Mathias Sandorf. Jules Verne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jules Verne
Издательство: Bookwire
Серия: Jules-Verne-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955015725
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Eine merkwürdige Erscheinung, die aber vollständig durch die Gesetze der Akustik zu erklären war, sollte ihm endlich das langgesuchte Geheimniß aufdecken, auf dessen Offenbarung er kaum noch zu hoffen gewagt hatte.

       Schon einige Male hatte Graf Sandorf nahe dem Winkel auf seiner Wanderung Halt gemacht, welchen die innere Scheidewand mit der äußeren Mauer des Corridors bildete, auf den sich die verschiedenen in diesem Stockwerk gelegenen Zellen des Thurmes öffneten. In dieser Ecke, dicht neben der Thür glaubte er ein, noch wenig faßbares Gemurmel entfernter Stimmen zu vernehmen. Zuerst schenkte er der Beobachtung wenig Aufmerksamkeit, aber plötzlich ließ ihn das Aussprechen eines Namens, des seinigen, schärfer hinhorchen.

       Hier spielte sich anscheinend ein akustisches Phänomen ab, ähnlich demjenigen, welches man im Inneren der Gallerien von Kirchen oder unter Wölbungen ellipsoidaler Form beobachten kann. Der Schall der Stimme ist, nachdem er den Contouren der Mauern gefolgt, von der einen Seite der Ellipse auf einen anderen Raum übergegangen, ohne von irgend einem dazwischen liegenden Punkte aufgehalten worden zu sein. Man findet diese Erscheinung in der Krypta des Pantheons in Paris, im Inneren der Kuppel von Sanct Peter in Rom; ebenfalls in der »whispering gallery«, der »tönenden Gallerie« von Sanct Paul in London. Unter den gegebenen Bedingungen wird selbst das kleinste und mit leisester Stimme gesprochene Wort deutlich im gegenüberliegenden Raume hörbar.

       Es war zweifellos, daß sich zwei oder mehrere Personen, sei es auf dem Flur selbst, sei es in einer am äußersten Ende seines Durchmessers gelegenen Zelle unterhielten und daß der Brennpunkt sich nahe der Thür der von Mathias Sandorf bewohnten Zelle befand.

       Ein Zeichen von ihm brachte seine Freunde in seine Nähe. Sie horchten mit aufmerksam gespannten Sinnen.

       Es schlugen deutlich Bruchstücke von Redewendungen an ihr Ohr, zusammenhanglose Sätze, je nachdem sich die Sprecher, selbst unmerklich, von dem Punkte entfernten, dessen Lage die Erzeugung des Phänomens ermöglichte.

       Sie hörten in Absätzen folgende Unterhaltung:

       »Morgen nach der Execution werden Sie in Freiheit gesetzt...«

       »Und dann werden die Güter des Grafen Sandorf zu gleichen Theilen...«

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       »Unsere drei Köpfe gehören Ihnen,« sagte Graf Sandorf.

      »Ohne meine Hilfe hätten Sie das Billet vielleicht nicht entziffern können...«

       »Und wenn ich es nicht vom Halse der Taube genommen hätte, würden Sie es nie in die Hände bekommen haben...«

       »Jedenfalls kann uns Niemand verdächtigen, daß es uns die Polizei zu danken hat...«

       »Und wenn selbst die Verurtheilten jetzt einen Verdacht hegen...«

       »Weder Verwandte noch Freunde, Niemand wird bis zu ihnen dringen...«

       »Auf morgen, Sarcany...

       – Auf morgen, Silas Toronthal...«

       Die Stimmen schienen sich zu entfernen und bald hörte man eine Thür sich schließen.

       »Sarcany und Silas Toronthal, sie, also sie sind es!« rief Graf Sandorf.

       Er war bleich geworden und blickte seine Freunde an. Unter einem krampfartigen Zusammenziehen hatte einen Augenblick hindurch sein Herz zu schlagen aufgehört. Seine Pupillen hatten sich erschreckend erweitert, sein Hals sich geröthet, sein Kopf schien in die Schultern gesunken zu sein, Alles zeigte den furchtbaren, bis an die äußersten Grenzen der Möglichkeit getriebenen Zorn an, der ihn durchbebte.

       »Sie, sie, diese Elenden!« wiederholte er, fast schreiend.

       Endlich kehrte ihm die Besonnenheit zurück, er blickte um sich und durchmaß den Raum mit hastigen Schritten.

       »Fliehen! rief er, wir müssen fliehen!«

       Und dieser Mann, der einige Stunden später muthig in den Tod gehen wollte, dieser Mann, der nicht einmal daran gedacht hatte, um sein Leben zu kämpfen, derselbe Mann hatte jetzt nur einen Gedanken: zu leben, um diese beiden Verräther, Toronthal und Sarcany, züchtigen zu können.

