„Höchstens Kinder!“ verteidigte sich der Jägersmann. „Und Isländer, die hier aufgewachsen sind, kann man auch schon zeitiger reiten als importierte, das steht in jeder Fachzeitschrift.“
Sie verabschiedeten sich von ihm, und Pölze stieg in den Wagen. Kornelia und der Froschkönig ritten voran. Pölze war sehr nachdenklich geworden und vermißte keine Unterhaltung.
14
Später wechselten Kornelia und ihr Begleiter die Ponys für eine Weile. Pölze merkte genau, wie bewundernd seine Augen an Kornelia hingen, und war stolz auf ihre kleine Freundin. Die sah auch bezaubernd aus, die dunklen Haare verwirrt, die Augen blitzend vor Lust am Reiten. Einmal, als sie auf die Karte sahen, fragte Pölze, wie weit er noch mitkäme. Sie wollte nicht, daß er zuviel von seiner wertvollen Zeit opferte.
„Wenn ich darf, noch ein kleines Stück“, antwortete er, aber es klang, als sagte er: „Bis ans Ende der Welt!“ Pölze lachte. Gerade kam ihnen ein Auto entgegen – sie fuhren eine kleine Strecke die Bundesstraße –, fuhr auf die von ihnen aus gesehen rechte Seite der Straße herüber und hielt genau vor den Ponys, die Pölze natürlich rechtzeitig zum Stehen gebracht hatte. „Der ist wohl nicht recht gescheit!“ rief Kornelia empört, Pölze aber lachte. Sie hatte von Anfang an geahnt, was hier gespielt wurde, und sprang aus dem Wagen.
„Onkel Hipp, Onkel Hipp!“
Ja, er war es, der Onkel und geliebte Pflegevater, bei dem sie groß geworden waren, Svea und sie, und nach ihm kämpfte sich Tante Ulle aus dem Wagen, noch immer gleich rotwangig, rund und geschäftig wie eh.
„Guten Tag, Tante Ulle. Habt ihr auch Svea mit?“ wollte Pölze wissen, nachdem sie umarmt und geküßt worden war und wiedergeküßt hatte. Tante Ulle verneinte.
„Die bereitet doch das Fest vor. Nein, herrlich, dieser neue Wagen. Also, ich kann unmöglich im Auto weiterfahren, ich werde so leicht limousinenkrank. Ich darf doch?“ Sie kletterte sofort in den Wagen, strahlend vergnügt. „Und das ist Kornelia? Und das Martin?“ Offensichtlich hielt sie den Froschkönig für Kornelias älteren Bruder. „Schön, daß ich euch alle mal kennenlerne! Na, und du bist natürlich die Hauptperson, kleiner Berti, das letztemal sah ich dich bei deiner Taufe ...“
Pölze lachte und versuchte, sie zu unterbrechen, um wenigstens zu erklären, daß der Froschkönig nicht Martin war, aber bei Tante Ulle war das nicht leicht. Erst nach einer ganzen Weile drang Pölze mit ihrer Stimme durch.
„Nicht Martin? Nun, auch recht. Dann ist er, nehme ich an, Kornelias Verlobter und –“
„Tante Ulle!“ stöhnte Pölze und hoffte, daß der Froschkönig ein wenig – wenigstens ein kleines bißchen – schwerhörig sei. Dieser Wunsch schien unerfüllt zu bleiben. Der Besprochene jedenfalls grinste von einem Ohr zum andern, und Kornelia lief dunkelrot an vor Verlegenheit.
„Ich muß mich übrigens hier endgültig verabschieden“, sagte er und beugte sich über Tante Ulles Hand, drückte Pölzes und verabschiedete sich von Onkel Hipp. Dann wandte er sich Kornelia zu.
„Es war sehr, sehr schön, Sie zu treffen“ – man sah förmlich, wie er nach Worten rang –, „und wenn Sie auf dem Rückweg hereinschauen wollen, reiten Sie doch, bitte, nicht vorbei, ich meine, wenn Sie vorbeireiten, verfehlen Sie doch bitte, hereinzuschauen ...“
Pölze, Onkel Hipp und Tante Ulle versuchten krampfhaft, sich das Lachen zu verbeißen, dadurch wurde er verwirrter und verwirrter. Und so nahm er nochmals Kornelias Hand und riß sie auf und ab wie einen Pumpenschwengel. Dann wollte er aufsitzen, vergaß aber, den Isländer dabei festzuhalten.
Der ging ein paar Schritte auf Schnick und Schnack zu, erst im Schritt, dann übersprang er die letzte, etwa zwei Meter weite Entfernung, und biß das linke, das Sattelpferd, also Schnick, blitzschnell in den Hals, Schnick quiekte auf und ging senkrecht in die Luft, Schnack, empört, daß sein Gefährte angegriffen wurde, feuerte aus, obwohl er den Angreifer unmöglich treffen konnte, denn der stand ja links von der Deichsel und links von Schnick; es war mehr die moralische Unterstützung des Angegriffenen. Seine Hintereisen donnerten gegen den Wagen, dann warf er sich nach vorn ins Geschirr, Schnick folgte, und los ging es, mit Tante Ulle im Wagen, die seitlich in den Rücksitz gefallen war. Berti schrie laut, und Onkel Hipp und Kornelia auch, jeder in einer anderen Tonlage.
