„Nein, wahrhaftig, wir machen uns kaputt und kommen ihr überhaupt nicht näher“, sagte Penny und setzte sich neben mich. Dabei beobachteten wir, daß Susi, sobald wir nicht mehr liefen, auch nicht mehr lief, sondern stehenblieb und anfing zu grasen. Das war immerhin ein Trost.
„Wir müssen gut überlegen. Was meinst du, sollen wir Nimrod holen? Vielleicht läßt sie uns mit ihm zusammen näher heran? Vielleicht saust er ihr aber auch nach und mit ihr davon?“
Schließlich hatte ich eine Idee.
„Du bleibst hier hocken, Penny, und kriechst ihr nur nach, wenn sie weitergeht. Möglichst langsam und unauffällig, aber laß sie ja nicht aus den Augen! Ich krieche zurück und hole die Flasche. Vielleicht können wir sie damit locken!“
Das fand Penny ausgezeichnet. Ich robbte also rückwärts, wie wir es beim Indianerspielen oft geübt haben, und stand erst auf, um heimzurennen, als mich Susi nicht mehr sehen konnte. Da allerdings schaltete ich auf höchste Geschwindigkeit, runter auf die Straße, rüber ins Haus, in die Küche, Flasche mit vor Eile zitternden Fingern fertiggemacht, gewärmt – oh, wie lange das dauerte, und dann wieder los! Solange die Krümmung der Wiese mir Penny und Susi noch verdeckte, raste ich, spähte nach vorn – gottlob, sie waren noch da. Ich ließ mich auf alle viere herunter und kroch, die Flasche in der Hand, zu Penny hin, und nun kam es darauf an, Susi zu überlisten.
Es sah beinahe so aus, als könnte es uns gelingen.
Wir hoben die Flasche hoch, so daß sie sie sehen konnte, und riefen: „Susi! Susi!“ Sie guckte her, und dann machte sie wirklich ein paar Schritte auf uns zu. Atemlos hockten wir da – noch ein Schritt, dann hob sie witternd das Näschen, und dann – Pech muß der Mensch haben – hörten wir hinter uns ein Hecheln und Jappen, und als wir uns umsahen, raste ein schwarzer Hund heran. Susi sah ihn sofort, drehte um und sprang in weiten, sicherlich mehrere Meter langen Sprüngen ab, dem Wald zu. Weg war sie. Wir schrien beide vor Wut den Hund an: „Du Biest, du Ekel! Du – du –“ uns fiel nichts mehr ein. Am liebsten hätte ich ihm die Flasche auf den Kopf geschmettert.
Aber dazu hätten wir ihn erst haben müssen. Wir sprangen auf und rannten ihm und Susi nach, hinein in den Wald, dorthin, wo sie verschwunden war. Der Hund war jetzt ganz in unserer Nähe, und obwohl es ein ziemlich großer Kerl war, ging Penny auf ihn los und schrie ihn an und scheuchte ihn. Und wirklich, er zog den Schwanz ein und verschwand in Richtung Stadt.
Das wenigstens hatten wir erreicht. Und nun in den Wald, Susi suchen.
Ich hatte noch immer die Milchflasche in der einen Hand. Penny bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp, ich folgte ihr. Binnen zwei Minuten waren wir zerrauft von den Büschen, durch die wir uns wanden, unsere nackten Beine zerkratzt von Brombeersträuchern – Brombeerranken sind scharf und zäh, man kann sie kaum zerreißen, und immer bleiben kleine Dornen in der Haut sitzen, die auch später noch stechen –, und Pennys Jeans hatten schon ein großes Dreieck, durch das das Hemd heraushing.
„Susi! Susi!“
Wir konnten kaum mehr rufen, so außer Atem waren wir, und schließlich weinten wir beide. Lieber Gott, wir konnten doch nicht den ganzen Wald durchkämmen. Sollten wir das Forstamt anrufen oder die Polizei? Aber die würden uns höchstens auslachen oder schimpfen.
Eine Stunde lang hatten wir uns sicherlich so durch das Unterholz gekämpft, als Penny schließlich stehenblieb.
„Du, ich kann nicht weiter. Ich hab’ keine Luft mehr. Und von vorhin einen solchen Muskelkater!“
Den hatte ich auch.
„Nie wieder mach’ ich Trimm-dich, im ganzen Leben nicht mehr“, stöhnte ich. „Was sollen wir Engels nur sagen, wenn sie wiederkommen und Susi ist weg!“
Ja, das lag uns auf den Herzen wie eine Zentnerlast.
Ein anvertrautes Tier, und wir hatten es weglaufen lassen! Ob es überhaupt in freier Wildbahn leben könnte oder vom ersten Fuchs, dem es begegnete, gerissen würde? Bei dem Gedanken heulte ich los, ich hätte mich am liebsten auf den Boden geworfen, um nie wieder aufzustehen. Penny, die hinter mir stand, schrie auf einmal auf, ganz kurz und hoch ...
