie dann hinlegte, bogen sie sich mehr oder weniger langsam zurück, und das sah aus, als wären sie lebendig und bewegten sich. Die hatte ich mit auf der Hütte, und als die Dame wieder über das Klo schimpfte, kam mir eine Idee. Ich verbündete mich mit dem Hüttenwirt, der sofort einverstanden war.

      Aus irgendwelchen Beständen brachte er ein Brett zum Vorschein, das so ein großes Loch hatte, wie man es bei Plumpsklos gewöhnt ist. Das montierte er in einer sehr schmalen Kammer an der hinteren Wand so an, daß man glauben konnte, es wäre ein richtiger Klositz. Dann hängten wir noch eine Papierrolle an die Seite, und die Tür bekam von innen einen Riegel, so daß man sie versperren konnte. Jetzt aber kam die Hauptsache: Unter das ausgesägte Loch stellten wir einen runden Korb, in den kam Torfmull. Und dort hinein legte ich meine Schlangen, den runden Deckel drüber.

      Nun bewegten die sich ja nur, wenn man sie kurz vorher verdrehte. Ich lauerte also am anderen Morgen, bis die Dame erschien. Der Hüttenwirt trat zu ihr und sagte ihr halblaut und mit geheimnisvoll freundlicher Miene, sie brauchte nun nicht mehr in das Naturklo zu wandern, sondern für sie gäbe es ein besonderes, gerade erst gebaut. Sie dürfte es aber niemandem verraten, alle anderen Gäste müßten weiterhin wandern. Sie war sehr gerührt und bedankte sich, und ich lauerte nun mit meiner Schlangenfamilie. Nach dem Frühstück, ehe der große Wanderaufbruch kam, würde sie höchstwahrscheinlich ihre Pilgerfahrt antreten, so kombinierte ich, rollte meine Schlangen ein und legte sie in den Torfmullkorb, rannte hinaus und harrte der Dinge, die da kommen würden.

      Und sie kamen. Das heißt, sie, die Dame, kam. Ich sah sie, hinter einem Schrank hervorlugend, herankommen, die Tür öffnen, den Riegel besichtigen und dann in die Kammer hineingehen. Und dann holte ich schnell meine Freunde, damit sie auch etwas Lustiges erleben konnten.

      Es klappte wundervoll.

      Kaum waren wir alle im Flur versammelt, da ertönte ein fürchterlicher Schrei, das heißt nicht einer, sondern einer nach dem anderen. Man hörte den hölzernen Deckel poltern, und dann riß jemand an der Tür, als wollte er sie aus dem Rahmen wuchten. Die Dame hatte vergessen, daß sie mit dem stabilen Riegel, über den sie sich erst gefreut hatte, selbst zugesperrt hatte, und riß und riß und schrie dabei ... es war zum Schreien.

      ‚Was ist denn los? Was ist Ihnen denn passiert?‘ rief schließlich einer von uns. ‚Wieso können Sie denn nicht raus?‘

      Doch dann besann sie sich schließlich und machte den Haken auf, und dann rannte und rannte sie, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her.

      Später hat sie sich dann dem Hüttenwirt anvertraut, was für eine schaurige Geschichte sie erlebt und in welcher Lebensgefahr sie geschwebt habe, und er hatte die größten Schwierigkeiten, nicht herauszuplatzen. Schlangen, ja, die bevorzugten geschützte Stellen, wo sie mit ihrer Brut hausten, und es wäre schon mehrfach vorgekommen, daß man sie im Heu oder Torfmull fände.

      Das WC draußen – er sagte WC auf die ‚foinste‘ Weise – wäre hingegen von Schlangen noch nie als Nest gebraucht worden. Dies sei unter anderm der Grund, daß er dieses Häuschen im Gebüsch gebaut habe.“

      „Und die Dame?“ fragte ich.