Pölze aber hatte den Zügel bereits in den Fäusten und reagierte, wie es hier sein mußte – nicht mit wildem Gegenhalten, sondern mit Paraden, mit Annehmen und Nachgeben, immer wieder, damit die Ponys sich nicht festbissen und, aufs Gebiß gelegt, davondonnerten. So bekam sie sie nach einem halben Kilometer an den Zügel, konnte wenden und fuhr zurück, und damit war der Schreck ausgestanden.
Der Froschkönig entschuldigte sich wortreich für die Untat seines Pferdes. Onkel Hipp winkte ab, und Kornelia saß auf. Nun ging es, diesmal ohne weitere Pannen, dem Rosenhof entgegen. Daß Kornelia sich noch mehrmals umdrehte, übersahen die anderen taktvoll. Sie tat es auch so unauffällig wie möglich. An der Stelle des Abschieds hielt der Rotschimmelreiter, solange er sie erkennen konnte, still wie ein Reitermonument. Schließlich verdeckte ein Buschwerk die Davonziehenden.
15
Und wenn er nicht gestorben ist, so hält er dort noch übermorgen“, sagte Onkel Hipp, der links neben dem Ponywagen herfuhr, zum Fenster hinaus. „Koko, du bist, glaube ich, schlimmer als Svea und Pölze zusammen; sprich, schlimmer als Pech und Schwefel. Armer Rosenhof, was für eine Laus wird dir da in den Pelz gesetzt!“ Dabei lachten seine Augen hinter der Brille vor Entzücken. Nichts fand Onkel Hipp schöner als verliebte Jugend.
Pölze saß ganz still und ließ die Ponys traben. Sie sah ringsum, wie alles bekannter wurde. Jetzt grüßte schon jeder Kirchturm, der in näherer oder weiterer Entfernung auftauchte, wie ein alter Vertrauter zu ihr herüber. Hier hatte sie einmal ein Turnier mitgeritten – überall gab es ja in dieser Gegend jene kleinen, ländlichen Turniere, bei denen man sich die Sporen verdient –, dort einen Geländeritt.
Jetzt kam das Dorf, in dem einmal eine Stutenschau stattfand, zu der sie mit Svea ritt, mit sieben Pferden – keine einfache Angelegenheit. Sie bekamen dann zwei erste und vier zweite Preise. Onkel Hipps Zucht galt schon etwas in der Umgebung. Hoffnungsschimmer war damals dabei, die Stute, die am Tage des Waffenstillstandes geboren wurde und die Onkel Hipp nicht verkaufte, gerade weil sie so hieß und ihm damals, in allerdunkelster Zeit, einen Schimmel von Hoffnung schenkte ...
Würden Berti und seine Geschwister auch solche Erinnerungen sammeln, unvergeßliche Kleinigkeiten mitunter, aber dennoch – oder gerade deshalb – so kostbare? Sie sah ihren kleinen Sohn an, er saß jetzt neben ihr auf Tante Ulles Schoß, zutraulich an sie geschmiegt, und nagte an einem Stück Kuchen, das sie ihm gegeben hatte. Und jetzt –
Nein, es war nicht die Zeit, sich solchen Überlegungen hinzugeben, wahrhaftig! Jetzt schrie es „hurra“ und „hoch“ am Straßenrand, und Volker und Thomas stürzten hervor. Sie hatten auf der Lauer gelegen und kletterten in den fahrenden Wagen.
„Nein, seid ihr so weit gelaufen?“ wunderte sich Pölze, die die Sache genau durchschaute: Onkel Hipp hatte sie mit dem Auto bis hierher mitgenommen und hier ausgesetzt, damit sie den Ponywagen überfallen konnten. Sein verschmitztes Gesicht verriet genug.
Pölze hatte die Jungen fast ein Jahr nicht gesehen. Volker war sehr gewachsen, mager, mit den herausstehenden Gelenken, die Jungen in diesem Alter haben, während Arme und Beine dünn bleiben. Er war zehn, hatte seines Vaters schmalen Kopf und seine gescheiten Augen. Früher blond, dunkelte er jetzt stark nach.
Thomas dagegen hatte noch den richtigen Blondschopf des Kleinkindes, während seine Zahnlücken, wenig verschönend, aber irgendwie rührend, darauf hinwiesen, daß jetzt der Ernst des Lebens, sprich: die Schule, auch für ihn heranrückte. Das hübscheste an ihm war seine harte, runde Kinderstirn, die Pölze immer