Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lise Gast
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711509425
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Jungen sahen auch ziemlich mitgenommen aus. Die ganze Klasse gegen drei Zirkuskinder, weil einer von ihnen Pennys Vater einen Mogelanten genannt hatte. Das war alles so widerlich und scheußlich, daß ich am liebsten heimgerannt und nie wieder in diese Klasse gegangen wäre. Ich hätte es vielleicht tun können, denn ich bin ja sozusagen freiwillig dort, aber ich konnte selbstverständlich Penny nicht im Stich lassen. Penny war ganz weiß im Gesicht, und ihr Blick war zum Fürchten.

      Wie gesagt, Herrn Körner war es schließlich gelungen, Ruhe zu schaffen, er befahl mit gewollt lustiger Stimme, das Gepäck wieder aufzunehmen. Überall lagen weggeworfene Taschen und Beutel herum, Rucksäcke trägt man ja auf einem so kleinen Wandertag nicht, und wir zogen los, auf den Hohenstaufen hinauf. Das Steigen ist anstrengend, und dadurch kamen die Kampfhähne auch einigermaßen wieder zu sich und zur Vernunft, und als wir oben angekommen waren, hörten alle geduldig das an, was Herr Körner von den Staufen und Büren erzählte. Eine Burg gibt es auf dem Berg nicht mehr, nur eine Tafel, auf der einiges steht. Ich sah das alles wie durch einen Nebel und hab’ alles wieder vergessen, ich guckte nur immer aus den Augenwinkeln zu Penny hinüber, die mir unheimlich vorkam. Der Ausflug war verdorben und mißglückt, das wußten wir alle. Herr Körner hatte eigentlich vorgehabt, mit uns noch auf den Rechberg hinüberzuwandern, aber er überlegte es sich anders und bog an der Stelle, wo der Asrücken beginnt, wieder nach dem Dorf zu ab und schickte uns alle nach Hause. Ich war froh – nein, nicht froh, froh wurde ich den ganzen Tag nicht mehr, aber es war mir lieb, heim zu dürfen. Es wäre nie mehr hübsch geworden auf dieser Wanderung.

      Das schlimmste an dieser Geschichte war, daß wir gar nicht darüber sprechen konnten, auch Penny und ich nicht. Natürlich war ich voll und ganz auf Pennys Seite, auch Zauberkünstler ist ein Beruf, und daß gerade Leute vom Zirkus ihn schlechtmachten, konnte ich eigentlich nicht verstehen. In manchen Zirkussen treten ja schließlich Zauberkünstler auf.

      Vielleicht dachte Gero, Pennys Vater kennt vielleicht kleine Tricks und verblüfft das Publikum, während sie selbst alle schwer arbeiten und unermüdlich trainieren müssen. Rupert sagte später einmal so etwas, als wir ihm davon erzählten; wir haben ihm davon erzählt, aber erst viel später. Vorläufig sprachen wir mit niemandem darüber, auch wir beide untereinander nicht, und am nächsten Tag kam dann die Polizei. Gleich am Morgen, wir waren noch nicht aufgestanden. Tante Trullala rief uns.

      Der Polizist sagte, die Frau des Zirkusdirektors wäre bei ihm gewesen und habe getobt und geschrien und sich beschwert, jemand hätte nachts die Scheune aufgemacht, in der die Zirkustiere untergebracht waren, alle Ponys und den Schimmel losgebunden und hinausgejagt. Das schlimmste aber sei: Der Bär sei auch fort. Wenn ihnen den jemand erschösse, sei es sehr schlimm, denn er sei unersetzlich! So, da hatten wir es.

      Penny und ich kamen ins Wohnzimmer, als Tante uns gerufen hatte, und da war der Polizist gerade so weit mit seiner Erzählung. Wir hörten noch, wie er sagte, er könne es zwar nicht beweisen, daß wir es gewesen wären, die den Zirkusleuten diesen Streich gespielt hätten, aber es läge nahe, denn wir wären ja dauernd im Zirkus und darum herum gewesen. Und der Mann von der Zirkusfrau, der Direktor selbst, sei krank und könne nichts tun, er läge seit zwei Tagen mit einer schweren Bronchitis im Bett, und ...

      „Wir müssen los und die Ponys einfangen!“ stammelte Penny, als der Polizist einmal eine Pause machte. „Sie kennen sich doch hier gar nicht aus und laufen womöglich auf Autostraßen, wo sie überfahren werden können ...“

      „Vor allem muß der Bär gefunden werden“, sagte der Polizist und sah Penny scharf an. „Wo ist er? Sag es lieber gleich!“

      „Woher soll ich denn das wissen?“ fragte Penny und wurde dunkelrot, aber nur einen Augenblick lang. Dann war es, als wiche alles Blut aus ihrem Gesicht, und sie sah schneeweiß aus.

