Mathias Sandorf. Jules Verne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jules Verne
Издательство: Bookwire
Серия: Jules-Verne-Reihe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955015725
Скачать книгу
abzuwarten.

       Eine oder zwei Stunden später – es war schwer, die Zeit zu bestimmen – hielt der Wagen zum letzten Male; er nahm im Flecken Visinada noch einmal neuen Vorspann.

       Von diesem Augenblicke an war nichts weiter zu bemerken, als daß der Weg sehr unangenehm wurde. Der Ruf des Postillons und Peitschenknall feuerten die Pferde unablässig an, deren Hufe auf dem harten Steinboden dieser gebirgreichen Gegend laut klapperten. Einige Hügel, welche in Grau gehüllte Wäldchen bedeckten, begrenzten den Horizont. Zwei- oder dreimal konnten die Gefangenen die Töne einer Flöte vernehmen. Sie rührten von jungen Hirten her, die ihre bizarren Melodien bliesen, während sie auf ihre Heerden schwarzer Ziegen Acht gaben; aber damit war noch kein genügender Anhaltspunkt für das Erkennen der durcheilten Gegend gefunden und man mußte darauf Verzicht leisten, irgend etwas zu Gesicht zu bekommen.

       Es war so um neun Uhr Morgens herum, als die Postkutsche plötzlich eine ganz andere Fahrweise annahm. Man konnte sich nicht darüber täuschen, sie fuhr in rascher Fahrt bergab, nachdem sie die höchste Steigung der Straße erreicht hatte. Ihre Schnelligkeit war eine bedeutende und mehrfach mußte den Rädern der Hemmschuh vorgelegt werden, weil die Sache nicht ohne Gefahr war.

       In der That senkt sich die Straße, nachdem sie bis in eine sehr hügelige, vom Monte Maggiore beherrschte Region hinaufgestiegen ist in schräger Richtung auf Pisino zu. Obgleich diese Stadt noch auf einer bedeutend über dem Niveau des Meeres gelegenen Küste erbaut ist, so scheint sie doch in die Sohle eines Thales hineingerückt zu sein, wenn man die umliegenden Höhen in Berechnung zieht. Noch ehe man sie erreicht hat, bemerkt man schon den Glockenthurm, der weit über die malerisch in Etagen sich aufbauenden Häusergruppen ragt.

       Pisino ist der Hauptort dieses Districtes und zählt ungefähr fünfundzwanzigtausend Einwohner. Seine Lage in der ungefähren Mitte der dreieckigen Halbinsel ermöglicht den Zusammenfluß der Morlaken, Slaven der verschiedensten Stämme, selbst der Zigeuner, namentlich zur Zeit der Märkte, auf denen sich ein ziemlich lebhafter Handel entwickelt.

       Die Hauptstadt Istriens hat als alte Stadt ihren feudalen Charakter sich durchaus bewahrt. Man erkennt ihn namentlich an dem befestigten Schlosse, welches mehrere neuzeitigere Militärgebäude beherrscht; in ihnen haben die Verwaltungsbehörden der österreichischen Regierung ihren Sitz.

       Im Hofe dieses alten Schlosses machte am 9. Juni gegen zehn Uhr Früh die Postkutsche nach einer fünfzehnstündigen Fahrt Halt. Graf Sandorf, seine zwei Gefährten und Sarcany mußten aussteigen. Einige Minuten später wurden sie einzeln in gewölbte Zellen eingeschlossen; um zu ihnen zu gelangen, mußten sie erst an fünfzig Stufen heraufklimmen.

       Das war die Einzelhaft in ihrer ganzen Schrecklichkeit.

       Obgleich Mathias Sandorf, Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory keinen Verkehr mit einander hatten und auch ihre Gedanken nicht austauschen konnten, so bewegte sie dennoch ein und dasselbe Denken: Wie war das Geheimniß der Verschwörung entdeckt worden? Hatte der Zufall auf die Spur derselben geführt? Es hatte unmöglich etwas in die Oeffentlichkeit dringen können. Zwischen Triest und den anderen großen Städten Oesterreich-Ungarns hatte kein weiterer Briefwechsel stattgefunden. Wer also konnte der Verräther gewesen sein? Es war doch ganz undenkbar, daß jemals ein Papier in die Hände eines Spions gefallen war. Alle Documente waren vernichtet worden. Man hätte selbst die verborgensten Ecken des Hauses in der Acquedotto-Allee durchsuchen können, ohne auch nur eine einzige verdächtige Note zu finden. Und das war auch in Wahrheit so gewesen. Die Polizeibeamten hatten nichts entdeckt, bis auf das Gitter, welches Graf Zathmar nicht vernichtete, weil er sich desselben möglicherweise noch einmal bedienen mußte. Und dieser Schlüssel zur geheimen Correspondenz wurde unglücklicherweise ein belastendes Beweisstück; über den Gebrauch desselben konnte eben gar keine andere Erklärung abgegeben werden, als daß er zur Entzifferung einer Geheimschrift gedient hatte.