       »Ja, wir müssen uns rächen! riefen jetzt auch Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar.

       – Uns rächen? Nein! Wir wollen Gerechtigkeit üben!«

       Der ganze Charakter des Grafen Sandorf spiegelte sich in diesen Worten ab.

      Sechstes Capitel. Der Wartthurm von Pisino.

       Die Festung von Pisino gehört mit zu den wunderlichsten Bauten mittelalterlicher Festungsarchitektur. Sie macht sich mit ihrem feudalen Aussehen sehr malerisch. Es fehlen in ihren langen, gewölbten Hallen nur die Ritter, Schloßfrauen, mit langen, gestickten Gewändern und Spitzenhauben angethan an den Spitzbogenfenstern, Bogen- oder Armbrustschützen auf den ausgezackten Mauerkränzen, an den Schießscharten ihrer Gallerien, an dem Schutzgatter der Fallbrücken. Das Steinwerk steht noch unbeschädigt da, aber der Gouverneur in seiner österreichischen Uniform, die Soldaten in ihrem neuzeitigen Anzuge, die Wächter und Thorhüter, sie zeigen nichts mehr von dem halb gelben und rothen Kostüm der alten Zeit und bringen einen Mißton in diese prächtigen Ueberreste aus einem verflossenen Zeitalter.

       Von dem Wartthurme dieser Festung aus beabsichtigte Graf Sandorf während der letzten Stunden vor seiner Hinrichtung zu entfliehen. Ein unsinniger Versuch, da die Gefangenen nicht einmal wußten, wie der Thurm, der ihnen als Gefängniß diente, beschaffen war, da sie ferner das Land nicht kannten, welches sie nach vollführter Flucht durchkreuzen mußten.

       Vielleicht war es gut, daß ihr Wissen in dieser Beziehung gleich Null war. Wären sie besser unterrichtet gewesen, so würden sie wahrscheinlich vor den Schwierigkeiten, besser gesagt vor der Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens zurückgebebt sein.

       Nicht etwa, weil die Provinz Istrien ungünstige Aussichten auf ein Entkommen bietet, da Flüchtlinge, gleichviel, welche Richtung sie einschlagen würden, in wenigen Stunden stets irgend einen Punkt des Ufers erreichen müssen. Nicht etwa, weil vielleicht die Straßen Pisinos so streng bewacht werden, daß man darauf gefaßt sein muß, nach dem ersten Schritt, den man in ihnen thut, schon wieder ergriffen zu werden. Aber bis dahin war ein Entweichen aus dieser Festung, und besonders aus diesem, von den Gefangenen bewohnten Thurme für eine vollständige Unmöglichkeit gehalten worden. Ein derartiger Gedanke selbst konnte Einem kaum kommen.

       Die Lage und die äußere Gestaltung des Wartthurmes der Festung Pisino waren, wie folgt beschaffen.

       Der Thurm erhebt sich auf derjenigen Seite der Anhöhe, welche an dieser Stelle der Stadt plötzlich ein Ende macht. Wenn man sich über die Brustwehr dieser Terrasse lehnt, so taucht der Blick in einen breiten und tiefen Schlund, dessen steile Wände von langarmigen Schlingpflanzen in unentwirrbarem Gemisch umkränzt werden und schnurgerade in die Tiefe gehen. Nichts unterbricht ihre glatte Fläche. Keine Stufe zeigt sich, mit deren Hilfe man hinauf- oder herunterklettern, nirgends eine Handhabe, auf die man sich stützen könnte. Nur die in willkürlicher Ordnung sich gebenden, glatten, ausgebleichten, unbestimmten Streifen sieht man, welche die schräge Spaltung der Felsen andeuten. Wir haben mit einem Worte einen Abgrund vor uns, der unseren Blick anzieht, fesselt und welcher von dem, was da hinein geworfen wird, gewiß nichts wieder herausgibt.

       Oberhalb dieses Abgrundes steigt eine der Seitenwände des Thurmes auf, hie und da ist sie von Fenstern durchbrochen, die den Zellen in den verschiedenen Stockwerken das Licht zuführen. Wenn ein Gefangener sich aus einer dieser Oeffnungen herausgebeugt hätte, so würde er jedenfalls vor Schreck zurückgeprallt sein, wenn ihn nicht ein plötzlicher Schwindel schon zuvor in den Abgrund gerissen haben würde. Und wohin wäre er wohl gerathen, wenn er hinuntergefallen sein würde? Entweder wäre sein Körper auf den am Boden des Abgrundes befindlichen Felsen zerschmettert oder von einem Gießbache fortgeschwemmt worden, dessen Fluth zur Zeit des Wasserganges von den Bergen von einer unwiderstehlichen Kraft ist.

       Dieser Abgrund wird dort zu Lande der