Und in der That hatte sich Silas Toronthal seit wenigen Monaten, wenigstens nach der moralischen Seite hin, wesentlich geändert. So sehr er sich auch zu beherrschen verstand, sein Aussehen war trotzdem ohne sein Wissen ein anderes geworden. Er war nicht mehr, wie einst, Herr über sich selbst. Beobachter hätten bemerken können, daß er den Leuten nicht mehr ins Gesicht zu sehen wagte, so wie es einst bei ihm Gewohnheit gewesen war, sondern sie mit halbgeschlossenem Auge und von der Seite anblickte. Diese Anzeichen waren auch der Aufmerksamkeit seiner Frau nicht entgangen, einer stets kränklichen Dame, die keine Energie besaß, sich ihrem Gatten willenlos unterwarf und, der Absicht desselben gemäß, nur eine sehr oberflächliche Idee von dessen Geschäft hatte.
Sollte ein tödtlicher Schlag das Haus des Banquiers einstmals treffen, so hatte Silas Toronthal von der öffentlichen Theilnahme gewiß nichts Gutes zu erwarten. Obgleich er zahlreiche Kunden in der Stadt und auf dem Lande besaß, so konnte er doch thatsächlich nur auf wenige Freunde zählen. Die hohe Meinung, welche er von seiner Lebensstellung hatte, seine angeborene Eitelkeit, eine gewisse Ueberlegenheit, die er Allem und jeder Sache gegenüber anzunehmen pflegte, waren nicht geeignet, einen anderen als einen geschäftlichen Verkehr mit ihm anzubahnen. Die Triestiner sahen in ihm auch den Fremden, da er aus Ragusa stammte und von Geburt Dalmatiner war. Es fesselten ihn also keine verwandtschaftlichen Bande an die Stadt, in der er vor fünfzehn Jahren den Grundstein zu dem Gebäude seines Glückes gelegt hatte.
In dieser Lage befand sich zur Zeit das Haus Toronthal. Wenn auch Sarcany Verdacht in obiger Hinsicht hegte, so bestätigte noch nichts das Gerücht, daß die Geschäfte des reichen Banquiers ernstlich verwickelt wären. Sein Kredit hatte noch keine Beanstandung erfahren, öffentlich wenigstens nicht. Daher hatte auch Graf Sandorf nach Flüssigmachung seiner Gelder nicht gezögert, ihm eine beträchtliche Summe anzuvertrauen – eine Summe, die stets zu seiner Verfügung gehalten werden sollte, mit der Verpflichtung, dieselbe vierundzwanzig Stunden vor der Empfangnahme kündigen zu müssen.
Man ist vielleicht erstaunt darüber, daß zwischen diesem Bankhause, das zu den ehrenhaftesten gezählt wurde, und einer Persönlichkeit gleich der Sarcany's eine Verbindung existiren konnte. Es war dies aber der Fall, und zwar bestand dieses Verhältniß schon seit zwei oder drei Jahren.
Damals pflegte Silas Toronthal einen ausgedehnten geschäftlichen Verkehr mit der Regierung von Tripolis. Sarcany, Allerwelts-Commissionär und ein Licht in Zahlenangelegenheiten, gelang es, sich in diese Geschäfte hineinzudrängen, die gewiß nicht über jeden Zweifel erhaben waren. Es mußten da gewisse, besser verschwiegen bleibende Fragen, betreffend Extrazugaben bei Käufen, zweifelhafte Aufträge, wenig ehrenhafte Vorausbezahlungen erledigt werden, bei denen der Triester Banquier nicht mit seiner Person hervortreten wollte. Unter diesen Umständen war Sarcany der Agent für diese mißlichen Combinationen geworden, und er leistete dem Banquier auch noch andere Dienste ähnlicher Art. Damit war die Gelegenheit, einen Faß in das Bankhaus setzen zu können, wie von selbst gekommen, oder es war vielmehr die Hand, von der das gesagt werden muß. Denn nachdem Sarcany Tripolis verlassen, hörte er nicht auf, dem Banquier gegenüber eine Art Gelderpresser zu sein. Damit ist noch nicht gesagt, daß der Banquier ihm auf Gnade und Barmherzigkeit überliefert war, denn ein materieller Beweis für jene bloßstellenden Operationen war nicht vorhanden. Aber trotzdem war die Lage des Banquiers eine delicate. Ein Wort genügte, ihm genug Unannehmlichkeiten zu bereiten. Sarcany wußte aber viele Worte und deshalb mußte Toronthal mit ihm rechnen.
Er zahlte also. Sarcany kostete ihn ganz bedeutende Summen, die mit der größten Leichtfertigkeit, namentlich in den Spielhöllen, wieder ausgegeben wurden, mit jener Ungenirtheit des Abenteurers, der um die Zukunft unbesorgt ist.