      Da mischte sich Rupert ein, der inzwischen dazugekommen war, und fragte, wieso es denn ausgerechnet Penny gewesen sein sollte, die den Bären losgebunden hatte. Da sagte der Polizist eigentlich etwas sehr Nettes. Er brummte, ein wenig verlegen: „Na, trauen Sie das etwa sonst jemandem aus dem Dorf zu? So was bringt doch nur unsere kleine Penny fertig, die sich nicht vor dem Deuwel fürchtet!“

      „Unsere kleine Penny“, sagte er. Es stieg mir heiß in die Kehle, und auch Penny tat es gut, ich sah es an ihrem Gesicht. Irgend etwas darin entspannte sich, und jetzt konnte sie auch wieder sprechen. Vorher war sie wie erstarrt gewesen.

      „Wir fangen die Ponys wieder ein, wir haben ja Praxis im Einfangen“, sagte sie eifrig. „Ich meine, neulich haben wir ein Reh fangen müssen ...“ Sie wurde ganz eifrig, ganz die alte Penny, die übersprudelt, wenn sie etwas erzählen will, und es hätte wahrhaftig nicht viel gefehlt, da hätte sie dem Polizisten die Susi-Geschichte in allen Einzelheiten erzählt. Er schmunzelte.

      „Und den Bären fängst du auch?“ fragte er freundlich. Penny nickte stürmisch.

      „Wenn ich ihn finde. Natürlich! Wenn er den Zirkusleuten nichts tut – man könnte ihn ja mit etwas locken, was er gern frißt. Mit Honig – oder –“

      „Vor allem aber werde ich mich mal darum kümmern, daß der Zirkusdirektor Besuch von einem Arzt bekommt oder zu einem Arzt gebracht wird“, sagte Rupert und saß schon halb in seinem Auto, „alles andere findet sich. Wie wäre es, wenn Sie, Herr Oberwachtmeister –“, das hörte der Polizist gern, „– in die Schule führen und die ganze Sache Herrn Körner berichteten? Dann könnten alle Schulkinder suchen helfen, und wir hätten die Ponys schnell wieder, ehe etwas passiert. Oder ist es gefährlich wegen des Bären?“

      „Wir müssen sehen. Weit kann er ja nicht sein, der Meister Petz“, erwiderte der Polizist.

      „Ich meine, ich finde ihn“, sagte Rupert. „Wenn er erst gefunden und sichergestellt ist, kann die Ponyjagd beginnen.“

      Er lachte den Polizisten an und winkte ihm, einzusteigen. Und wir? Natürlich wollten wir den Bären finden ...

      „Erst kommt mal in die Küche, und eßt und trinkt etwas“, sagte Tante Trullala energisch. „Eher geht man nicht auf Bärenjagd. Vermutlich sehe ich euch dann so bald nicht wieder. Los, jetzt wird gefuttert, Aufregungen machen immer hungrig.“

      „Weißt du, wer es war?“ fragte Penny mich, als wir einen Augenblick allein waren. „Niemand anderes als Marfa selbst! Die hat es getan, um uns die Schuld zuzuschieben!“

      „So ein Mistvieh!“ sagte ich sofort. „Ich hab’ mir das nämlich auch schon gedacht.“

      „Mistvieh“, wiederholte Penny. Sie sagte es anders als ich, halblaut, wo ich herausgeplatzt war, und nachdenklich. „Mistvieh – natürlich ist es gemein, jemanden zu verdächtigen, der es nicht war. Aber weißt du, gestern hat mir Marfa richtig leid getan. Wie die Jungen sich hauten, und alle waren gegen sie, gegen sie und ihre Brüder, alle zusammen ...“

      Ich schwieg. Da kam Tante Trullala schon wieder herein, und wir konnten nicht weiterreden. Sie kochte uns einen dicken Kakao und strich uns Brote, und dabei sprach sie ununterbrochen. Das heißt, das ist nicht ganz richtig, sie unterbrach sich selbst immerzu, aber sie redete und redete ...

      ... daß wir den Bären nicht anfassen dürften und um Gottes willen auf keinen Fall versuchen sollten, uns auf eines der Ponys zu setzen, und die Hunde sollten wir mitnehmen, zum Schutz, aber vielleicht verjagten sie nur die Ponys ...

      So ging es, ohne Pause. Wir futterten und sagten dazwischen ja und ha und hm, und schließlich waren wir fertig. Als Tante einmal draußen war, nahm ich schnell ein kleines Glas mit Honig vom Bord. Es hatte einen Schraubdeckel, und so konnte man es gut einstecken. Wir nahmen Bella und Boss an die Leine. Rupert kam zurück und meldete, die Polizei habe durch Funk bekanntgegeben, daß Ponys in der Gegend frei herumliefen, die Autofahrer sollten achtgeben. Diese Gefahr war also schon verringert. Wir hatten aber unsern eigenen Plan.

      Erst taten wir, als gingen wir zur Schule, wo Herr Körner dabei war, die größeren Schüler in Trupps einzuteilen, die miteinander losgehen sollten. Wir liefen aber in die Scheune, in der die Tiere gewesen waren. Die liegt ja oberhalb unseres Hauses am Hang, und wir konnten dorthin, ohne daß Tante etwas merkte.

      Die Tür stand offen,