Mathias Sandorf. Jules Verne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jules Verne
Издательство: Bookwire
Серия: Jules-Verne-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955015725
Скачать книгу
Silas Toronthal und Sarcany trennten sich. Wenn sie einen Vortheil aus dem Geheimniß ziehen, welches ihnen der Zufall enthüllt hatte, wenn sie die Verschwörer zur Anzeige bringen wollten, noch ehe der Aufruhr zum offenen Ausbruch kam, so mußte schnell gehandelt werden.

       Vorläufig war Sarcany wie gewöhnlich in das Haus von Ladislaus Zathmar zurückgekehrt. Er hatte dort seine Regulirungsarbeiten wieder aufgenommen, die ihrem Ende zuneigten. Graf Sandorf selbst sagte ihm unter verbindlichem Danke für den bewiesenen Eifer, daß er in acht Tagen seiner Dienste nicht mehr benöthigen würde. Das bedeutete in Sarcany's Augen zweifellos, daß um diese Zeit von Triest aus das erwartete Signal an die ersten Städte Ungarns ergehen würde.

       Er fuhr also fort, mit der größten Sorgfalt zu beobachten, was im Hause Zathmar's vor sich ging, ohne indessen seinerseits Verdacht zu erregen. Er hatte sich sogar so intelligent gezeigt, er schien so sehr mit liberalen Ideen erfüllt zu sein und hatte so wenig seine unbesiegbare Abneigung, die er gegen die deutsche Rasse zu empfinden vorgab, verhehlt, also im Ganzen und Großen seine Rolle so gut gespielt, daß Graf Sandorf schon daran dachte, ihn später ganz an sich zu fesseln, wenn erst die Erhebung Ungarn zum freien Lande gemacht haben würde. Borik war der Einzige gewesen, der sich nicht von seinem Werthe hatte überzeugen lassen wollen; dieser war von den Vorurtheilen, welche ihm der junge Mann von Anfang an eingeflößt, nicht zurückgekommen.

       Sarcany hatte also sein Ziel erreicht.

       Am 8. Juni sollte, gemäß der Verabredung mit seinen Freunden, Graf Sandorf das Zeichen zum Aufstande geben, und dieser Tag war herangekommen

       Aber das Werk der Angeberei war ebenfalls vollendet.

       Am Abend dieses Tages gegen acht Uhr umzingelte die Triester Polizei plötzlich das Haus Ladislaus Zathmar's. Jeder Widerstand war unmöglich. Graf Sandorf, Graf Zathmar, Professor Bathory, Sarcany sogar, der übrigens keine Verwahrung einlegte, und Borik wurden verhaftet, ohne daß Jemand von ihrer Aufhebung Kenntniß erhielt.

      Fünftes Capitel. Vor, während und nach der Verhandlung.

       Istrien, welches durch die Verträge von 1815 der österreichisch-ungarischen Monarchie einverleibt wurde, bildet eine fast dreieckige Halbinsel, deren Isthmus die Basis auf der breitesten Seite des Dreiecks bildet. Diese Halbinsel erstreckt sich vom Meerbusen von Triest bis zu dem von Quarnero, auf welcher Strecke zahlreiche Häfen sich vorfinden. Unter anderen öffnet sich der Schifffahrt, fast an der südlichsten Spitze, der Hafen von Pola, dessen Regierung sich damals damit befaßte, ein Seearsenal ersten Ranges daselbst anzulegen.

       Diese istrische Provinz ist, vornehmlich an den westlichen Küsten, in Sitten und Sprache noch vollständig italienisch, noch besser gesagt, venetianisch geblieben. Allerdings kämpft dort das slavische gegen das italienische Element sehr an; aber so viel steht fest, daß die deutsche Strömung sich nur mit Anstrengung zwischen beiden gehalten hat.–

       Mehrere bedeutende Städte an der Küste und im Innern haben Leben in diese Gegend gebracht, welche von den Gewässern der nördlichen Adria bespült wird. So Capo d'Istria und Pirano, deren Salzsieder-Bevölkerung fast ausschließlich in den großen Salinen an der Mündung des Risano und der Corna-Lunga arbeitet; Parenzo, Sitz der Regierung und Wohnort des Bischofs; Rovigno, reich an Olivenproduction; Pola, woselbst die Touristen mit Vorliebe die herrlichen Denkmäler römischen Ursprunges besuchen und welches bestimmt ist, der wichtigste Kriegshafen längs des ganzen Adriatischen Meeres zu werden.

Image

       Jeder Widerstand war unmöglich.

      Aber keine der genannten Städte hat das Recht, sich die Hauptstadt Istriens zu nennen. Pisino, fast in der Mitte des Dreiecks gelegen, hat allein Anspruch auf diesen Titel, und dorthin wurden die Gefangenen ohne ihr Wissen nach ihrer geheimnißvollen Verhaftung gebracht.

