Stephan Bathory hatte eine nicht weniger bescheidene Wohnung in der Corsia Stadion inne, also fast in demselben Stadttheile wie Graf Zathmar. Sein ganzes Interesse drehte sich um seine Frau und seinen Sohn Peter, der damals acht Jahre alt war.
Bathory gehörte zwar nicht in gerader Linie, jedoch nachweislich zu dem Stamme jener magyarischen Fürsten, welche im sechzehnten Jahrhunderte den Thron Siebenbürgens innehatten. Die Familie hatte sich gespalten und seit jener Zeit in zahlreiche Abzweigungen verloren, und man wäre sicherlich erstaunt gewesen, einen der letzten Abkömmlinge in einem bescheidenen Professor der Preßburger Akademie wiederzufinden. Davon ganz abgesehen, war Stephan Bathory ein Gelehrter ersten Ranges, einer von denen, die in der Zurückgezogenheit leben und durch ihre Arbeiten berühmt werden »Inclusum labor illustrat«, diese Devise, die man dem Seidenwurm ertheilt, hätte auch die seinige sein können. Eines Tages zwangen ihn seine politischen Ansichten, aus denen er kein Hehl machte, seine Entlassung zu fordern, und damals war es, als er sich in Triest als unabhängiger Professor mit seiner Frau niederließ, welche ihm in seinen Prüfungen wacker zur Seite gestanden war.
In der Behausung von Ladislaus Zathmar vereinigten sich seit der Ankunft des Grafen Sandorf die drei Freunde, obgleich der Letztere absichtlich darauf bestanden hatte, eine Wohnung im Palazzo Modello – oder richtiger Hôtel Delorme – auf der Piazza Grande für sich zu miethen. Die Polizei hatte keine Ahnung davon, daß das Haus im Acquedotto die Centralstelle einer Verschwörung war, welche zahlreiche Anhänger in den größten Städten des Reiches hatte.
Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory hatten sich ohne Bedenken zu ergebenen Bundesgenossen des Grafen Sandorf bekannt. Sie hatten ebenso, wie er, eingesehen, daß die Umstände sehr wohl einer Bewegung dienlich sein könnten, welche Ungarn die Machtstellung in Europa wiedergeben würde, die es ehrgeizig für sich erstrebte. Dieser Plan kostete sie vielleicht ihr Leben, das wußten sie wohl, doch ließen sie sich deshalb von ihrem Vorhaben nicht abhalten. Das Haus im Acquedotto wurde also der Sammelplatz der hervorragendsten Führer der Verschwörung. Eine große Zahl von Parteigängern, aus den verschiedensten Theilen des Landes hierher entboten, holten sich von hier ihre Befehle. Ein Brieftaubendienst, der zur Ueberbringung von Mittheilungen eingerichtet wurde, stellte eine schnelle und sichere Verbindung zwischen Triest und den bedeutendsten Städten Ungarns und Siebenbürgens her, als es sich um Unterweisungen zu handeln begann, welche weder der Post noch dem Telegraphen anvertraut werden durften. Kurz die Vorsichtsmaßregeln waren so vorzüglich getroffen, daß auf die Verschwörer bis dahin auch nicht der geringste Verdacht gefallen war.
Uebrigens wurde auch, wie man weiß, die Correspondenz nur in chiffrirter Sprache geführt, und zwar nach einer Methode, die, weil sie Geheimhaltung erforderte, eine unbedingte Sicherheit gewährte.
Drei Tage nach der Ankunft jener Brieftaube, deren Billet von Sarcany aufgefangen war, am 21. Mai, gegen acht Uhr Abends, befanden sich Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory im Arbeitscabinet in der Erwartung der Rückkehr von Mathias Sandorf. Seine persönlichen Angelegenheiten hatten ihn jüngst genöthigt, nach Siebenbürgen und auf sein Schloß Artenak zurückzukehren; die Reise war ihm aber insofern von Nutzen, als sie ihm ermöglichte, mit seinen Freunden in Klausenburg, der Hauptstadt der Provinz, conferiren zu können, und nun sollte er am besagten Tage von dort wieder eintreffen, nachdem er jenen den Inhalt der Depesche mitgetheilt, von der Sarcany eine Abschrift genommen hatte.
Seit der Abreise des Grafen Sandorf waren noch andere Briefe zwischen Triest und Budapest ausgetauscht, auch waren mehrere chiffrirte Billets durch Tauben überbracht worden. Gerade in diesem Augenblicke beschäftigte sich Ladislaus Zathmar damit, die Geheimschrift mit derjenigen Einrichtung in verständliche Worte zu bringen, die unter Bezeichnung der »Gitter« bekannt ist.
Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory befanden sich im Arbeitscabinet.
Diese Depeschen waren in Wahrheit nach einem sehr einfachen System erdacht worden, nach demjenigen der Buchstabenumstellung. In diesem System behält jeder Buchstabe seinen alphabetischen Werth, b bedeutet also auch b, o heißt o und so fort. Aber die Buchstaben werden der Reihe nach umgestellt gemäß den leeren oder besetzten Feldern des Gitters, welches, auf die Depesche gelegt, die Buchstaben nur in der Reihenfolge erscheinen läßt, nach der sie zu
Unsere Parteigänger sind in der Majorität.
lesen sind und die übrigen verdeckt. Diese Gitter sind schon vor Alters angewendet, doch neuerdings nach dem System des Oberst Fleißner sehr vervollständigt worden; sie gelten bis jetzt noch als das beste und sicherste Verfahren, wenn es sich darum handelt, eine unentzifferbare Geheimschrift zu erhalten. Alle anderen Umkehrungsmethoden – gleichviel, ob es Systeme mit unveränderlicher Basis oder einfache Schlüsselsysteme sind, bei welchen jeder Buchstabe des Alphabets stets durch denselben Buchstaben oder durch dasselbe Zeichen angedeutet wird oder Systeme mit veränderlicher Basis oder doppelte Schlüsselsysteme, bei denen man bei jedem Buchstaben mit dem Alphabete wechselt – gewähren keine ausschließliche Sicherheit. Einzelne geübte Entzifferer sind im Stande, in dieser Art von Ermittlungen dadurch Wunderdinge zu leisten, daß sie mit einer Wahrscheinlichkeitsberechnung oder einem bloßen Umhertappen operiren. Sie stützen sich auf nichts weiter als auf die Buchstaben, deren häufigerer Gebrauch auch ein zahlreicheres Vorkommen in der Gesammtheit bedingt – e in der französischen, englischen und deutschen, o in der spanischen, a in der russischen, e und i in der italienischen Sprache – und kommen so dahin, den Buchstaben im chiffrirten Texte die Bedeutung unterzulegen, welche sie in dem übertragenen Wortlaute haben. Es gibt wenige, nach diesen Methoden chiffrirte Depeschen, welche ihren klugen Berechnungen sich verschließen können.
Es scheint doch, daß die Gitter oder die chiffrirten Wörterbücher – das heißt also solche, in denen gewisse gebräuchliche Worte, welche geschlossene Redensarten bedeuten, durch Zahlen angegeben werden – die vollkommensten Garantien für die Unmöglichkeit der Entzifferung bieten. Aber diese beiden Systeme haben einen bedenklichen Nachtheil: sie erfordern ein absolutes Geheimhalten oder vielmehr die Verpflichtung, wo man auch immer sein möge, niemals in die Hände Fremder die Zurichtungen oder Bücher fallen zu lassen, welche zu ihrer Herstellung dienen. Während man ohne Gitter oder Wörterbuch nie dahin kommen kann, diese Depeschen zu lesen, ist alle Welt im Stande, sie zu verstehen, sobald das Wörterbuch oder das Gitter gestohlen worden ist.
Mit Hilfe eines Gitters also, beziehungsweise eines Ausschnittes aus Pappe, welcher an mehreren Stellen durchlöchert war, wurden die Correspondenzen des Grafen Sandorf und seiner Genossen hergestellt; durch ein Uebermaß von Vorsicht aber konnten ihnen selbst dann keine Unannehmlichkeiten entstehen, wenn die Gitter, welche er und seine Freunde benützten, verloren gingen oder gestohlen wurden; denn jede Depesche wurde sofort, nachdem sie der eine oder der andere Theil gelesen, vernichtet. Es konnte also niemals eine Spur dieses Complottes zurückbleiben, für welches die edelsten Herren, die Magnaten Ungarns, zugleich mit den Vertretern der Bürgerschaft und des Volkes ihren Kopf einsetzten.
Gerade als Ladislaus Zathmar die letzten Depeschen verbrennen wollte, wurde leise an der Thüre des Cabinets geklopft.
Borik war es, der den Grafen Sandorf hereinführte, welcher zu Fuß vom nahen Bahnhofe gekommen war.
Ladislaus Zathmar eilte sofort auf ihn zu:
»Der Erfolg Ihrer Reise, Mathias? fragte er mit der Hast eines Mannes der vor allen Dingen beruhigt sein will.
– Sie ist geglückt, Zathmar, antwortete Graf Sandorf. Ich konnte nicht an den Gesinnungen meiner siebenbürgischen Freunde