      „Die ist bald abgereist und nie wieder erschienen, sie geht jetzt wohl in teurere Hotels“, sagte Rupert, „da paßt sie auch besser hin. Und ...“

      „Hast du die Schlangen noch?“ fragte Penny mit funkelnden Augen. „Da könnten wir doch ...“

      „... sie Onkel Albrecht oder Tante Trullala unterjubeln? Du bist ein Gemütsmensch, ein Goldherzchen. Nein, ich habe sie nicht mehr“, sagte Rupert, „ich habe sie dem Hüttenwirt geschenkt, falls er wieder jemanden da hat, der nicht gern ins Gebüsch geht. Aber wenn ich wieder in München bin, bring’ ich euch aus diesem Geschäft was mit. Einverstanden?“

      „O ja! Aber noch besser wäre, du nähmst uns mit nach München in das Geschäft, denn sicherlich gibt es dort noch viel mehr Lustiges, was du noch gar nicht gesehen hast, und jeder Mensch hat doch einen anderen Geschmack“, meinte ich.

      „Ich mit euch in München, das wäre was“, sagte Rupert, „und dann auf die Wies’n. Die Oktoberwiese, die bekanntlich im September stattfindet. Backhendln essen und Geisterbahn fahren. Und dann gibt es dort einen Turm, da muß man sich oben auf einen Fußabtreter setzen und fährt dann wie in einem hohlen Korkenzieher runter, immer rundum, und schnell! Das macht Spaß! Manche Leute können hinterher überhaupt nicht mehr gehen, sie schwanken und wackeln wie Betrunkene – es gibt übrigens auch richtige Betrunkene dort, die sind weniger schön, aber auch oft sehr komisch –, und Kettenkarussells gibt es und die Raketenreise auf den Mond.“

      „Ach was, jetzt haben wir einen Zirkus hier, da brauchen wir gar nicht nach München“, erinnerte sich Penny wieder. „Kommt schnell, wir müssen hin, vielleicht können wir helfen und kriegen dafür Freikarten!“

      Wir waren fertig und warfen Gribbel und Hacke und Körbe auf die Karre; die Kartoffeln würde Onkel Albrecht später mit einem Gespann holen. Nur für eine Mahlzeit nahmen wir neue Kartoffeln mit, einen Henkelkorb voll, denn heute sollte es frische Pellkartoffeln mit Butter geben, das allerschönste Essen, das der Herbst einem schenken kann.

      Wir zogen los, die Hunde sprangen in langen Sätzen voran. Sie sind immer froh, wenn sie wieder beisammen sind, genau wie Penny und ich. Ich habe zu Hause vier Brüder, Til und die Zwillinge Ralf und Roland und dann noch den Kleinsten, aber so gut wie mit Penny versteh’ ich mich mit keinem. Penny ist meine Beinaheschwester und meine allerbeste Freundin.

      „Wir sind fertig – wo ist der Zirkus?“ fragte Penny sofort, als wir heimkamen. Tante Trullala hatte sich bereits erkundigt, denn sie kennt ihre liebe kleine Pflegetochter.

      „Er ist da. Aber aufgebaut hat er noch nicht. Er hat noch keine Erlaubnis für einen bestimmten Platz. Der Bürgermeister muß erst mit den Leuten beraten, denn der Platz muß ja eben sein, und hier geht es überall bergauf und bergab ...“

      Das war insofern ein Glück, als wir dann zu einem Mittagessen kamen. Penny will immer sofort los, wenn sie etwas vorhat, und allein hätte ich sie nicht laufen lassen, das ganz bestimmt nicht. So aber konnten wir sowieso noch nicht hin, und Tante Trullala war es recht; sie denkt immer, wir werden ganz dünn oder verhungern, wenn wir einmal eine Mahlzeit überspringen.

      „Das macht nichts, Tante Trullala“, sagen wir dann immer, aber sie bleibt dabei, Essen und Trinken hielte Leib und Seele zusammen, und weil wir nie anders als im Galopp rannten, ginge sowieso alles wieder runter.

      So blieben wir also erst mal zu Tisch da.