       Vor der Thür des Hauses Ladislaus Zathmar's erwartete sie eine Postkutsche. Alle vier bestiegen dieselbe und zwei österreichische Gensdarmen – solche, die für die Sicherheit der Reisenden auf den istrischen Gefilden vortrefflich sorgen – nahmen bei ihnen Platz. Es war ihnen streng verboten worden, während dieser Reise auch nur das geringste Wort mit einander zu wechseln, damit sie keine Gelegenheit hatten, sich gegenseitig auszusprechen oder ein übereinstimmendes Verhalten zu verabreden. Erst dem Richter hatten sie Rede zu stehen.

       Eine Escorte von zwölf berittenen Gensdarmen unter Führung eines Lieutenants trabte voraus, hinterher und zu beiden Seiten der Postkutsche, die zehn Minuten später die Stadt verlassen hatte. Borik wurde direct in das Triester Gefängniß zur Einzelhaft abgeführt.

       Wohin brachte man die Gefangenen? In welche Festung Oesterreichs sollten sie eingeschlossen werden, wenn das Castell von Triest nicht Sicherheit genug bot? Mathias Sandorf und seine Freunde hatten ein großes Interesse daran, sich das zu fragen, sie mühten sich indessen vergebens ab, das Richtige zu finden.

       Die Nacht war dunkel, kaum daß die Laternen des Wagens ihr Licht bis zur vorderen Reihe der Escorte warfen. Man fuhr schnell vorwärts. Mathias Sandorf, Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar lehnten stumm in ihren Ecken. Sarcany selbst wagte nicht das Schweigen zu unterbrechen, weder Verwahrung gegen seine Verhaftung einzulegen noch zu fragen, warum dieselbe erfolgt war.

       Nachdem die Postkutsche Triest verlassen, wandte sie sich wieder mit einer Wendung in schräger Richtung gegen die Küste. Graf Sandorf glaubte durch das von dem Getrappel der Pferde und dem Klirren der Säbel verursachte Geräusch das ferne Brausen der gegen die Uferfelsen schlagenden Brandung zu vernehmen. Während eines Augenblickes blitzten Lichter durch die Nacht, sie erloschen eben so schnell. Es war der Flecken Muggia, durch den der Wagen fuhr, ohne indessen Halt zu machen. Graf Sandorf glaubte dann zu bemerken, daß die Landstraße wieder in die Campagna hineinführte.

       Um elf Uhr Abends hielt der Wagen, um frischen Vorspann zu nehmen. An einer einsamen Farm standen die fertig angeschirrten Pferde bereit. Es war das keine Poststation. Man hatte also vermeiden wollen, an derjenigen von Capo d'Istria den Pferdewechsel vorzunehmen.

       Die Escorte setzte sich in Bewegung. Der Weg führte durch Weingehege, deren Reben sich in Form von Gehängen um die Zweige der Maulbeerbäume schlangen und bewegte sich stets in der Ebene, so daß nichts den Postillon hinderte, in rasender Eile zu fahren. Die Dunkelheit war um so undurchdringlicher, als dichte, von einem ziemlich heftigen, warmen Südostwinde getriebene Wolken den ganzen Himmelsraum erfüllten. Obgleich die Scheiben der Wagenschläge von Zeit zu Zeit heruntergelassen wurden, um frische Luft in das Innere dringen zu lassen – die Juninächte sind in Istrien heiß –, war es doch unmöglich, selbst auf eine kurze Entfernung hin etwas zu erkennen. So große Aufmerksamkeit auch Graf Sandorf, Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory den kleinsten Anhaltspunkten während der Fahrt schenkten, dem Winde und der seit der Abfahrt verflossenen Zeit, so vermochten sie doch nicht zu erkennen, in welcher Richtung die Postkutsche sich bewegte. Man beabsichtigte zweifellos, daß die Verhandlung dieser Angelegenheit in aller Stille und an einem dem Publicum unbekannt bleibenden Orte vor sich gehen sollte.

       Gegen zwei Uhr Morgens nahm man abermals einen Relais. Auch jetzt, wie beim ersten Male, dauerte die Umwechslung nicht länger als fünf Minuten.

       Graf Sandorf glaubte in der Dunkelheit einige am äußersten Ende einer Straße stehende Häuser zu bemerken, welche die Grenze einer Vorstadt zu bilden schienen.

       Es war Buja, die Hauptstadt eines Districtes, ungefähr zwanzig Meilen südlich von Muggia gelegen.

       Während die frischen Pferde angeschirrt wurden, sagte der Gensdarmerielieutenant dem Postillon einige Worte mit leiser Stimme und die Postkutsche rasselte im Galopp davon.

       Gegen drei und ein halb Uhr mußte der Tag anbrechen. Eine Stunde später hätten die Gefangenen die bis dahin eingehaltene Richtung der Fahrt an dem Stande der Sonne sehr gut erkennen können, wenigstens so weit, ob sie nach Norden oder Süden geführt würden. Aber in demselben Augenblicke ließen auch schon die Gensdarmen die Fensterleder herunter und das Innere des Wagens hüllte sich in undurchdringliche Finsterniß.

       Weder Graf Sandorf noch seine Freunde konnten