„Jetzt halte ich Stallwache“, dachte sie vergnügt, „bleib’ die ganze Nacht wach. Nein, wenn das unterwegs passiert wäre! Aber der Froschkönig hätte sicher Hilfe geholt, bestimmt! So patent, wie er ist, und so verläßlich! Und – nein, der heißt bestimmt anders, Roland vielleicht, oder – aber niemals Nebukadnezar ...“
Und da war sie schon eingeschlafen.
17
An einem strahlendbunten, in warmer Sonne schwimmenden Oktobertag kamen Pölze und Kornelia heim. Es war bisher windstill gewesen, die Bäume hielten ihren Schmuck noch fest; die Färbung hatte in diesem Jahr etwas Überwältigendes. Eine so bunte Skala von Gelb, Orange, Gold und dunklem Rot glaubte Kornelia noch nie erlebt zu haben, und sie fand das Ganze beinahe schwermütig schön. Warum? Weil es nicht in jedem Jahr so strahlte oder weil man wußte: ein Nachtfrost, ein ordentlich rüttelnder Sturm, und alles ist dahin?
Welch ein Unsinn. Als Kind des Landes wußte sie: Das Leben geht weiter. Der Sommer kommt wieder. Auf den Winter folgt der Frühling mit tausend blühenden Bäumen. Wie schön, daß das so war. Eines jedenfalls war ihr sehr klar, sie hätte nie in den Tropen leben mögen.
Der Wechsel, der Reigen der Jahreszeiten war es, der entzückte; sei es nun schäumende Blütenfülle, satter Sommer, sonnenmilder Herbst oder blitzender Rauhreif.
Bertram hatte Kornelia nach dem Rosenhof gebracht, damit sie mit Pölze fahren sollte, und seine beiden Söhne ins Auto genommen. Mit einer Vernunft, die, wie er sagte, ihre Jahre weit überstieg, hatte Pölze sich damit einverstanden erklärt. Dafür waren sie eintägig gefahren, sehr früh aufgebrochen und vor Dunkelheit am Ziel gewesen. Bertram hatte dieselbe Strecke einmal mit den Shettys, den kleineren Ponys, an einem Tag geschafft, mit dem Pferdeschlitten, dreispännig, kurz vor jenem Weihnachten, als sie sich verlobten. Er war damals mit der Troika gekommen, mit Espe, Erle und in der Mitte Blessy. Er war immer sehr stolz auf diese Leistung gewesen, und die beiden brannten vor Ehrgeiz, es ihm mit Schnick und Schnack nachzutun. So waren sie fast ohne Pause gefahren und hatten es geschafft. Daß Kornelia vielleicht gern einen kleinen Umweg gemacht hätte, sagte sie nicht.
Pölze wartete darauf, wollte die Frage aber nicht von sich aus zur Sprache bringen. So fuhren sie vorbei, dort, wo sie einmal abgebogen waren. Man sah auch keinen Reiter am Horizont.
Sonst aber verlief alles ausgezeichnet, und es gab in Niederwerth ein lautstarkes Wiedersehen. Frau Kayser war auch gekommen, und Jupp, der magere Jockei-Typ, hatte sich diesen Sonntag noch herausgespart, ehe er für vier Monate in die Staaten flog. Nur Guido fehlte.
„Guido geht auf Freiersfüßen, wie ich gehört habe“, verriet Kornelias Mutter, „mit einem Hof von über siebenhundert Morgen. Sehr gut im Stand. In den hat er sich verliebt, unser Dicker. Aber das Mädchen soll auch ganz nett sein.“
Alle lachten.
„Sag bloß! Guido und heiraten!“ Pölze schüttelte ungläubig den Kopf. „Nun fehlt nur noch, daß auch Jupp in so eine zärtliche Falle geht.“
„Warum eigentlich nicht?“ sagte der und sah in diesem Augenblick Bertram ziemlich ähnlich, wenn dieser seine vertrackten Falten machte.
„Wenn alle untreu werden ...“
„Hast du schon eine, oder willst du drüben eine suchen?“ fragte Kornelia. „Oder fliegst du gar vor einer davon in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten?“
Er sah sie prüfend an und strich ihr über das Gesicht.
„Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Aber manchmal tut Kindermund Wahrheit kund. Es ist sicher besser, ich lege zunächst mal den großen Teich zwischen mich und meine Vergangenheit.“
„Eigentlich gemein. Als ich beschloß zu heiraten, hatte ich die menschenfreundliche Absicht, hier bei drei Junggesellen Ordnung zu schaffen“, sagte Pölze. „Und nun wandert einer nach dem andern ab.“
„Du hast ja für Nachwuchs gesorgt“, Jupp grinste, „zählen deine beiden kleinen Männer etwa nicht? Für die mußt du voraussichtlich noch zwei Jahrzehnte sorgen.“
„Ja, ja. Eine Frau braucht zwanzig Jahre, um aus einem Kind einen Mann, und eine andere zwanzig Minuten, um aus einem Mann einen Narren zu machen“, sagte Frau Kayser. Sie hatte schon vorher einiges von Guidos ein wenig lächerlichen Balzereien, wie sie es nannte, erzählt. Verliebte Leute wirken ja auf die Umwelt immer umwerfend komisch, so ernst sie sich selbst auch nehmen.
18
Verliebte Leute – in diesem Augenblick hörte man im Hof ein schrilles Wiehern, und Kornelia stürzte ans Fenster. Gleich darauf verließ sie das Zimmer schnell wie die Kugel das Rohr.
„Das wird wohl der Froschkönig sein“, sagte Pölze, „ich habe mich schon gewundert, daß wir ihn nicht zufällig unterwegs trafen.“
Er war es. Kornelia brachte ihn nach einer Viertelstunde glücklich, atemlos und ein wenig zerrauft ins Zimmer. Sie wußte nun auch seinen richtigen Namen: Ulrich Thorwald, und stellte ihn der Familie als „Pölzes und mein Reisebekannter“ vor. Er war mit seinem Isländer auf einer größeren Tour, wie er erzählte, und wollte bescheiden anfragen, ob er ihn hier vielleicht für eine Nacht unterstellen könnte.
„Meine Übernachtungen richten sich natürlich immer danach, ob ich ihn unterbringe oder nicht“, erklärte er. „Mit Koffer und Auto zu reisen ist wesentlich einfacher. Aber nicht so schön.“
Bertram sagte es ihm freundlich zu, Thorwald bedankte sich und ging gleich daran, sich ein Zimmer für die Nacht im Dorfgasthaus zu besorgen.
„Zum Nachtessen sind Sie aber bei uns“, sagte Pölze noch. Er strahlte sie an. Kornelia ging mit ihm, sein Pferd auf die Koppel zu den anderen Isländern zu bringen.
„Das ist doch ein abgekartetes Spiel“, sagte Frau Kayser, den beiden nachschauend, und Pölze lachte:
„Natürlich. Aber warum nicht? Die beiden – er führt mit einem Freund zusammen ‚Klein-Island‘, das Ponytrekking, das immer in den Zeitschriften annonciert, und hat uns alles gezeigt. Ich habe mich schon gewundert, daß wir ihn heute nicht unterwegs trafen.“
„Und Kornelia?“ fragte Frau Kayser. Ihr Ton klang so unheilvoll, daß alle lachten.
„Ist natürlich verliebt bis über ihre hübschen kleinen Ohren“, gab Jupp trocken von sich. „Der Mann ist jung, sieht gut aus, hat Manieren und reitet. Bitte. Wann, geliebte Schwester, sollte sie sich wohl verlieben, wenn nicht jetzt mit ihren holden siebzehn Jahren? Gibt es ein schöneres Alter?“
„Sie ist viel zu jung. Ihr wißt nicht, was für ein Kind sie noch ist“, jammerte die Mutter, erntete damit aber nichts als einen großen Lacherfolg.
„Kennst du das Lied ‚Ihren Schäfer zu erwarten ...‘?“ fragte Pölze lustig. „Da küßt die Mutter die Tochter wach, die, in Erwartung eines Rendezvous, im Garten eingeschlafen ist. Eigentlich recht unglaubhaft, denn da schläft man nicht ein, sondern ist hellwach. Egal, sie war es, und die Tochter, ihrem Schlummer sanft entrissen, ruft:
‚O Damöth,
Warum kommst du heut so spät?‘
Womit sie sich also verrät. Die Mutter, zornig, betrogen zu sein, droht der Tochter, sie ins Kloster einzusperren, wo sie für immer zu bleiben habe.
‚Kloster ist nicht mein Verlangen‘, singt darauf das kleine Herzchen, ‚bist ja selbst nicht reingegangen ...‘“
„Ach, bei uns damals war das ganz anders“, sagte Frau Kayser ärgerlich, „das ist kein Vergleich. Bei uns ...“
„Na?