Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lise Gast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711509425
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oder ich pfeife, damit du mich findest ...“ Kornelia mußte ja quer durch den Wald reiten. Sie nickte, und weg war sie.

      Pölze wartete. Die Erleichterung, daß es Kornelia war und kein entsprungener Häftling, legte sich wie eine schwere Müdigkeit über sie. Sie setzte sich in den Wagen und stützte die Stirn in die Hand. Eine Weile, sie wußte nicht, wie lange, war sie wie abwesend, wie in einem Dämmerschlaf. Gleich darauf hörte sie brechende Zweige, Stampfen, Keuchen, und Kornelia war wieder da.

      „Hast du sie?“ rief Pölze.

      „Ja, hier ist sie. Du, wir müssen ihr viel abbitten, denk nur –“

      Kornelia konnte kaum sprechen, so atemlos war sie. „Sie hat ein Reh gefunden, ja, aber weißt du, wie. Nicht gehetzt, ich sagte ja, sie hetzt nicht! Es hing in einer Schlinge! Daß es immer noch diese verfluchten Wilddiebe gibt, die Schlingen legen! Am Waldrand, dort –“, sie deutete mit der Gerte, „– hatte einer eine Drahtschlinge gelegt, und das Reh hing mit dem Hals drin. Das hatte Tina gefunden. Ich kam noch zurecht, habe es befreien können. So eine Gemeinheit! Nicht nur, daß sie die Rehe umbringen aus lauter Habsucht, sie tun es auch noch auf so schreckliche Art. Ich könnte solche Leute durchprügeln!“

      „Das hätten sie weiß Gott auch verdient“, sagte Pölze grimmig.

      „Und du hast die Schlinge aufbekommen?“ Ihre Stimme klang tief und empört, sie war nicht umsonst die Frau eines Waidmannes. Nichts haßt ein Jäger so sehr wie das Quälen der Kreatur.

      „Ja, ich habe doch so ein Taschenmesser mit zehnerlei dran, mit Schere und Zange, Korkenzieher und dem allen. Manuel hat es mir zu Weihnachten geschenkt“, erzählte Kornelia. „Da hab’ ich den Draht durchknipsen können. Es war fast unverletzt, das Reh, und sprang sofort ab. Ach Pölze, wie gut, daß Tina es fand. Und wir dachten, sie hetzt.“

      Sie war abgesprungen und liebkoste die Hündin zärtlich. Auch Pölze war sehr froh.

      „So, jetzt fahre ich mit dir“, sagte Kornelia und band ihren Isländer an den Wagen, „gottlob, nun kommen wir endlich zur Ruhe. Nie im Leben dachte ich, als ich hinter dir ritt, daß du mich hören könntest und etwa annähmst, ich wäre der Leibhaftige!“

      „Das nicht. Aber der Gefangene, das dachte ich doch. Das lag doch wahrhaftig nahe! Wer reitet denn sonst nachts durch die Gegend. Na, Hauptsache –“

      „Hauptsache, du hast mir keine übergehauen, sondern dich höflich erkundigt, wer da kommt“, lachte Kornelia. Sie waren beide so froh und glücklich und erleichtert wie noch nie im Leben – glaubten sie. Kornelia kuschelte sich an Pölze, die hatte die Zügel wieder losgemacht und trieb ihre beiden PS an. Ach, wie wunderschön war es doch, endlich wieder beisammen und aller Gefahr entronnen zu sein.

      10

      Es dauerte noch ziemlich lange, bis sie die ersten Lichter sahen, eine Zeit, die Pölze im andern Fall sicher schwer zugesetzt hätte. Sie hatte sich mehr aufgeregt, als je ein Mensch erfahren würde, schämte sich darüber und tat forsch und vergnügt. Endlich, endlich das Dorf! Sie fanden den Gasthof sofort, und die Wirtin begrüßte sie voller Erleichterung. Bertram hatte schon zweimal angerufen und sich erkundigt, ob sie gesund eingetrudelt seien. Um neun wollte er es nochmals versuchen. Jetzt war es acht. Schnell die Pferde in den Stall, und hinein in die warme Gaststube!

      Berti hatte nichts davon gemerkt, als er aus seinem Sitz gehoben wurde, er schlief, ins große Bett gelegt, sofort weiter. Pölze und Kornelia konnten unbesorgt hinuntergehen und auf Bertrams Anruf warten, während sie etwas aßen. Ach, es schmeckte so wundervoll zu zweit nach dieser abenteuerlichen Fahrt!

      Und es tat so gut, so gut, mit Bertram zu sprechen, wenn auch über so viele Kilometer hinweg!

