„Ich will es versuchen, kann aber nicht garantieren, daß es auch klappt“, murmelte Kornelia, schon halb von den Federbetten erstickt, die es hier in dem ländlichen Gasthof auf altmodische Weise und nach dem Motto „viel hilft viel“ für Gäste gab. Daheim schlief man unter dünnen Decken; solche Gebirge auf sich zu haben, das schuf natürlich Alpträume. Jedenfalls ...
„Nachts dachte man, es wäre ein Gespenst“, sagte sich Pölze, „Koko hat recht, es ist sicher nur ...“, und dann schlief auch sie wieder, und sie schlief sich, wie es ihrer Natur entsprach, gleich wieder gesund.
11
Na also“, sagte Kornelia am Morgen befriedigt, als Pölze zu sich kam. Sie stand, gewaschen, gekämmt, im Reitanzug mit blankgeputzten Stiefeln vor Pölzes Bett und lachte, daß man hätte denken können, sie habe vierundsechzig Zähne. Kornelia besaß das schönste Gebiß, das man sich vorstellen kann, weiß mit einem winzigen bläulichen Emailleschimmer und so ebenmäßig, daß nirgends auch nur die kleinste Lücke zwischen den Zähnen zu sehen war. Pölze hatte sie oft mit einem kleinen freundlichen Neid betrachtet.
„Ich war schon bei den Pferden, es geht ihnen gut“, erzählte Kornelia, „und Berti ist angezogen, hat gefrühstückt und sitzt auf dem Arm unserer Frau Wirtin wundermild, die ihm den ganzen Hof zeigt. Die einzige, die noch faul in den Federn liegt, bist du, und wenn du nicht jetzt mit der Schnelligkeit einer Leuchtrakete aufschießt und ganz gesund bist, bin ich ewig böse.“
„Ich bin ja gesund“, sagte Pölze.
Es war wahr. Sie fühlte sich wunderbar wohl und ausgeruht und hatte einen brüllgesunden Hunger.
„Kann man hier irgendwo duschen?“ fragte sie. Kornelia nickte. Während Pölze etwas später unter dem kalten, prasselnden Wasserstrahl stand, mußte sie über sich selbst den Kopf schütteln. Natürlich war es nur ein Handtuch gewesen, das Gespenst, das sie in der Nacht geängstigt hatte. Natürlich war ein Aberglaube nur ein Aberglaube. –
Es gab Eier und Speck und ein wundervolles dunkles Brot zu einem Kaffee, der leider so dünn war, daß man ihn durchaus auch für Tee hätte halten können, aber ...
„Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Sterblichen zuteil“, zitierte Kornelia altklug, bei der es in der Schule zur Zeit gerade schillerte, wie sie es nannte. „Halte dich an die Eier, die sind unverfälscht und dazu billig.“
„Ja, leider. Eier kosten ungefähr soviel wie vor dem letzten Kriege“, sagte Pölze, die das oft von Bertram gehört hatte, „alles andere das Dreifache. Mit Eiern ist heutzutage nichts zu verdienen.“
„Alle Bauern klagen“, fügte Kornelia hinzu und köpfte ungerührt das dritte Ei, „sie haben vermutlich schon vor dem Krieg geklagt. So, nun sind wir satt bis abends, nun kann’s weitergehen. Mir juckt die Sitzfläche schon wieder nach dem Sattelleder.“
„Dabei reitest du ohne Sattel“, meinte Pölze vergnügt, „aber mir geht es ähnlich. Komm!“
Sie stand auf und fühlte im selben Augenblick einen ganz schnellen, ganz heißen Schmerz durch ihren Körper zucken. Gleich darauf war es vorbei, und sie wußte nicht einmal so recht, ob er Wirklichkeit gewesen war. „Uh –“, stöhnte es doch noch aus ihr, und Kornelia, die sie an der Hand mit sich gezogen hatte, blickte überrascht zurück.
„Was hast du?“
„Ach, mir war bloß so komisch. Ist schon vorbei. Los!“
Pölze spürte wirklich nichts mehr. Und dann sah sie Berti, der vom Arm der Wirtin aus zu ihr hinstrebte, lachend und zappelnd, nahm ihn und drückte ihn an sich. Im selben Augenblick ging das Telefon.
„Ich gehe schon!“ schrie Kornelia und rannte davon. Gleich darauf erschien sie mit strahlendem Gesicht wieder.