Ansicht von Triest.
Nachdem Sarcany den Banquier nunmehr in Triest selbst aufgesucht hatte, war er so unverschämt und diesem so unbequem geworden, daß dem Banquier die Sache schließlich zu arg wurde und er Sarcany jeden ferneren Kredit kündigte. Sarcany drohte, Silas Toronthal blieb standhaft. Und er hatte Recht, denn der »Meistersinger« mußte schließlich sich selbst eingestehen, daß er in Ermangelung directer Beweise keine oder so gut wie keine Waffen in der Hand hatte.
Das war der Grund, weshalb Sarcany und sein ehrenhafter Gefährte Zirone schon seit geraumer Zeit mit ihren Einnahmen am Ende waren; sie besaßen selbst nicht so viel mehr, um die Stadt verlassen und anderswo ihr Heil versuchen zu können. Wir wissen aber auch bereits, daß Silas Toronthal ihnen noch eine letzte Unterstützung zu Theil werden ließ, um sich ihrer endgiltig zu entledigen. Diese Summe sollte es jenen möglich machen, von Triest nach Sicilien zurückkehren zu können, woselbst Zirone zu einer zweifelhaften Vereinigung gehörte, welche die östlichen und die inneren Provinzen des Landes beunruhigte. Der Banquier durfte also hoffen, daß er seinen tripolitanischen Makler nicht wiedersehen, daß er nichts mehr von ihm hören würde. Er täuschte sich hierin wie in vielen anderen Beziehungen.
Am Abend des 18. Mai war es gewesen, als die zweihundert Gulden, die Toronthal gesandt, nebst den wenigen sie begleitenden Worten, im Hotel in dem die zwei Abenteurer wohnten, abgegeben wurden.
Sechs Tage später, also am 24. desselben Monates, fand sich Sarcany im Hause der Bank ein. Er begehrte zu Silas Toronthal geführt zu werden, und seine Forderung war eine so hartnäckige, daß man ihm schließlich willfahren mußte.
Der Banquier befand sich in seinem Cabinet, dessen Thür Sarcany sorgfältig hinter sich schloß, sobald man ihn hineingeführt hatte.
»Sie noch hier?! fuhr ihn Silas Toronthal an. Was wollen Sie hier? Ich habe Ihnen bereits, zum letzten Male, Geld geschickt, damit Sie Triest verlassen können! Mehr bekommen Sie von mir nicht, da können Sie noch so viel reden und noch so viel thun. Warum sind Sie nicht abgereist? Ich erkläre Ihnen, daß ich meine Vorsichtsmaßregeln treffen werde, um für die Folge Ihre Erpressungen zu vereiteln. Was wollen Sie von mir?«
Sarcany hatte dieser Worthagel, auf den er vorbereitet gewesen war, sehr kühl gelassen. Selbst von der unverschämten Haltung, die er bei seinen letzten Besuchen in diesem Hause anzunehmen pflegte, war heute nichts mehr zu sehen.
Er war nicht nur vollständig Herr seiner selbst, sondern auch sehr ernst. Er rollte sich, ohne dazu aufgefordert zu sein, einen Stuhl heran; dann wartete er geduldig, bis die schlechte Laune des Banquiers sich in lärmenden Beschuldigungen Luft gemacht hatte.
»Werden Sie nun endlich reden? fragte Toronthal von Neuem, nachdem das Gehen und Kommen in seinem Arbeitszimmer aufgehört hatte; auch er setzte sich jetzt, konnte aber noch immer nicht seine Ruhe wiederfinden.
– Ich warte, bis Sie sich beruhigt haben werden, antwortete Sarcany gelassen, und ich werde, wenn es nöthig ist, noch länger warten.
– Es geht Sie wenig an, ob ich ruhig bin oder nicht. Zum letzten Male: was wünschen Sie?
– Silas Toronthal, erwiderte Sarcany, ich habe Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen.
– Ich habe weder Lust, mit Ihnen von Geschäften zu sprechen, noch solche mit Ihnen zu machen! rief der Banquier. Wir haben mit einander nichts mehr zu schaffen, und ich verlasse mich darauf, daß Sie noch heute Triest auf Nimmerwiedersehen verlassen.
– Gewiß will ich Triest verlassen, aber nicht früher, als bis ich meine Schulden bei Ihrem Hause getilgt habe.
– Sie Schulden tilgen? Sie wollen mir etwas wiedergeben?
– Ich will Ihnen Zinsen und Kapital zurückgeben, ohne den Antheil an dem Gewinn zu zählen aus...«