      „Macht euch keine Sorgen um uns hier“, sagte er, „wir werden den Ausreißer bald haben. Fahrt morgen weiter. – Ach, bin ich froh, daß Koko bei dir ist! Ich komme dann direkt zum Rosenhof. Grüßt inzwischen.“

      In der Nacht ging es Pölze schlecht. Sie war erst schnell und tief eingeschlafen, wachte aber gegen eins in der Nacht auf, weil sie entsetzlich geträumt hatte. Es ging um Bertram, und sie vermochte nicht, verwirrt und aufgeregt, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, wie das nachts manchmal eben so ist. Sie hatte geträumt, daß jemand ihn verfolgte und mit einem schweren Gegenstand über den Kopf schlug. Er stand einen Augenblick noch still, mit einem sonderbar verwunderten Ausdruck in den Augen, dann drehte er sich auf eine merkwürdige Art und fiel zu Boden. Pölze versuchte, zu ihm zu gelangen, aber es ging nicht. Als sie wach wurde, war sie naß von Schweiß und weinte.

      Sie versuchte, sich zu beruhigen, stand auf, trank einen Schluck Wasser, kroch wieder ins Bett. Aber an Einschlafen war nicht zu denken, es schüttelte sie, und sie merkte, daß sie Fieber hatte. Als ihr immer elender wurde, weckte sie Kornelia.

      „Warte, das haben wir gleich!“ sagte diese sofort auf eine gute und nüchterne Art, die sehr an die ihrer Mutter erinnerte, bereit zu helfen. Sie kramte im Gepäck und förderte eine Wärmflasche zutage, die Pölze für Berti eingepackt hatte, füllte sie am Kran mit heißem Wasser und brachte sie Pölze.

      „So, auf den Bauch damit. Du hast schlimm geträumt, da muß man das Blut vom Gehirn abziehen, das hilft.“

      „Denkst du wirklich? Ich meine, bist du sicher, es war nur geträumt?“ murmelte Pölze, die es nur zu gern glauben würde. Kornelia lachte.

      „Natürlich! Was denn sonst? Du hast gestern auf dem Wagen gefroren, weil du deine Jacke über Berti gelegt hast, wie sich das für eine treusorgende Mutter gehört. Aber erkältet hat sich diese Treusorgende eben. Und wegen Bertram hast du Sorgen, das beides wirkt zusammen. Weiter nichts als Fieberträume.“

      „Aber – aber Bertram ...! Sie sind doch immer noch auf der Suche nach dem Gefangenen!“

      „Woher weißt du denn das? Vielleicht haben sie ihn ja schon längst.“ Kornelia wühlte sich gerne wieder ins Bett, rückte zu Pölze heran und suchte nach deren Hand. „Wahrscheinlich sogar. Er ist auf Nummer Sicher und unter Dach, was man ihm wünschen sollte – draußen ist es kalt, und er würde frieren wie ein junger Hund. Also. Und Bertram hat mit Jupp einen auf den Schreck getrunken und schläft jetzt süß, so süß und gut, wie du jetzt auch gleich schlafen wirst. Und morgen ist dann bestimmt das Fieber weg, du bist gesund, und wir fahren auf den Rosenhof. Na, die werden staunen, wenn wir einziehen!“

      „Aber – aber wenn –“

      „Weißt du, was meine Mutter immer sagte, wenn es uns nachts schlechtging und wir fürchterliche Dinge geträumt haben? Wir Kaysers sind nämlich groß im Träumen, mußt du wissen. Da meinte sie: ‚Früh sieht man, daß es ein Handtuch ist. Nachts dachte man, es wäre ein Gespenst.‘“

      Pölze mußte lachen.

      „Vielleicht“, sagte sie. Sollte sie Kornelia wissen lassen, was sie von Träumen hielt? In Schweden jedenfalls gab es einen alten Aberglauben, der besagte, daß das, was man zum ersten Male unter einem fremden Dach träumte, unter dem man noch nie zuvor geschlafen hat, in Erfüllung geht. Eine der wenigen Erinnerungen, die sie noch an ihre Mutter hatte, war die: Mutter verabschiedete sich von jedem ihrer Hausgäste, die das erstemal bei ihr übernachteten, mit dem freundlich herzlichen Wunsch: „Träumen Sie was Schönes! Denn was Sie jetzt träumen, geht in Erfüllung!“

      Sie sagte nichts davon. Kornelia war schon wieder halb eingeschlafen, dann aber wurde sie noch mal ganz wach.

      „Weißt du, was ich geträumt hab’?“ fragte sie, als sie merkte, daß auch Pölze noch nicht schlief. „Wir sind weitergefahren – ich geritten, du gefahren –, und da haben wir zwei Reiter getroffen. Die nahmen uns mit, nicht als Gefangene, sondern sie luden uns ein, zu sich. Und sie hatten ein wunderschönes, riesiges Schloß mit einem weiten Hof, der stand voller Isländer ...“

      „Ein Wunschtraum“, sagte Pölze und mußte ein wenig lächeln.

      „Und?“ Solch ein Traum war ja nun sehr einfach zu erklären. „War