Ich drehte mich um – da stand Susi. Direkt neben Penny – in Hautnähe. Penny hatte auch schon zugegriffen, schlauerweise – Penny ist ungeheuer geistesgegenwärtig, sie hat eine viel schnellere Reaktion als ich, und zwar griff sie vorsichtig, aber fest zu, so daß Susi weder erschrak noch fortspringen konnte. Sie sprang auch nicht, sie stand ganz seelenruhig da, und nun kam ich auch heran und handelte. Mit einer Hand hielt ich ihr die Flasche entgegen, mit der anderen schlang ich die Leine um ihren Hals, und zwar so, daß sie sie nicht würgte, aber Susi auch nicht herausschlüpfen konnte. Und Penny schaltete sekundenschnell. Sie nahm die Flasche vorsichtig aus meiner Hand, ohne ihre Lage zu verändern, und nun hatte ich beide Hände frei, um Susi das Halsband umzulegen. Ich merkte dabei genau, wie sie schluckte, es gluckste ein wenig unter der feinen Haut am Hals. Wir hatten sie! Lieber Himmel, waren wir froh!
Ohne uns zu rühren, standen wir da und ließen Susi erst einmal die Flasche zu Ende trinken. Dann fitzten wir uns durch das Gestrüpp hindurch, Richtung Heimat. Es ging bergauf und bergab, bis wir auf einen schmalen Weg kamen, auf dem man richtig laufen konnte. Pennys Hand an Susis Halsband, ich mit der Leine, die ich mir dreimal um die Hand gewickelt hatte, so marschierten wir der Forstmeisterei zu. Alles ging glatt, ich schloß die Haustür auf, alle drei gingen wir hinein, Tür zu.
Wie waren wir froh!
Da läutete das Telefon. Ich sprang hin, während Penny Susi das Halsband abnahm. Es war Ulli Engel, die mal fragen wollte, wie alles ging.
„Wunderbar“, sagte ich aus tiefstem Herzen, „ja, alles in Ordnung. Susi läßt grüßen und Nimrod auch – und Penny natürlich ...“
Nein, was wir gerade erlebt hatten, konnte ich jetzt nicht erzählen, das mußten wir erst verdauen.
Als Frau Engel am übernächsten Tag mit Ulli wiederkam – es war nichts weiter passiert, gottlob! –, haben wir dann unser Abenteuer erzählt. Und da verriet uns Ulli lachend, daß es ihr schon genauso gegangen war, nicht nur einmal. Immer wieder war Susi trotz aller Vorsicht ausgerückt und eigene Wege spaziert, und immer hatte Ulli sie voller schrecklicher Angst und Verzweiflung gesucht, einmal einen ganzen Tag lang und eine halbe Nacht. Und jedesmal war es dann so gewesen wie bei uns ... Ach wir hatten genug von der Angst und Sorge und waren selig, daß wir Ulli das Reh ganzbeinig wiedergeben konnten. Ulli bat uns sehr, noch ein bißchen zu bleiben, und wir gaben noch einen Tag zu. Dann aber wollten wir heim. Rupert hatte schon zweimal angerufen. Und dann kam er mit einer ganzen Stunde „Verzeitigung“ an, wie er es nannte, weil er es gar nicht mehr erwarten konnte, uns in die Arme zu schließen. Er hatte beide Hunde mit, Boss und Bella, die sich vor Freude, uns wiederzusehen, wie die Verrückten benahmen.
„Ohne euch ist es in Hohenstaufen nur halb so schön, aber sagt das Tante Trullala und Onkel Albrecht nicht“, bat er. Wir verabschiedeten uns von Engels mit vielem Dank und stiegen zu Rupert ins Auto, und nun ging es heim nach Hohenstaufen, denn wir hatten schon wieder große Sehnsucht nach dem lieben Haus dort oben und nach unserer süßen kleinen Wohnung. Herbstferien sind ja leider nicht sehr lang.
„Findet ihr?“ fragte Rupert und machte ein verschmitztes Gesicht. Wir merkten gleich, daß er etwas wußte, was er gern erzählen wollte, und bestürmten ihn sofort, es uns zu verraten. Er tat es nur zu gern.
„Musch hat acht Tage länger Ferien! Stellt euch das vor! Ihre Mutter hat angerufen, während ihr in der Forstmeisterei wart! Es wird an der Schule etwas umgebaut, sie hofften, es in den Ferien zu schaffen, aber zum Glück gelang es nicht. Bauen dauert ja immer länger, als man denkt. Aber der Unterricht beginnt erst acht Tage später. Ist das nicht furchtbar traurig für Musch, die so gerne in die Schule geht?“
„Vielleicht geh’ ich wirklich gern?“ fragte ich und lachte. Penny dagegen machte ein trauriges Gesicht.
„Du hast’s gut! Erst ein paar Tage eher