       In der Hauptsache beruhte Alles – was die Gefangenen allerdings nicht wissen konnten – auf der Copie des Billets, welche Sarcany, der Verabredung mit Silas Toronthal gemäß, dem Gouverneur von Triest nach Uebertragung des Wortlautes in verständliche Schrift zugestellt hatte. Aber zum Unglück genügte dieses Wenige vollständig, um eine Anklage wegen einer Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates erheben zu können. Mehr bedurfte es nicht, um Graf Sandorf und seine Freunde einer außerordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und sie vor ein Kriegsgericht zu stellen, das militärisch zu verfahren hatte.

       Es gab einen Verräther und dieser war nicht weit. Dadurch aber, daß derselbe sich ohne ein Wort festnehmen, verhören, ja selbst verurtheilen ließ, in der Erwartung, später begnadigt zu werden, wußte er jeden Verdacht von sich abzulenken. Darauf hinaus ging das Spiel Sarcany's, und er wußte es mit der würdigen Haltung durchzuführen, die er bei allen Angelegenheiten zu wahren verstand.

       Der von diesem Verbrecher getäuschte Graf Sandorf – und wer an seiner Stelle wäre es nicht gewesen – war sogar entschlossen, Alles zu versuchen, um jenen unbetheiligt erscheinen zu lassen. Er dachte, daß es ihm nicht schwer fallen würde, zu beweisen, daß Sarcany niemals Theil an der Verschwörung genommen hatte, daß er nur ein einfacher Commis, der erst neuerdings in das Haus Ladislaus Zathmar's eingeführt worden war und sich einzig und allein mit den persönlichen Angelegenheiten des Grafen zu befassen hatte, die in keiner Weise mit der Verschwörung selbst in Verbindung standen. Nöthigen Falles wollte er das Zeugniß des Banquiers Silas Toronthal zu Gunsten der Unschuld des jungen Commis anrufen. Er zweifelte also nicht, daß Sarcany sowohl von der Mitschuld an der Hauptsache als auch von der Mitwisserschaft freigesprochen würde, im Falle eine Anklage gegen ihn erhoben werden sollte, was ihm indessen noch nicht erwiesen schien.

       Die österreichische Regierung kannte jedenfalls von der ganzen aufständischen Bewegung nur die Verschwörer von Triest. Ihre Mitwissenden in Ungarn und Siebenbürgen waren ihr jedenfalls unbekannt. Es existirte nichts, was auf deren Betheiligung hinwies. Mathias Sandorf, Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar brauchten sich also in dieser Beziehung nicht zu beunruhigen. Was sie selbst betraf, so waren sie entschlossen, Alles zu bestreiten, sofern kein thatsächlicher Beweis des Complotes ihnen vorgelegt wurde. In diesem Falle würden sie voraussichtlich ihr Leben zum Opfer bringen müssen. Andere konnten eines Tages die fehlgeschlagene Bewegung wieder aufnehmen. Die Sache der Unabhängigkeit würde später andere Führer finden. Wenn sie überführt wurden, wollten sie ihre Hoffnungen nicht verhehlen. Sie wollten dann das Ziel offenbaren, dem sie entgegengesteuert und das früher oder später trotzdem erreicht werden würde. Sie beabsichtigten, sich nicht einmal der Mühe einer Vertheidigung zu unterziehen und wollten die von ihnen verlorene Partie in nobler Weise bezahlen

       Nicht ohne Grund nahmen Graf Sandorf und seine Schicksalsgenossen an, daß die Thätigkeit der Polizei in ihrem Falle nur eine äußerst beschränkte sein konnte. In Budapest, Klausenburg und in den übrigen Städten, in denen die Bewegung auf das von Triest her zu gebende Zeichen hätte ausbrechen sollen, hatten die Agenten vergeblich nach den Spuren einer Verschwörung gesucht. Aus derselben Veranlassung war auch die Verhaftung der drei Führer in Triest mit so großer Heimlichkeit seitens der Regierung erfolgt. Ihre Einkerkerung in die Festung von Pisino bezweckte, daß über diesen Vorfall nicht eher etwas in die Oeffentlichkeit dringen konnte, bis eine Entscheidung gefallen war; die Behörde hoffte überdies, daß irgend ein zufälliger Umstand die Verfasser des chiffrirten Billets noch verrathen würde, welches zwar nach Triest adressirt worden war, dessen Aufgabeort aber man nicht kannte.

       Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Das erwartete Zeichen war nicht gegeben worden und sollte nicht gegeben werden. Der Bewegung war Einhalt gethan worden, wenigstens für den Augenblick. Die Regierung mußte sich also darauf beschränken, nur Graf Sandorf und seine Mitschuldigen wegen Hochverrathes gegen den Staat in Anklagezustand zu versetzen.

       Ueber diese Nachforschungen waren immerhin einige Tage verstrichen, so daß erst am 20. Juni die Verhandlungen mit einem Verhöre der Angeklagten beginnen konnten. Sie wurden selbst hierbei nicht confrontirt und sahen sich erst vor ihren Richtern wieder.

       Der Staat hatte einem Kriegsgerichte die Aburtheilung der Triester Führer der Verschwörung überantwortet. Man kennt das summarische Durchnehmen der Angelegenheiten, die einem solchen außergewöhnlichen Gerichtshofe übergeben werden, die Schnelligkeit, mit der die