12
Der Ausreißer ist geschnappt, alles in Ordnung! – Jawohl, er hatte den Kronos genommen, und das wurde ihm zum Verhängnis. Ein Mann zu Pferde fällt eben heutzutage auf. Dem Pferd geht es übrigens prima, soll ich ausrichten, und Bertram käme so, daß er heute abend auf dem Rosenhof ist, nicht eher. Er will zunächst noch einiges regeln.“
„Gut, gut.“ Pölze war mit allem zufrieden, sie wußte ja nun, daß keine Gefahr mehr bestand. Dankbar und erleichtert kletterte sie auf ihren Wagen, und dann ließ sie die Peitsche schwirren. „Nun lauft, meine Gäule, ab geht die Post!“
„So ließe ich mich als ein Pferd nicht nennen“, unkte Kornelia und trieb ihren Isländer neben den anrollenden Wagen. „Gaul ist beleidigend für ein flottes Wagenpferd!“
Sie hatten gestern mehr als die Hälfte des Weges geschafft und konnten sich eigentlich Zeit nehmen. Aber die Ponys liefen eilig und eifrig, und jeder fährt lieber schnell als langsam. Pölze jedenfalls genoß das flotte Tempo, sie saß, angelehnt und bequem, und hielt die Zügel in der Linken.
„Hallihallo, wir fahren,
wir fahren in die Welt!“
sang sie halblaut. Kornelia ritt mit ihrem Isländer bald neben, bald vor dem Wagen. Es war köstlich, zumal das Wetter sich heute strahlend zeigte. „Ach, es ist eine Lust zu leben!“ dachte Pölze
„Guck, ein Reiter!“ rief Kornelia in diesem Augenblick.
„Der Märchenprinz!“ lachte Pölze. „Genau wie im Traum! Trägt er eine goldene Rüstung und einen weißbebuschten Helm?“
„Du glaubst es wohl nicht. Dort reitet aber wirklich einer“, erwiderte Kornelia und deutete mit dem Knauf ihrer Gerte, „nein, zwei sind es. Im Traum waren es übrigens auch zwei, wenn du dich vielleicht an meine goldenen Worte zu erinnern beliebst. Zwei, und einer davon ...“
„...nahm dich mit auf sein Schloß“, ergänzte Pölze.
„So war es“, bestätigte Kornelia ärgerlich, „wie es weiterging, habe ich, dank deiner Jammerei, nicht mehr träumen können, sonst wüßte ich es noch.“
„Jammerei! Herzlichen Dank. Hab du mal solches Fieber!“ brummte Pölze. „Es ging mir sehr schlecht, und ich war dem Tode nahe, habe es nur aus Rücksicht auf dich gut verborgen.“
„Aha. Siehst du, jetzt kommen sie, der Traum wird also wirklich wahr!“ bemerkte Kornelia aufgeregt, keinen Blick von den beiden Reitern lassend. „Im gestreckten Galopp, ein Glück, daß wir im Zeitalter der Stoppelfelder leben! Jetzt – hopp! Ach je, den hat’s geschmissen!“
Zwischen dem Stoppelfeld, das die beiden überquert hatten, und der geschnittenen Wiese mußte sich ein Graben befinden. Der eine Reiter hatte ihn gesehen und war gesprungen, der andere aber mußte ihn übersehen haben. Sein Pferd versuchte im letzten Augenblick, noch darüberzugehen, streckte sich in der Luft, aber es reichte nicht mehr. Mit den Vorderbeinen erwischte es noch den jenseitigen Grabenrand, mit der Hinterhand kam es nicht nach. Es mühte sich verzweifelt, Fuß zu fassen, und dabei räumte der Reiter den Sattel. Es war kein heroischer Sturz, sondern einer, der so komisch wirkte, daß sowohl Kornelia als auch Pölze vor Lachen herausplatzten, zumal man sofort sah, daß weder Reiter noch Pferd Schaden genommen hatten. Das Pferd stand augenblicklich wieder, und der Reiter krabbelte aus dem Graben, in den er rückwärts köpflings hineingesaust war, was ja immer ein überaus erheiternder Anblick ist.
Die Pferde dieser beiden jungen Männer waren übrigens auch Isländer. Diese Rasse, jetzt in Deutschland schon bekannter als vor zwanzig Jahren, da sie ganz neu importiert wurde, ist noch immer ein Grund für junge Reiter, einander anzusprechen, so, wie es Autofahrer desselben, ein wenig unüblichen Typs halten, die sich allerdings nur im Fahren grüßen.
Hier war der Sturz noch ein Anlaß mehr. Kornelia ließ ihr Pferd über den Straßenrand hinübersetzen